Olympia 2016: Schmutzige Spiele

Olympia 2016: Schmutzige Spiele

Der Bürgermeister von Rio de Janeiro präsentiert sich gern als Macher, trägt lieber Jeans als Anzug, will Volksnähe demonstrieren.

Eduardo Paes hat die Olympischen Spiele 2016 nach Rio geholt, darauf ist er stolz. Sollten sie ein Erfolg werden, so hört man, habe er Ambitionen auf das Präsidentenamt in Brasília. Dementsprechend dünnhäutig reagiert der 45-Jährige auf Kritik.

Als ihm kürzlich die Standartfrage nach der Verzögerung der Olympiabauten gestellt wurde, redete sich Paes in Rage und bezichtigte diejenigen der Lüge, die immer wieder diese Zweifel säen würden. Denn selbstverständlich werde alles pünktlich fertig. „Unsere Stadt“, fügte Paes hinzu, „wächst durch die Spiele zusammen, Rio wird lebenswerter und gerechter“.

Tatsächlich zweifelt niemand daran, dass das Olympische Feuer pünktlich am 5. August 2016 in Rio de Janeiro entzündet wird. Die Fußball-WM hat gezeigt, dass in Brasilien alles länger dauert, was mit ausgeuferter Bürokratie, Korruption und fehlender Expertise zu tun hat; aber es klappt letztendlich doch, weil die Brasilianer Meister der Improvisation sind – mit entsprechend dürftigen Resultaten in der Ausführung.

Daran aber, dass die Olympischen Spiele das Leben der Mehrheit der Cariocas – so nennt man die Bewohner Rios – verbessern werden, ja, dass die sozial und geographisch so gespaltene Stadt zusammenwachsen werde, glauben nicht mehr viele. Wie schon die Fußball-WM wurde das Sportereignis der Bevölkerung mit großen Versprechen verkauft, die sich nun als leer erweisen. Es wird immer deutlicher, das Olympia genutzt wird, um mächtige Privatinteressen zu befriedigen, während die Bedürfnisse der Allgemeinheit hintangestellt bleiben.

Seit feststand, dass Rio die Fußball-WM und die Olympischen Spiele ausrichten darf, ist die Stadt einer massiven Umstrukturierung unterworfen worden. Deren größte Profiteure sind eine Handvoll Unternehmen und Konzerne der Immobilien- und Baubranche. Nicht zufällig gehören sie zu den größten Finanziers von Rios Politik, insbesondere der Wahlkampagnen von Bürgermeister Eduardo Paes und seiner Partei, der PMDB. Diese Verquickung hat in Rio eine lange Tradition, nun wird sie genutzt, um Milliardengeschäfte zu machen, die für die Öffentlichkeit verborgen bleiben, obwohl sie enorme Summen an öffentlichen Geldern und Werten beinhalten. Die Olympischen Spiele dienen dabei als Instrument, mit dem sich jede Schweinerei rechtfertigen und verschleiern lässt.

Drei Jahre lang hat der Stadtforscher Renato Cosentino die Folgen der Vorbereitungen untersucht, er ist zudem aktiv im Volkskomitee Olympische Spiele, der wichtigsten olympiakritischen Plattform Rios. In einer Studie kommt er zu dem Ergebnis, dass insbesondere ein Stadtteil von den Spielen bevorteilt wird. „85 Prozent der Investitionen, die direkt für die Spiele benötigt werden, fließen nach Barra da Tijuca“, sagt er.

In Barra da Tijuca wird das Herz der Spiele 2016 schlagen: ein im Südwesten der Stadt gelegenes, relativ junges Viertel, auch „Miami Rios“ genannt. Überdurchschnittlich wohlhabende Menschen leben hier in oft identischen Apartmenttürmen, dazwischen stehen große Shoppingzentren, verlaufen mehrspurige Schnellstraßen. Es ist eine auf den Konsum zugeschnittene, US-amerikanische Welt, die den Traum vieler neureicher Brasilianer darstellt. Sie wollen weit weg leben von der Armut und der Gewalt in Rios Zentrum und dem riesigen, hässlichen Nordzone. Die Barra, wie sie kurz genannt wird, boomt. Ihre Immobilienpreise gehören zu den höchsten Lateinamerikas.

Mitten in dem Viertel, auf einer Halbinsel in einer Lagune, entsteht derzeit der Olympische Park mit neun Stadien für 20 Wettbewerbe, darunter Judo, Fechten, Handball, Turnen, Schwimmen und Hockey. In der Nähe liegt das Olympische Dorf für rund 11000 Athleten. Auch das Medienzentrum für Tausende Journalisten wird hier eingerichtet. Um Anschluss zu schaffen, wurden zwei Schnellbustrassen durch die Stadt gebaut, außerdem wird die Metro um sechs Stationen verlängert.

Für Stadtforscher Cosentino ist klar, dass durch die Investitionen ein bereits privilegiertes Viertel weiter aufgewertet wird. „Dabei leben in der Barra nur 300.000 Menschen“, sagt er, „während der Großraum Rio mit seinen zwölf Millionen Bewohnern so gut wie ignoriert wird und nur geringe bis gar keine Verbesserungen erfährt“. Die Spiele, schlägt Cosentino vor, sollten ehrlicherweise „Barra da Tijuca 2016“ heißen.

Der Standortentscheid scheint außerdem wie gemacht für Rios Immobilienbranche. Da ist zum einen der Carvalho Hosken-Konzern. Für seine Beteiligung an den Olympischen Bauarbeiten erhält er im Rahmen der vom Rathaus viel gerühmten Public Private Partnerships (PPP), welche die öffentliche Hand angeblich von allen Kosten entlasten, verschiedenste Ausgleiche, etwa Bauland und Steuerbefreiungen. „Diese Geschenke sind viel mehr wert als die geleisteten Arbeiten“, sagt Urbanist Cosentino, die Stadt werde erheblich geschädigt.

Tatsächlich vermarktet Carvalho Hosken bereits jetzt die Apartments im Olympischen Dorf für die Zeit nach den Spielen, befindlich in 31 Hochhäusern á 17 Stockwerke. Beste Lage. Post-Olympisch wird Carvalho Hosken auch im Olympischen Park Wohnviertel und Hotels errichten dürfen. Das Unternehmen besitzt zudem große Flächen rund um das Olympiagelände, die enorm im Wert gestiegen sind. Diese Aufwertung wurde nicht nur durch die neue Infrastruktur erreicht, sondern auch durch die zwangsweise und illegale Umsiedlung Hunderter Favelabewohner, die das Bild der heilen Olympiawelt nicht stören sollen.

So befriedigt Rios Stadtregierung die Interessen eines Konzerns, der die Wahl des Bürgermeisters mitfinanziert hat. Zur Wahlkampagne von Eduardo Paes und seiner Partei trug Carvalho Hosken 2012 umgerechnet 250.000 Euro bei. Auch in Brasilien, wo private Wahlkampfspenden bisher keiner Beschränkung unterliegen, nennt man das immer öfter beim Namen: Korruption.

„Der Golfplatz ist die Spitze des Eisbergs“, sagt Jean Carlos Novaes. Der Anwalt hat sich der Aufdeckung der Unregelmäßigkeiten rund um das Olympische Grün verschrieben, dem wohl eklatantesten und offensichtlichstem Fall olympischer Kriminalität.

Novaes ist mit dem Biologen Marcello Mello in einem kleinen Motorboot unterwegs über die Lagune von Marapendi. Sie ist Teil eines Naturschutzgebiet im Süden der Barra da Tijuca. Mitten hinein wird derzeit der eine Million Quadratmeter große Golfplatz gebaut. Erstmals seit 112 Jahren ist Golf wieder olympische Disziplin. Ein Grund zur Freude ist das für Novaes und Mello nicht. Das Grün mit 18 Löchern wurde ohne Umweltgutachten und ohne öffentliche Anhörung beschlossen, wie es vorgeschrieben ist. „Aber das sei typisch, sagt der Anwalt Novaes, „der Bürgermeister und seine Leute halten sich mittlerweile für unantastbar“. Biologe Mello sagt: „Es wurden große Flächen Atlantischen Waldes vernichtet. Er steht unter dem Schutz der Unesco. Ein Umweltverbrechen. Niemand wird belangt.“

Dabei hätte es in Rio de Janeiro gleich zwei Golfplätze gegeben, die olympischen Ansprüchen genügen. Keiner der beiden wurde je geprüft. Und wie zufällig besitzt der Präsident der Brasilianischen Golf Föderation bereits eine Luxusimmobilie mit Blick auf den neuen Golfplatz. „Es war beschlossene Sache, dass der Platz hier entstehen sollte“, sagt Novaes. „Es mussten Interessen bedient werden.“

Anwalt Novaes und Biologe Mello schlüpfen durch ein Loch im Zaun, der den neuen Golfplatz umgibt, laufen geduckt durch ein schmales Waldstück und treten auf eine riesige gerodete Fläche, auf der an einigen Stellen bereits Golfrasen verlegt wurde.

An einem Ende des Platzes ragen Apartmenttürme auf. Sie wurden von dem Unternehmen RJZ Cyrela gebaut (200.000 Euro Wahlkampfspende an Paes und seine Partei). Verkaufsslogan für die exklusiven Wohnungen: „Die Sonne geht für alle auf. Aber nicht mit dieser Aussicht.“ Das Baugelände hat Cyrela von dem berüchtigten Immobilienunternehmer Pasquale Mauro erworben, der das gesamte Golfterrain für sich beansprucht. Doch ob das stimmt, ist umstritten. Mauro ist einer der größten „grileiros“ Rios. So bezeichnet hierzulande die Fälscher von Landtiteln. Das Dokument, das ihn als Eigentümer des Golfterrains ausweist, stammt von 1968. Der Beamte, der die Unterschrift leistete, war vier Jahre zuvor gestorben.

Konstruiert wird der Golfplatz von dem Unternehmen Fiori, das zum Imperium Pasquale Mauros gehört. Umgerechnet 20 Millionen Franken soll der Platz kosten, ein extrem hoher Wert. „Entschädigt“ wird Mauro mit der Lizenz, 23 Luxuswohnblocks neben den Platz bauen zu dürfen. Der Bürgermeister selbst erwirkte, dass sie 22 Stockwerke hoch sein dürfen – statt der in dieser Gegend vorgeschriebenen sechs Etagen. Ihr Wert wird auf mindestens 330 Millionen Euro geschätzt. Außerdem wurde darauf verzichtet, rückwirkend von Pasquale Mauro Grundsteuer für das Gelände zu verlangen. Als Mauros Firma zudem eine speziell geschützte Waldfläche auf dem Golfgelände rodete, sollte sie zunächst ein Bußgeld von umgerechnet 600.000 Euro zahlen. Bürgermeister Paes persönlich setzte die Strafe aus, was ihm gar nicht zustand. „Er wird über die Sache stürzen“, prophezeit Anwalt Novaes.

Während in Rio also große Anstrengung darauf verwendet werden, eine kleine Klientel zufriedenzustellen, geschieht dort, wo es um öffentliche Interessen geht, nur wenig. Bestes Beispiel: die Säuberungen der Lagune Rodrigo Freitas sowie der Guanabara-Bucht. In der Lagune wird olympisch gerudert, auf der Bucht gesegelt. Doch beide Gewässer sind 15 Monate vor den Spielen heillos verseucht, erst Mitte April trieben 55 Tonnen toter Fische auf der Lagune im noblen Stadtteil Ipanema.

Die riesige Bucht wiederum ist eine Kloake, weil die Abwässer von mehreren Millionen Haushalten sowie großer Industrieanlagen hineinfließen, die meisten davon ungeklärt. Nicht grundlos herrscht in der Bucht durchgehend Schwimmverbot. Im Wasser treiben Exkremente, Reifen, Möbel, Tonnen von Plastik und sogar Mordopfer. Bei ersten Probefahrten zeigten sich internationale Segelcrews schockiert.

Seit 20 Jahren kämpft der Biologe Mario Moscatelli für die Rettung der Bucht. „Die Spiele wären ein Chance gewesen“, meint er. Nun empfiehlt er den Seglern die Hepatitis-A-Impfung. „Sie sollen beten, dass sie keinen Müll rammen.“ Rio de Janeiros Gouverneur Fernando Pezão hat bereits eingeräumt, dass die Bucht nicht wie versprochen gesäubert werden könne. Man habe keine Mittel. Nun versuchen kleine Schiffe zumindest die groben Abfälle aus dem 380 Quadratkilometer großen Gewässer zu fischen.

Für Mario Moscatelli ist das mehr als nur ein weiterer olympischer Skandal. In einer langen E-Mail wird er kategorisch: „Hunderte Millionen von Dollars wurden und werden für die Säuberung der Bucht ausgeschüttet: ohne jeglichen messbaren Effekt. Sie verschwinden einfach. Wenn die brasilianischen Politiker weiterhin glauben, sie stünden über dem Gesetz, wenn die Exekutive nichts untersucht und die Judikative nichts bestraft, wird die brasilianische Gesellschaft weiterhin zahlen und nie etwas dafür bekommen. Unterdessen werden die Bucht und die Lagunen zerstört. Es fehlt nicht an Mitteln. Die Politik hatte sechs Jahre lang Zeit, etwas zu tun. Man will es nicht.“

Der Eindruck verfestigt sich, dass in Rio überall dort, wo keine Profitinteressen existieren, kein Wille herrscht, etwas zu tun. Dass die Segelwettbewerbe 2016 wortwörtlich in der Scheiße stattfinden werden, spricht Bände über die Pervertierung der Olympischen Idee in Rio de Janeiro.