Kubas Traktor des Wandels

Kubas Traktor des Wandels

Im Zentrum Havannas nimmt man einen der stets überfüllten und rußenden Yutong-Busse aus China (Fahrpreis umgerechnet 4 Cent) und steigt nach längerer Fahrt in einem der mondänen Randbezirke der kubanischen Hauptstadt aus.

Ein kurzer Fußweg entlang schmucker, von Bougainvilleas umrankten Villen, und man steht vor einem schlichten Häuschen. Nichts deutet darauf hin, dass hier ein Experiment geplant wird, das Kuba tiefgreifend verändern könnte.

Saul Berenthal bittet herein, bietet kubanischen Kaffee an. Er sagt: „Wir sind zu einem Symbol geworden. Für den gemeinsamen Neuanfang zwischen den USA und Kuba.“ Er betont das Wort „common“ – gemeinsam.

Als wir uns setzen, kommt Horace Clemmons in kurzen Hosen die Treppe herunter, hat gerade Siesta in der Mittagshitze gemacht, bringt Rosinenschokolade mit. Clemmons und Berenthal sind Geschäftspartner. „Wir sind nach Kuba gekommen“, sagen sie, „um zuzuhören“. Das sei die einfache Antwort auf das Geheimnis ihres Erfolgs, nach dem sie jetzt so oft gefragt werden.

Clemmons und Berenthal, beide 72 Jahre alt, sind die Chefs von Cleber Llc, einer jungen Traktorfirma mit Sitz im US-Bundesstaat Alabama. Sie gründeten das Unternehmen 2015 mit dem Ziel, auf Kuba zu produzieren. Im Februar erhielten sie als erstes US-Unternehmen seit mehr als einem halben Jahrhundert die Erlaubnis dazu aus Washington und Havanna.

Ihr Produkt: ein kleiner Traktor. Einfach in der Zusammensetzung, leicht zu warten, niedrig im Verbrauch, 24 Pferdestärken. Wie ein übergroßes Kettcar wirkt das Vehikel auf den ersten Blick, 2017 soll das erste aus dem Werk kommen, der Preis rund 10.000 Dollar.

Zwar mag das für kubanische Verhältnisse viel Geld sein, liegt der staatliche Lohn doch bei umgerechnet 25 Dollar im Monat – so viel verdienen ein Lehrer oder eine Ärztin. Aber es gibt auf Kuba heute eine wachsende Zahl von Kleinbauern. Sie erhalten Land vom Staat, der begonnen hat, große Bodenflächen aufzuteilen. Von außen mag es wenig sichtbar sein, aber Landwirte gehören heute neben den selbstständig im Tourismus arbeitenden Kubanern zu den wohlhabendsten Menschen der Insel.

Die meisten Bauern bearbeiten ihre Felder mit rund 30 Jahre alten Traktoren – viele noch aus der UdSSR – oder ganz schlicht mit Ochsen und Pferden. Doch viel Land liegt brach und Kuba ist gezwungen, rund zwei Drittel seiner Nahrung zu importieren, etwa Hühnchen aus Brasilien. Erst in diesem Jahr gibt es zum ersten Mal seit längerem wieder Kartoffeln in ausreichenden Mengen auf den Märkten zu kaufen.

„Die Kubaner haben erkannt, dass wir ihnen etwas anbieten, dass sie wirklich benötigen“, sagt Saul Berenthal. Als die Cleber Chefs am Rande des Kuba-Besuchs von Barack Obama vor wenigen Wochen ihren Traktor auf einer kleinen Handelsmesse vorstellten, kam ein Landwirt auf sie zu. „Er sagte, dass jeder seiner Kollegen den Traktor kaufen würde“, berichtet Berenthal. Rund 900.000 Menschen arbeiten als Bauern oder sind in Kooperativen auf Kuba beschäftigt, aber es gibt nur 62.000 Traktoren – man kann wohl von einer klassischen Win-Win-Situation sprechen.

Saul Berenthal, 1944 auf Kuba geboren, spricht fließend Spanisch. Seine Familie verließ die Insel 1960 in Richtung USA, gehörte aber nicht zu den Exilanten, die aus Miami Stimmung gegen das Castro-Regime machten und das Wirtschaftsembargo unterstützten, welches nunmehr seit 55 Jahren in Kraft ist. „Das Embargo hat immer der kubanischen Bevölkerung geschadet“, sagt er. „Ohne die Fanatiker in Miami wäre es schon längst abgeschafft.“

Berenthal und Horace Clemmons lernten sich als junge Männer bei IBM kennen, wo beide als IT-Manager arbeiteten. Sie gründeten später eine eigenen Softwarefirma, verkauften sie 1995 für 30 Millionen Dollar. Von Anfang an waren sie Fans von Open Source Software, die keiner Lizenz unterliegt, bauten ihre Firma auf technische Unterstützung und Wartung. „Man nannte uns deswegen Revolutionäre“, erinnern sie sich.

Ihr jetziger Vorstoß in die Hardware der Traktorproduktion ist Berenthals kubanischer Herkunft und Horace Clemmons’ Faible für die Landwirtschaft geschuldet. Clemmons wuchs in einer Familie von Bauern auf, sein Großvater pflügte noch mit Maultieren, erinnert er sich. Es mag hinzukommen, dass die beiden Unternehmer im Seniorenalter sich noch einmal einer sinnvollen und spannenden Aufgabe widmen wollten. Einen Freund haben sie noch eingespannt, David McGriff, ein Milchbauer aus Alabama, der ihnen Expertise liefert.

Und sie nutzen ihre Erfahrungen aus der IT-Branche. „Der Traktor ist Open Source“, sagt Berenthal, die Baupläne sind offen, alle Bauteile kann man lizenzfrei erwerben und sie sind austauschbar. Somit hängen die Bauern nicht von einem Anbieter ab. Langfristig basiert das Businessmodell von Berenthal und Clemmons erneut auf Service. Man wolle das Modell stetig weiterentwickeln und verbessern, sagen sie. Derzeit finde man heraus, welche Komponenten man in Kuba bekommen könnte, um so nachhaltig wie möglich zu sein.

Zum Nachhaltigkeitsgedanken gehört auch, dass der Traktor mit 600 Kilogramm extrem leicht ist, um keine Bodenverdichtung zu verursachen. Oder dass er Blinklichter haben wird. „Es war eine Bitte der Kubaner“, sagt Berenthal. Traktoren werden auf Kuba, wo die Anzahl von Fahrzeugen gerade auf dem Land sehr überschaubar ist, häufig eingesetzt um Personen zu befördern.

Dass Berenthal und Clemmons „in touch with Cuba“ sind, wie sie sagen, zeigt auch der Name ihres Traktormodells: Oggún. Es ist der Gott für Metall und Kraft in der afro-kubanischen Santería-Religion. Das Logo, das auf den Oggún-Traktoren prangen wird, ist ein schwarzes Pferd. Es erinnert stark an das Logo von Ferrari. Die Cleber-Chefs lachen verdächtig bei dem Vergleich. „Unser Traktor ist ein eisernes Pferd“, sagen sie. „Aber vor allem ist er eine Art zu denken!“ Man liefere den Kubanern ein Produkt, das auf die Realität der Insel zugeschnitten sei. Es werde die Erträge der Bauern erheblich steigern und könne auch auf den vielen Feldern und Gärten in urbanen Regionen eingesetzt werden, die heute auf Kuba existieren. „Oggún wird die kubanische Landwirtschaft revolutionieren.“

Das ist es wieder, das Wort: Revolution. Berenthal nimmt es erstaunlich oft in den Mund. Doch wer glaubt, er kokettiere mit dem Sozialismus, der täuscht sich. „Ich bin Republikaner und glaube an den Kapitalismus“, sagt er. „Aber es geht nicht um Ideologie, sondern um gute Ergebnisse für alle.“

Es ist in erster Linie Berenthals guter Kenntnis der kubanischen Verhältnisse zu verdanken, dass ein Zwei-Mann-Unternehmen aus Alabama zum US-Leuchtturm auf der Insel geworden ist. Zahlreiche Firmen haben ein Interesse daran, auf Kuba zu investieren, wissen aber häufig nicht wie. Es geht um einen Markt mit elf Millionen Menschen, die immer noch vom Konsum nach westlichem Vorbild ausgeschlossen sind. Und das nur 140 Kilometer von Florida entfernt.

Nicht wenige Unternehmer haben versucht, auf Kuba Fuß zu fassen, seit Barack Obama und Raúl Castro im Dezember 2014 die schrittweise Normalisierung der Beziehungen verkündeten. Doch die meisten zogen frustriert wieder ab. Zu oft stößt die hemdsärmelige Art der US-Amerikaner auf die behäbige sozialistisch-karibische Bürokratie. Neben den kulturellen Unterschieden existieren Sprachbarrieren. Das Internet funktioniert nur langsam. Und die Kubaner sind stark darauf aus, ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren. Zwar hat die Regierung die zehnprozentige Importsteuer auf den Dollar aufgehoben. Aber es ist Ausländern immer noch verboten, Grundstücke auf Kuba zu kaufen. „Miteinander auszukommen heißt nicht, seinen Glauben aufzugeben“, formulierte es die kubanische Parteizeitung Granma spitz. Viele amerikanische Unternehmer sind darauf nicht eingestellt.

Dass die Zusammenarbeit mit den kubanischen Stellen hingegen überraschend unkompliziert gewesen sei, sagen Berenthal und Clemmons. Sieben Monate dauerte es, bis sie Lizenz von kubanischer Seite in den Händen hielten. „Wir waren sehr gut vorbereitet“, sagt Berenthal, „hatten die relevanten Gesetze gelesen, den sozialen Kontext verstanden“. Und nie hätte es während der Verhandlungen auch nur einen Anflug von Korruption gegeben, so wie im Rest Lateinamerikas.

2014 verabschiedete das kubanische Parlament das Gesetz 118 über Ausländische Investitionen. Darin wird festgestellt, dass Kuba Investitionen aus dem Ausland zulassen werde, um die Erfolge der Revolution zu vertiefen. Der zweite Teil der Formulierung sei wichtig, sagt Saul Berenthal. Man könne als Unternehmer nicht auf Kuba antanzen und so tun, als ob nun nichts mehr gelte. Die Kubaner verteidigten eifersüchtig die Erfolge ihrer Revolution. Bildung, Gesundheit, Sicherheit und: Nahrung für alle! „Wir helfen ihnen dabei, so ist der Deal.“

Tatsächlich seien die Verhandlungen mit dem U.S. Department of Commerce und dem Office of Foreign Assets Control (OFAC) schwieriger gewesen als mit den Kubanern. Denn das Wirtschaftsembargo gegen Kuba, verhängt 1960 und 1992 zum Gesetz erklärt, ist trotz Obamas Sonnenscheinpolitik nach wie vor in Kraft. Es kann nur vom US-Kongress aufgehoben werden. Dort sind die Republikaner in der Mehrheit, die die Öffnung skeptisch bis negativ sehen. Im Jahr 2015 verhängte das OFAC immer noch Strafen von insgesamt drei Milliarden Dollar gegen fünf US-Firmen und drei Nicht-US-Firmen wegen eines Embargobruchs.

Erst seit kurzem gibt es aufgrund von Exekutivanweisungen Obamas, die nicht der Zustimmung des Kongresses bedürfen, neue Rahmenbedingungen für das Engagement von US-Firmen. Unter ihrem Schutz erhielt Cleber letztendlich die Erlaubnis für die Investition auf Kuba.

Während seines historischen Kuba-Besuchs im März präsentierte Barack Obama eine Liste mit den Firmen, die ab sofort mit Kuba Geschäfte machen dürfen. Die überwiegende Mehrheit stammt aus dem Tourismusbereich: Fluggesellschaften, Kreuzfahrtunternehmen, Hotelkonzerne, Airbnb. Es hat mit der explodierenden Zahl von amerikanischen Touristen zu tun, die allein 2015 um 80 Prozent stieg: auf 160000, von insgesamt 3,5 Millionen Besuchern. Andere Firmen auf Obamas Liste: Western Union, das vom zwei bis drei Milliarden Dollar (!) schweren Geldtransfer aus den USA profitieren möchte. Cisco will kubanische IT-Ingenieure ausbilden, Verizon den Mobilfunkverkehr zwischen beiden Ländern verbessern.

Als einziges produzierendes Unternehmen und auch etwas exotisch unter all den großen Namen: Cleber Llc. Das Unternehmen wird seine Fabrik in der jungen Sonderwirtschaftszone Mariel ansiedeln. Sie liegt 40 Kilometer westlich von Havanna und ist direkt mit dem neuen Tiefseehafen gleichen Namens verbunden, der zu zwei Dritteln von Brasilien finanziert wurde und einmal der größte Containerhafen der Karibik werden soll. Die Summe, die Cleber in Mariel investieren wird, gibt Berenthal mit 20 Millionen Dollar an.

In der 2014 eröffneten Sonderwirtschaftszone wird das Unternehmen verschiedene Vorteile genießen, etwa die Befreiung von so gut wie allen Steuern: auf Arbeit, Gewinne, Ein- und Ausfuhren. Allerdings werden 14 Prozent Beitrag zur Sozialversicherung fällig. Eine weitere Besonderheit von Mariel: Einzig hier ist es möglich, dass Cleber zu 100 Prozent von Berenthal und Clemmons kontrolliert wird. Anderswo auf Kuba sind Firmengründungen nur als Jointventures mit dem Staat möglich, was bedeutet, dass man mit dem Militär verhandeln muss, das den Großteil der kubanischen Wirtschaft kontrolliert.

Doch trotz ihres 100-prozentigen Anteils sind Berenthal und Clemmons verpflichtet, ihre Angestellten über eine staatliche Agentur anzuheuern. An diese zahlen sie auch die Löhne. In der Anfangsphase rechnet Berenthal mit zwölf kubanischen Angestellten. Die Zahl könne je nach Absatz auf bis zu 40 steigen. Den kubanischen Staat betrachten die Cleber-Chefs dabei als ihre Personalabteilung. „Wir hätten auch niemals in eine Freihandelszone gehen wollen, wo die Arbeiter nur Niedriglöhne bekommen“, sagt Berenthal. „Wir wollen motivierte Arbeiter, denen wir eine Qualifizierung anbieten. Es ist ein Beitrag zur Entwicklung Kubas.“

Den nahen Hafen betrachten die Cleber-Chefs als großen Vorteil. Denn letztendlich wollen sie Oggún, ihren Traktor, auch exportieren. Anfragen gäbe es genug, alle aus Entwicklungsländern: Sri Lanka, Vietnam, Kambodscha, verschiedene afrikanische Staaten. Der Botschafter Sri Lankas habe die Cleber-Chefs sogar bekniet, ihre Fabrik auf seiner Insel zu eröffnen. Oggún hat offenbar das Potential ein Erfolg unter Kleinbauern rund um die Welt zu werden. Es wäre neben Rum, Zigarren und Salsa der nächste Exportschlager aus Kuba.