„Es wird wieder brennen“

„Es wird wieder brennen“

Seit Monaten hoffen die Menschen im brasilianischen Pantanal, dem größten tropischen Überschwemmungsgebiet der Erde, auf Regen. Vergeblich. Ein Bericht von der Front des Klimawandels.

Foto: Evgeny Makarov

In der Morgendämmerung tritt Alesandro Amorim vor seine Parkwächterstation. Rundherum breiten sich Grasflächen aus, es gibt eine kleine Landebahn für Propellermaschinen. Dahinter beginnt dichter Wald, über dessen Baumwipfel die ersten Sonnenstrahlen kommen.

Während Amorim an seinen Kaffee nippt, erklingt um ihn herum die allmorgendliche Sinfonie des Pantanals. Sie beginnt mit den Hokkohühnern, die einen glucksenden Ruf von sich geben, der so klingt wie ihr brasilianischer Name: Chacotschatschalaka. Es ist der Rhythmus, in den andere Vögel einstimmen: die krächzenden Hyazintharas, schnatternden Tirikasittiche, die spottenden Schwefelmaskentyrannen und der gackernde Guirakuckuck. Trotz des fröhlichen Konzerts runzelt Amorim die Stirn.

Er blickt nach oben, hält Ausschau nach dunklen Wolken, doch der Himmel ist hellblau und klar. „Seit Monaten regnet es zu wenig“, sagt Amorim – und macht eine düstere Prophezeiung: „Es wird auch dieses Jahr wieder brennen im Pantanal. Wahrscheinlich noch heftiger als letztes Jahr.“ So eine Dürre habe er noch nicht erlebt.

Laut Kalender ist Regenzeit im Pantanal, dem größten tropischen Überschwemmungsgebiet der Erde, das mit 17 Millionen Hektar halb so groß ist wie Deutschland. Es ist eine riesige, von Flüssen und Bächen durchzogene Ebene ganz im Westen Brasiliens, die sich von mehreren Bergketten begrenzt bis nach Bolivien und Paraguay ausdehnt. Der Name des Pantanal stammt vom portugiesischen Wort für Sumpf (pântano), aber es vereint ganz unterschiedliche Ökosysteme: Savannen, tropische Wälder, dornige Trockenwälder, Sumpfland.

Sie alle sind Heimat für eine Tier- und Pflanzenwelt, die auf der Welt ihresgleichen sucht. Es gibt mehr Vogelarten als in ganz Europa und eine der größten Jaguar-Populationen der Welt, rund 13 000 sollen es sein. Durch die Wälder und Wiesen streifen Mähnenwölfe, Große Ameisenbären und Tapire, die größten nativen Landsäugetiere Südamerikas. In den Bäumen kreischen seltene Affen. Am Boden leben Schlangen, darunter einige giftige Arten. In den Gewässern wimmelt es von Fischen und Kaimanen.

Nur: Die biologische Vielfalt ist abhängig von den Regenmassen, die zwischen Januar und April fallen.

Flüsse wie der Rio Paraguai treten dann über die Ufer und das Pantanal ist mehrere Wochen lang überschwemmt, gleicht einem flachen See mit Tausenden Inseln. Weicht das Wasser wieder zurück, kommt eine gigantische Nahrungskette in Gang. Vögel fressen die Fische im seichten Wasser, es wimmelt von Insekten, der Boden ist feucht und fruchtbar. Die Vegetation blüht auf und bietet den Pflanzenfressern Nahrung, von denen sich wiederum die Raubtiere ernähren. Viele Arten paaren sich. Es ist, als ob das Pantanal jedes Jahr neugeboren würde. Wenn der Regen kommt.

Doch der lässt auch dieses Jahr auf sich warten. Wieder einmal. Zwar fielen örtlich ab und zu heftige Niederschläge. „Aber es war viel zu wenig“, sagt Alesandro Amorim, der Parkwächter. „Normalerweise könnte man jetzt nur noch per Pferd oder Boot unterwegs sein und würde ständig nass.“ Stattdessen reibt er sich den Staub aus den Augen.

Laut Wissenschaftlern des brasilianischen Katastrophenwarnzentrums (Cemaden) erlebt das Pantanal die schlimmste Trockenperiode seit mindestens 60 Jahren. Experten gehen davon aus, dass einer der Gründe dafür die Abholzung des Amazonasbeckens nördlich des Pantanals ist. Seit den 1970er Jahren wurden dort rund 20 Prozent des Regenwalds für die Landwirtschaft vernichtet. Zwar verlangsamte sich die Abholzung in den 2000er Jahren stark, aber seit 2012 hat das Tempo wieder drastisch zugenommen und Jahr für Jahr werden neue Höchstwerte erreicht. Daran trägt auch die aktuelle Regierung Brasiliens unter dem ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro Schuld. Sie ermutigt nicht nur die illegalen Holzfäller, Goldgräber und Landräuber – etwa indem ihnen Amnestien versprochen und Strafen erlassen werden –, sondern sie beschneidet auch die Umweltschutzbehörden drastisch. Ihnen werden Gelder, Personal und Kompetenzen gekürzt und ihre fleißigsten Mitarbeiter werden strafversetzt.

Die Konsequenzen sind dramatisch. Denn weniger Wald – jede Minute wird durchschnittlich eine Fläche von der Größe eines Fußballfelds abgeholzt – bedeutet, dass im Amazonasbecken immer weniger Wasser verdunstet und sich immer weniger Wolken bilden. Dadurch gerät eine gigantische Wasserumwälzmaschine ins Stocken, weil die entstehenden Wolken entweder direkt über dem Amazonas wieder abregnen oder Richtung Südwesten wandern, also auch zum Pantanal. Als „Fliegender Fluss“ wird dieses Phänomen beschrieben.

Der brasilianische Klimaforscher Antonio Nobre warnt schon seit einigen Jahren davor, dass die „Fliegenden Flüsse“ aufgrund der Abholzung versiegen und der Amazonaswald vor einem Kipppunkt stehen könnte, an dem das System zusammenbrechen würde. Dies hätte gravierende Konsequenzen. Die Landwirtschaft Brasiliens, die die gesamte Welt mit Lebensmitteln versorgt, ginge ohne den Regen aus den „Fliegenden Flüssen“ zugrunde. Ebenso wäre die Energieversorgung des Landes, die zu zwei Dritteln von Wasserkraft abhängt, gefährdet. Eine Vorbote dieser Entwicklung ist die anhaltende Trockenheit im Pantanal.

Die Welt wiederum würde die Folgen einer Versteppung des Amazonasregion spüren, weil der Regenwald als CO2-Speicher ausfiele und Unmengen des Klimagases freigesetzt würden. Jüngste Forschungen haben ergeben, dass die Region wegen der anhaltenden Vernichtung bereits heute mehr CO2 abgibt als sie aufnehmen kann.

Die Folgen der Waldvernichtung sind im Pantanal bereits mit den Händen greifbar. Zwar gab es auch in der Vergangenheit schon Trockenheit. „Aber so krass war es noch nie“, sagt Alesandro Amorim. Er läuft durch das Unterholz zu einem Teich, an dem einst vor Tieren wimmelte. Heute sind nur noch ausgetrocknete Schollen übrig geblieben.

Der 34-jährige Amorim macht seinen Job seit acht Jahren. Er arbeitet im mit 110 000 Quadratkilometer größten privaten Naturreservat Brasiliens, das 1997 vom Sozialservice des Handels (SESC), einer Arbeitnehmerwohlfahrt, gegründet wurde. Amorim, eher schmächtig, braun gebrannt und schüchtern, wurde im Pantanal geboren, sein Vater war Kleinbauer. Heute managt er mit zwei Kollegen eine von sechs Parkwächterstationen im Reservat.

Sie alle fürchten nun, dass sich die Katastrophe vom letzten Jahr wiederholen könnte. Zwischen August und Oktober 2020 verheerten riesige Feuer rund ein Viertel des Pantanals. Es waren die schlimmsten Feuer in der Geschichte des größten Feuchtgebiets der Erde. „Es brannte an allen Ecken und Enden“, sagt Amorim. „50 Tage lang kämpften wir gegen die Flammen.“

Ausgelöst wurden sie von Bauern und Viehaltern am Rande des Pantanals, die Feuer gelegt hatten, um Weideland zu schaffen. Andernorts hatten Honigsammler Feuer entfacht, die sich verselbstständigten. Es gerieten Landwirtschaftsmaschinen wegen der Hitze in Brand, ebenso ein Auto bei einem Unfall. Die völlig ausgetrocknete Vegetation verwandelte die Feuer dann in ein Inferno. Sie fraßen sich teils über mehr als 50 Kilometer hinweg, glimmten sogar unterirdisch weiter.

Die Parkwächter zogen damals Schneisen in den Wald und legten Gegenfeuer. Sie wurden von Löschflugzeugen unterstützt, nutzen Wasser aus Tanklastern. Amorim erinnert sich: „Die Hitze, der Rauch, der heiße Wind, die Feuerwände. Die Tiere kamen panisch aus dem Wald gerannt.“

Er schwingt sich auf ein Quad, will ein verbranntes Waldstück inspizieren, wo sein Team eine Wasserwanne aufgestellt hat, um überlebende Tiere mit Flüssigkeit zu versorgen. Zwischen verkohlten Baumstümpfen stößt er am Boden auf das Skelett eines Primaten, vermutlich ein seltener Nachtaffe. Amorim glaubt, dass er vor den Flammen in einen Baumwipfel geflüchtet sei. „Dort gab es kein Entkommen mehr, er erstickte im Rauch und stürzte herunter.“ Später findet Amorim die Skelette eines Kaimans und eines Tapirs.

350 Kilometer und sechs Stunden Autofahrt später spricht José Dorilêo den Satz aus, der in diesen Wochen überall im Pantanal mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Furcht zu hören ist: „Es wird wieder brennen.“

Dorilêo lebt an der Trans-Pantaneira, einer löchrigen Staubpiste, die das Pantanal auf 145 Kilometern von Nord nach Süd durchzieht. Auf der Fahrt kam man immer wieder an austrocknenden Tümpeln vorbei, in denen Hunderte Kaimane aus Wassermangel bereits übereinander gestapelt lagen. Einige trieben verhungert im seichten Wasser, während Geier ihnen die Bäuche aufpickten.

José Dorilêo sagt: „Es gibt zu viele Kaimane für zu wenig Wasser.“ Er hat heute Besuch von seinem Neffen Raúl Costa, der wie er Viehzüchter ist. Schon in der vierten Generation, wie sie stolz betonen. Auch sie gehören zum Pantanal, das seit Jahrhunderten von Bauern bewohnt wird, die sich an seine extremen Bedingungen angepasst haben.

Dorilêos Ranch misst circa 12 000 Hektar, rund 3000 Rinder weiden im ausgedehnten Grasland. Er und Costa sind füllige Männer, die sich dagegen wehren, von den Medien als die Bösewichte im Pantanal dargestellt zu werden. „Als es brannte, hieß es, wir Rancher hätten die Feuer gelegt, um Weideflächen zu schaffen“, sagt Costa. „So ein Blödsinn! Das Pantanal ist riesig und der eine oder andere Verrückte mag das getan haben, aber eigentlich ist es Selbstmord. Unsere eigene Fazenda brannte letztes Jahr fast ab.“

Costa sitzt in der Küche des 100 Jahre alten Herrenhauses, das etwas von einem Heimatmuseum hat. An den Wänden hängen alte Fotos, Sporen und Lassos. Bereits zum Frühstück wird ein Rinderkopf aufgetischt, der über Nacht in einem Lehmofen gebacken hat. Der 43-jährige Costa beißt in ein Stück Zunge und erklärt, dass man auf der Fazenda noch nie gerodet habe. Man sei vielmehr auf die Bäume angewiesen, weil sie die erhöhten Stellen sicherten, auf denen die Rinder in der Hochwasserzeit stünden.

Tatsächlich herrschen im Herzen des Pantanals eigene Regeln. Anders als im Amazonasgebiet entstehen die Weideflächen hier nicht durch Abholzung, sondern auf natürliche Weise durch die Überschwemmungen. An den Rändern des Pantanals ist jedoch das anders. Dort werden Weiden und Sojafelder durch rücksichtslose Abholzung geschaffen. Viehzüchter wie Costa und Dorilêo versuchen daher ein anderes Bild zu zeichnen. Sie geben sich umweltbewusst und wollen das Klischee vom Raubbau treibenden Großgrundbesitzer widerlegen.

Als Costa am Nachmittag einen Fluss am Rande seiner Ranch besucht, stöhnt er auf. Nur noch Pfützen und Sandbänke sind von dem Strom übrig. „Er steht still“, sagt Costa. „Das gab es noch nie.“ Er befürchtet, dass dieses Jahr nicht genug Wasser und Nahrung für das Vieh vorhanden sein werde.

Eine Einschätzung, die auch die Cowboys der Ranch teilen, dunkelhäutige und hartgesottene Männer, die einen Großteil ihres Lebens auf dem Pferderücken verbringen, so wie schon ihre Väter und Großväter. Niemand kennt das Pantanal wohl besser als sie, und auch sie sagen unisono: So eine Trockenheit gab es noch. Man werde wohl Vieh verkaufen müssen.

Einige Kilometer von der Fazenda entfernt lebt ein Mann an der Transpantaneira, der zu wissen glaubt, wie man das Pantanal schützen und dennoch von ihm profitieren kann. André Thuronyi, Sohn einer ungarischen Adligen-Familie, kam Mitte der 70er hierher. Er verliebte sich in die Region und begann, die Idee vom Öko-Tourismus zu verbreiten – ein Begriff, den damals im Pantanal niemand kannte. „Ich war der Pionier“, sagt er.

Heute ist der hagere 66-Jährige, dessen Markenzeichen ein wehender grau-blonder Haarschopf ist, der Chef der exklusiven Arara Öko-Lodge. Zum Konzept gehört das Naturerlebnis: die Beobachtung wilder Tiere, Nacht-Exkursionen, Ausritte. „Ich habe den Leuten vorgemacht, dass ein Jaguar oder ein Blau-Ara lebendig viel wertvoller sind als tot oder in Gefangenschaft“, sagt Thuronyi. Es habe lange gedauert, bis seine Nachbarn das verstanden hätten. „Es waren raubeinige Rancher. Ich galt als Spinner.“

Doch der Erfolg, den Thuronyi mit seiner Eco-Lodge hatte, schuf Nachahmer. 18 Eco-Lodges stehen heute entlang der Transpantaneira, und es gibt mehrere auf die Jaguar-Sichtung spezialisierte Tour-Unternehmen. Doch auch sie hängen davon ab, dass es im Pantanal regnet. „Ohne den Regen bricht die Nahrungskette zusammen“, sagt Thuronyi. Als es vor einem Jahr brannte, kämpfte er tagelang um sein Lebenswerk. Tränen steigen ihm in die Augen, wenn er davon berichtet. „Ich dachte, ich würde schmelzen, so heiß war es. Ich war fast auf mich allein gestellt, weil zu wenig Feuer-Brigadisten da waren. Sie wurden an allen Enden und Ecken gebraucht.“

Als es Abend wird, steigt André Thuronyi auf einen 25 Meter hohen Aussichtsturm. Kilometerweit schaut er von hier über das Pantanal. Vereinzelt sieht man dunkle Wolken, Regen zieht übers Land. „Es ist viel zu wenig“, sagt er. „Wir müssen uns wieder auf Feuer vorbereiten.“

ENDE