Der Ort hat sich kaum verändert. Da sind die Fliesen aus braunem Marmor, über die das Blut Oscar Romeros floss. Da ist der Altar, an dem Romero die Messe zelebrierte, als ein Schuss durch die kleine Kirche krachte. Die Kugel traf den Erzbischof von San Salvador direkt ins Herz – und ein Land in der Seele. Es war im Frühjahr 1980.
38 Jahre später sitzen einige Gläubige auf den Bänken des modernen Kirchenbaus, fünf Nonnen knien vor dem Altar und beten. Seit dem Mord ist das Gotteshaus auch ein Ort des Gedenkens an Oscar Romero geworden, der an diesem Sonntag (14.10.) von Papst Franzikus heilig gesprochen wird. Als erster Salvadorianer überhaupt.
Deswegen ist die Kanonisierung Romeros ein großes Ereignis für El Salvador, eins der ärmsten und auch katholischsten Länder Lateinamerikas. So gut wie nie blickt die Welt einmal hierher. Auch Touristen kommen keine. Ein Grund: San Salvador weist eine der höchsten Mordraten der Welt auf, kriminelle Banden, die sogenannten Maras, beherrschen ganze Stadtviertel.
Nun sind viele Salvadorianer stolz auf „ihren“ Heiligen. Gleichzeitig werden Erinnerungen an eine schmerzhafte Epoche wach. Denn die Kugel, die Romero tötete, galt einem Mann, der sich unermüdlich für Frieden durch soziale Gerechtigkeit einsetzte. El Salvador wurde damals von einem Bürgerkrieg zerrissen und Romero positionierte sich klar. Er kritisierte die rechte Regierung, die mit Unterstützung der USA Krieg gegen eine linke Guerilla führte.
In seinen Predigten ergriff Romero Partei für die Armen und die Kleinbauern und kritisierte die Elite des Landes. Einmal rief er: „Es kann so nicht weitergehen. Man muss den Egoismus derjenigen bekämpfen, die nichts von ihrem Reichtum abgeben wollen.“ Das machte Romero in den Augen der Mächtigen zum Kommunisten. Die Armee führte damals einen Krieg der verbrannten Erde und ermordete Hunderte Kleinbauern, die sie der Kollaboration mit der Guerilla beschuldigte. Dem Hass fiel schließlich auch Romero zum Opfer.
„Oscars Haltung entsprach seiner Herkunft“, sagt Gregorio Rosa Chávez. Er kommt in schwarz-roter Standestracht in die Kirche gelaufen und macht vor einem Porträt Romeros Halt. Chávez war einst der engste Freund Romeros, heute ist er Kardinal von San Salvador. „Oscar stammte aus ärmsten Verhältnissen“, berichtet er. „Er war ein einfacher Mann. Ein Hirte. Für das Volk war er schon zu Lebzeiten ein Heiliger.“
Die Liebe des einfachen Volks war das eine. Der Hass der konservativen Elite El Salvadors das andere. Bis heute besteht sie aus denselben 14 Familien, die schon damals das Land beherrschten. „Für die Elite war Romero ein Ärgernis“, sagt Rosa Chávez. Er erinnert sich, wie in den Reichenvierteln San Salvadors die Sektkorken knallten, als das Attentat bekannt wurde. „Wir hörten, wie sie feierten.“
Seit dem Mord sind fast 40 Jahre vergangen, trotzdem ist nicht bekannt, wer Oscar Romero umgebracht hat. Sein Killer wird bis heute von mächtigen Kreisen protegiert. Dafür wusste man schon früh, wer den Mord in Auftrag gegeben hatte: Major Roberto D’Aubuisson. Er befehligte Sicherheitskräfte, die als Todesschwadronen operierten. D’Aubuisson bestritt nie, die Ermordung Romeros angewiesen zu haben, pflegte aber stets zu sagen: „Das muss man mir erst mal nachweisen.“ Bis zu seinem Tod 1992 blieb er unbehelligt.
1992 war auch das Jahr, in dem der Bürgerkrieg in El Salvador endete. Aber die Verantwortlichen für Verbrechen an der Zivilbevölkerung wurde nie zur Verantwortung gezogen. Bis heute sind beispielsweise rund 500 Menschen unauffindbar, die als Kleinkinder von der Armee geraubt und teils verkauft wurden. Ihre Eltern, einfache Bauern, brachte man um. Die Wunden des Bürgerkriegs, sie sind noch offen. Daran änderte auch die Regierungsübernahme der ehemaligen Guerilla 2014 nichts. Sie löste keins ihrer Wahlversprechen ein, etwa die Aufhebung des Amnestiegesetzes oder die Minderung der Armut.
Und so unterstreicht die Heiligsprechung Romeros die tiefe Zerrissenheit El Salvadors. Das Land feiert einen Mann, dessen Mörder es nie bestrafte und dessen Botschaft es ignoriert. „An den sozialen Verhältnissen hat sich nicht viel geändert“, sagt Rosa Chávez.
Der Kardinal geht zu einer Bildcollage am Eingang der Attentatskirche. Darauf steht einer der typischen Sätze Romeros: „Wenn sie mich töten, werde ich im salvadorianischen Volk wieder auferstehen. Tatsächlich ahnte Romero, dass er umgebracht würde. Die Drohungen gegen ihn nahmen wöchentlich zu. In San Salvador fuhren damals Autos mit Stickern herum, auf denen es hieß: „Tu was fürs Vaterland. Töte einen Priester!“
Rosa Chávez wirkt wehmütig und etwas müde. Der 76-Jährige hat schon unzählige Male von seinem alten Weggefährten erzählt. Er beschreibt ihn als Anfangs rigiden sogar menschenabgewandten Charakter, der sich immer weiter geöffnet habe. Chávez und Romero lernten sich als Teenager kennen, sie besuchten dasselbe Priesterseminar und reisten gemeinsam, auch nach Deutschland.
Nach der Ermordung Romeros setzte Chávez sich dann als einziger hochrangige Kirchenmann El Salvadors für die Aufwertung Romeros ein. Andere Kirchenfürsten zogen es vor, Romero zu ignorieren und zu verleumden. Seine Botschaft war ihnen zu radikal, sie suchten lieber die bequeme Nähe des Regimes.
Auch aus dem Vatikan schlug Romero Ablehnung entgegen. Schon lebend war er Papst Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger, dem Chef der Glaubenskongregation, suspekt. Sie begriffen nie das Engagement so vieler lateinamerikanischer Kirchenmänner für die Armen. Papst Johannes Paul II. stand Romero so feindlich gegenüber, dass er 1983 Major D’Aubuisson freundlich die Hand schüttelte. Es entspricht also einer gewissen Logik, dass Romero nun von Papst Franziskus heilig gesprochen wird, dem Argentinier, der die soziale Gerechtigkeit zu einem Hauptthema seines Pontifikats gemacht hat.
Kardinal Rosa Chávez führt zu dem kleinen Haus, in dem Oscar Romero lebte. Die Kargheit ist augenfällig: ein einfaches Bett, ein Schreibtisch mit dem Kassettenrecorder, mit dem Romero sein Tagebuch aufnahm. Im winzigen Bad, drei Stück Kernseife, zwei Plastikrasierer, Rasierwasser. An der Wand ein Kalenderblatt mit einem Eintrag. 24. März 1980: „6:15 P.M.“ Es war der Beginn von Romeros letzter Messe. In einem Nebenraum hängen schließlich Romeros blutgetränkte Bischofskleider.
Chávez bittet in einen Garten vor dem Haus. Hier vergrub man die Eingeweide Romeros nach der Autopsie. „Als wir sie zwei Wochen später wieder ausgruben, waren sie immer noch frisch“, erzählt Chávez. Es war der Beginn von Romeros Aufstieg zum Heiligen. Ganz konkret wird ihm die wundersame Rettung einer Schwangeren und ihres Baby zugeschrieben. Beide waren 2015 laut Medizinern dem Tod geweiht. Die Familie betete zu Romero und sie überlebten.
Man braucht rund 20 Minuten durch den chaotischen Verkehr San Salvadors, um zur Kathedrale in der Altstadt zu gelangen. Hier liegt Romero begraben. Zu seiner Beisetzung kamen 250.000 Menschen, es war die größte Menschenansammlung in der Geschichte El Salvadors. Aber das Regime nutzte die Gelegenheit und postierte Schützen auf dem Dach des gegenüberliegenden Nationalpalastes. Sie feuerten wahllos in die riesige Trauergemeinde. Mehrere Dutzend Menschen starben, wie viele, ist bis heute unklar.
Das Grab Romeros in der Krypta der Kathedrale besteht aus einer großen bronzenen Platte, aus der sich die Totenmaske des Erzbischofs abhebt. Es wirkt, als ob er gen Himmel aufsteige. Unentwegt kommen Menschen in die Krypta, legen Blumen oder kleine Zettelchen ab. Ein Mann, er ist Straßenverkäufer, hat auf seinen geschrieben: “Danke, Monseñor Romero, für die Augen meiner Frau.“ Er erzählt, dass seine Frau eine Augenkrankheit überwunden habe, weil man zu Romero gebetet habe. Geld für einen Arzt habe man nicht. „Romero hat uns aus dem Himmel geholfen“, sagt er, „er ist der Heilige der Armen.“
– Die Recherche zu diesem Text wurde durch das bischöfliche Lateinamerikahilfswerk Adveniat ermöglicht.