DomRep: Der Larimar von Baoruco

DomRep: Der Larimar von Baoruco

Sieben Männer winken, man hält, sie steigen ein: einer im Kofferraum, zwei auf den Beifahrersitz, vier dahinter. Nach halbstündiger Fahrt auf einer Bergpiste öffnet sich im nachtfeuchten Wald eine Geröllhalde, zwei Fußballfelder groß.

Die Männer springen aus dem Jeep, »Gracias, amigo«, Verbrüderungsgesten. Einer von ihnen ist Johnny, athletisch, freundlich, offener Blick. Aber er wirkt auch ausgezehrt und müde. Seit einigen Jahren arbeitet der 23-Jährige in der Larimar-Mine von Baoruco.

Der Edelstein ist nur an zwei Orten auf der Welt zu finden. Ein winziges Vorkommen gibt es im italienischen Soave und ein schier unerschöpfliches Reservoir hier, auf der Halbinsel Pedernales im Südwesten der Dominikanischen Republik, im Innern eines namenlosen Bergs, der sich hinter der palmengesäumten Küste erhebt. Hier steigt Johnny jeden Tag tief in die Erde hinab, um einen Stein zu suchen, der so hellblau leuchtet wie der Himmel.

Er führt über das Areal. Es ist sieben Uhr früh, die Sonne kommt über die Berge, Rauch beißt in der Nase, Radios plärren. In Wellblechbuden bereiten kopftuchtragende Frauen das dominikanische Nationalgericht vor: Sancocho, eine sämige Suppe aus Bananen, Yuccawurzeln, Schweinefleisch und Knoblauch. »Unser Mittagessen«, sagt Johnny.

An den Rändern des Geländes öffnen sich schwarze Löcher. Die Eingänge zu den Minenschächten messen rund 1,30 mal 1,50 Meter. Der Schacht, in den Johnny steigt, führt senkrecht, dann waagerecht, dann wieder senkrecht in den Berg hinein. Einen breiten Schlauch hat man hinabgelassen, über den Luft in die Tunnel geblasen wird. Johnny klettert an den glitschigen Balken entlang und kriecht dann durch einen schummrigen, verschlammten Gang. Wie er sich gegen Platzangst und die Panik wehrt, hier unten verschüttet zu werden, bleibt ein Rätsel. »Gewohnheit«, sagt Johnny. Am Tunnelende angekommen, beginnt er mit Hammer, Meißel und Hacke Felsbrocken aus der Wand zu brechen. Wasser tropft ihm in den Nacken. Seine einzigen Lichtquellen: eine flackernde Glühbirne im Gang und eine LED-Leuchte auf der Stirn.

Nach einiger Zeit hat Johnny einen Plastikeimer gefüllt, den andere Arbeiter zur letzten Schachtbiegung transportieren. Von oben ziehen fünf Jungen den Eimer über eine quietschende Seilwinde hinauf. Dort wird er in einen Schubkarren geleert, und einer der Jugendlichen, vielleicht 15 Jahre alt, beginnt die Steine mit einem Hammer zu zerkleinern. Sein Oberkörper ist mit graublauer Erde verschmiert und glänzt vor Schweiß.

Rund 150 Männer zwischen 15 und 25 Jahren arbeiten in der Larimar-Mine von Baoruco. Esoteriker nennen den Schmuckstein wegen seiner blauen Farbe Atlantisstein und schreiben ihm heilende Wirkungen zu, etwa dass er gut für die Nerven sei. Meist wird der Larimar allerdings zur Herstellung von Ohrringen, Ketten und Armreifen verwendet. 100 Gramm geschliffene Steine sind für 200 Euro auf dem Markt. Hier, am Fundort, gelten andere Preise: Einer der Jungen holt einen Gesteinsbrocken aus einem Stoffsack, durch dessen Mitte sich eine dicke türkisblaue Ader zieht. 500 Pesos will er dafür, 10 Euro.

Anfang der siebziger Jahre entdeckten ein Dominikaner und ein US-Amerikaner kleine, ätherisch leuchtende Steine an den Stränden und in den Flussläufen rund um ein Fischerdorf an der Südküste der Insel: eine bis dahin nicht bekannte Art des Minerals Pektolith. Zu Ehren der Tochter des Dominikaners, Larissa, und des Meeres (mar) nannten sie ihre Entdeckung Larimar. Heute ist Larimar so etwas wie der Nationalstein der Dominikanischen Republik. Es gibt keinen Souvenirshop in der Inselrepublik, der neben Rum, Zigarren und Bernstein nicht auch Larimar-Schmuck führt. Doch kaum ein Tourist besucht je die Larimar-Mine. Dabei ist das möglich und wird sogar von einigen kleineren Veranstaltern angeboten.

Man kann dann nachvollziehen, mit welch rudimentären Mitteln der Bergbau in der Karibik nach wie vor betrieben wird. Wenn man von den Luftgebläsen und der Beleuchtung absieht, arbeiten die mineros in der Larimar-Mine immer noch mit ebenso traditionellen wie halsbrecherischen Methoden. Jedes Jahr sterben hier unten Männer, weil die Versorgung mit Sauerstoff versagt. Nach welcher Methode suchen die Arbeiter eigentlich? »Instinkt«, sagen sie. Rund zehn Männer braucht es, um einen Schacht zu graben und auszubeuten. Jede fünfte Grabung ist vergebens.

Die ersten Bergarbeiter auf der Insel Hispaniola, die sich heute in die Staaten Dominikanische Republik und Haiti aufteilt, waren die Taíno-Indianer. Die Spanier zwangen sie Anfang des 16. Jahrhunderts in die Goldminen. 50 Jahre später waren die Taínos ausgerottet, und die meisten Spanier verließen die Insel, enttäuscht von den bescheidenen Vorkommen, und zogen weiter in die Gold- und Silberländer Mexiko und Peru. Gegenwärtig gibt es in der Dominikanischen Republik immer noch eine größere Goldmine im Zentrum des Landes, außerdem werden Silber und Nickel abgebaut. Für das Geschäft mit den Touristen wichtig sind vor allem die Bernstein-Minen an der Nordküste, die ebenfalls mit einfachsten Methoden ausgebeutet werden.

In der Larimar-Mine haben sich die Bergleute in Kooperativen organisiert, was nicht bedeutet, dass alle Arbeiter gleichberechtigt sind. Während in den Schächten Dominikaner schuften, sind es an den Ausgängen Haitianer, die die Erde aus dem Berg schaffen. Die unterschiedliche Verantwortung spiegelt der Verdienst wider: Wenn die Einnahmen aufgeteilt werden, erhalten die Dominikaner mehr als die Haitianer. Am meisten Geld aber machen die Zwischenhändler und Juweliere, die in Cowboystiefeln zwischen den Schachteingängen umherstolzieren und sich Gesteinsproben zeigen lassen. Auf den Geröllhalden hocken Kinder, die mit Hämmern die Steine bearbeiten und in den Brocken nach Larimar-Spuren suchen. Dann sammeln sie die Steine in Flaschen, um sie an Touristen zu verkaufen.

Die Mine von Baoruco bietet Einblick in eine andere Wirklichkeit der Dominikanischen Republik, der als »Domrep« immer noch das Image des karibischen Ballermanns anhängt. Dabei ist gerade die herb-schöne Halbinsel von Pedernales, auf der die Mine zu finden ist, weit entfernt von allen Klischees: Hunderte Kilometer einsamer Küste, zwei große Nationalparks und eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt machen die Region zur urwüchsigsten und urtümlichsten des Landes. Aus der Luft betrachtet, gleicht sie einem Haifischzahn, der ins Meer ragt.

Von dem Nest Pedernales an der haitianischen Grenze bis zur Hafenstadt Barahona, dem Tor zur Halbinsel, führt die Landstraße 44. Sie ist so etwas wie die Route 66 der Dominikanischen Republik. Von Westen kommend, schlängelt sie sich zunächst durch menschenleeres Gebiet. Hier berühren sich die Nationalparks Jaragua und Sierra de Baoruco, die das erste Unesco-Biosphärenreservat der Insel bilden. Bis zum Horizont erstrecken sich Wälder aus Trockenbäumen, die ihre Blätter abgeworfen haben, weil es seit Wochen nicht geregnet hat. Das Wetter kommt aus Norden, vom Atlantik her, und die Wolken regnen an den nördlichen Kordilleren ab. Der Westen der Halbinsel von Pedernales ist daher die trockenste Region des sonst so tropisch-feuchten Landes.

In der Nähe liegt auch der Enriquillo-See, der eigentlich ein unterirdisch gespeistes Binnenmeer ist und dessen Wasserspiegel seit einiger Zeit aus unerklärlichen Gründen ansteigt. An den Ufern dösen meterlange Leguane, während im Wasser die letzten frei lebenden Krokodile der Insel schwimmen. Weiter südlich, an der Küste, liegt die kleinere Laguna de Oviedo, Heimat einer Kolonie von Flamingos, deren rosa Gefieder im Salzwasser schimmert.

Je weiter man aber nach Osten gelangt, umso üppiger und Bougainvillea-bunter wird die Halbinsel. Aus den Bergen rauschen Flüsse herab. Ihr kühles Wasser staut sich an einigen Stellen zu natürlichen Badeanstalten, an deren Ufern Händler Fischbällchen und Bier verkaufen. An den Wochenenden fallen hier Scharen von Großfamilien ein, die mit Rum und der berüchtigten dominikanischen guten Laune bewaffnet sind. In der Nähe der Badebecken von San Rafael steigt die Piste zur Larimar-Mine an, die in der Gemeinde Las Filipinas liegt.

Etwas unterhalb der Mine finanziert die Europäische Union gerade mit 2,3 Millionen Euro den Bau eines eisenbahntunnelgroßen Schachts, dessen Wände mit Beton ausgegossen sind. Er soll die mit Holz gestützten Schächte ersetzen und den Arbeitern einen sicheren Zugang in den Berg ermöglichen. Doch so mürbe die kleinen Schächte erscheinen mögen – die Arbeiter schwören auf sie. »Die haben schon Erdbeben überstanden«, meint Johnny.

Nach holpriger Fahrt hinunter zur Küste findet man schnell eine Werkstatt, die den erworbenen Gesteinsbrocken in Scheiben schneidet und schleift. Dutzende von Manufakturen haben sich im Dorf Baoruco auf die Verarbeitung des Schmucksteins spezialisiert. Unter ohrenbetäubendem Kreischen zerteilt der Handwerker den Brocken mit einer wassergekühlten Kreissäge. Anschließend schleift seine Frau die Oberflächen so lange glatt, bis sie hellblau leuchten. So hellblau wie das Meer, an das die Minenarbeiter am Abend wieder zurückkehren werden, nachdem sie tief unter der Erde ihr Glück versucht und ihr Leben riskiert haben.