Der massige Körper von José Dalla Rosa sorgt für leichte Schlagseite in dem kleinen Boot, das den Rio Crepori hinab tuckert. Der Fluss mäandert träge durch den Amazonasdschungel, am Ufer ragen Baumriesen in den Himmel, Papageien schnattern.
Nur ab und zu wird das Bild der Wildnis gestört von schwimmenden Plattformen. Breite Schläuche führen über sie in den hellbraunen Fluss. „Sie pumpen Wasser für unsere Minen ab“, sagt Dalla Rosa.
Der 65-Jährige ist Goldsucher, er gräbt rund um den Ort Creporizão im brasilianischen Urwald nach dem Edelmetall. Nun ist er auf dem Weg zur Grabungsstelle eines Kollegen, denn er ist auch Sprecher der Goldsucherkooperative, will nach dem Rechten sehen. Die harte Arbeit hat Dalla Rosas Körper geformt: Hände wie Pranken, breiter Rücken, gebückte Haltung. „Goldsuchen ist ein Glücksspiel“, sagt er. „Du verlierst, aber du gewinnst auch. Deswegen machst du immer weiter, es ist wie ein Fieber.“
In Brasilien heißen Männer wie Dalla Rosa: Garimpeiro. Es bedeutet Goldgräber, aber es schwingt immer auch etwas von Halunke, Raufbold und Pistolero mit. „Das sind alte Legenden“, sagt Dalla Rosa. „Die letzte Schießerei in Creporizão liegt schon Jahre zurück.“
Heute gehe es zivilisiert zu, das ist Dalla Rosa wichtig, sogar eine kleine Polizeiwache gebe es in dem Ort mit 5000 Einwohnern. Besonders stolz ist er aber darauf, dass die 200 Goldgräber seiner Kooperative staatliche Schürflizenzen hätten und nicht wie Tausende andere Männer im Amazonasbecken illegal nach Gold suchten. Aber natürlich könne er auch nicht für jeden Mann in Creporizão die Hand ins Feuer legen. Es gebe ja täglich Neuankömmlinge. Und die machten unter Umständen illegale Dinge, das sei normal.
Dalla Rosa zeigt zur linken Uferseite, wo die Bewaldung besonders dicht und üppig ist. Dort liegt das Nationale Waldschutzgebiet Crepori. „Da dürfen wir nicht rein“, sagt er. „Aber manche machen es doch.“ Ende vergangenen Jahres seien deswegen Beamte der Umweltbehörde Ibama mit Helikoptern gekommen. Sie verbrannten 15 Bagger der Goldgräber. So etwas findet Dalla Rosa übertrieben. „Man kann doch mit den Kollegen reden. Sie müssen ja auch überleben. Die Regierung soll einfach das Naturschutzgebiet verkleinern, das Gold ist ja da, man muss es nur ausgraben.“
Was in Creporizão geschieht, ist die Art von Fortschritt, wie sie Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro vorschwebt. Er sagt: „Wir werden den Amazonas ausbeuten.“ Bolsonaro hat zu diesem Zweck die Umweltbehörden Ibama und ICMBio geschwächt und wichtige Positionen im Umweltbereich mit Militärs besetzt. Er hat Strafaktionen gegen Holzfäller aussetzen lassen, und die Verantwortung für die Indio-Reservate möchte er ausgerechnet dem Agrarministerium geben. Im Juni schrumpfte seine Regierung dann 60 Waldschutzgebiete zusammen, um neue Straßen bauen zu können. Als „Öko-Schiiten“ beschimpft Bolsonaro Umweltaktivisten gerne. Den Klimawandel hält er für eine Erfindung seiner Erzfeinde, der Linken.
Männer wie José Dalla Rosa sind für Bolsonaro hingegen Helden! Die Garimpeiros verdienten Respekt und sollten frei arbeiten dürfen, sagt er, das Goldsuchen liege den Brasilianern im Blut, er selbst habe es als junger Mann gemacht. „Bolsonaro ist unser Verbündeter“, sagt Dalla Rosa. „In Crepurizão haben in alle gewählt.“
Umweltschützer sehen in Goldgräbern wie José Dalla Rosa die Vorhut der wirtschaftlichen Ausbeutung des Amazonaswalds, dieses riesigen, für das Klima so wichtigen Ökosystems, das laut Max-Planck-Institut so viel CO2 speichert, wie die Menschheit in fast einer Dekade freisetzt. Denn wo die Goldsucher auftauchen, vertreiben sie erst die Ureinwohner, oft gewaltsam. Dann folgen ihnen die Holzfäller und Viehzüchter und schließlich die Agrarindustrie mit ihren Flächen verschlingenden Monokulturen. Es werden Straßen, Landepisten und Häfen gebaut. Aus Siedlungen werden Städte. Wald wird zu Weideland und Feldern.
Besonders besorgniserregend: Das Tempo der Waldvernichtung hat sich seit 2012 wieder beschleunigt, nachdem es mehrere Jahre lang zurückgegangen war. Im Jahr 2018 holzten die Brasilianer laut Umweltschutzorganisation Imazon so viele Bäume ab wie seit 2008 nicht mehr.
Creporizão ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung. Der Ort im Bundesstaat Pará liegt am Ende einer Staubpiste, die nächste Siedlung ist fünf Stunden entfernt. „Als ich vor 32 Jahren nach Creporizão kam, gab es kein einziges Haus“, erinnert sich José Dalla Rosa. „Der Weg führte durch dichten Dschungel, wir waren Pioniere.“
Heute fährt man entlang ausgedehnter Rinderweiden. Wo noch Wald steht, sieht man manchmal die Spuren schwerer Fahrzeuge, die ins Dickicht führen. Die Strecke nach Creporizão trägt nicht umsonst den Namen Transgarimpeira, Goldgräberstraße. Fährt man sie in entgegengesetzter Richtung gelangt man irgendwann zur Überlandstraße BR-163. Diese wird auch Soja-Highway genannt, weil hier schier unendliche Lkw-Kolonnen das Getreide aus dem Süden zu den Flusshäfen im Norden transportieren. Das Amazonasbecken, so der Eindruck, ist schon lange kein unberührtes Paradies mehr, sondern eine dynamische Wirtschaftsregion, die sich unaufhaltsam und aggressiv ausdehnt.
Dalla Rosas Boot macht am Ufer halt, er steigt eine Böschung hinauf, läuft einen Pfad durchs Unterholz, Motorenlärm wird lauter. Die Vegetation öffnet sich, und er hält vor einer Grube, circa 40 Meter Durchmesser, rund sieben Meter tief. Unten stehen fünf Männer im Schlamm. Sie halten Schläuche, aus denen Wasser schießt, und waschen den Untergrund aus.
Vom Grubenrand verfolgt José Carvalho mit nacktem Oberkörper die Arbeiten, er ist der Chef hier. Der schwarze Mann mit stattlichem Bauch trägt eine Baseballkappe, zerrissene Hosen und Flipflops. Er begrüßt Kooperativenchef Dalla Rosa per Handschlag. „Alles gut?“, fragt Dalla Rosa. „Alles gut“, sagt der 56-jährige Carvalho. Wie Dalla Rosa ist er ein Veteran in Creporizão, seit 24 Jahren hier.
Die Suche nach Gold funktioniert meist so: Erfahrene Goldsucher wie Dalla Rosa oder Carvalho, die es mit den Jahren zu Geld gebracht haben, pachten ein Stück Wald und lassen Probebohrungen vornehmen. Findet man Gold, wird die Vegetation gerodet und vier bis fünf Arbeiter werden angeheuert. Nun kommen entweder Bagger zum Einsatz, oder das Terrain wird mit Wasser ausgewaschen, so wie in der Grube von Carvalho. Das Benzin sowie das gesamte Equipment aus Motoren, Pumpen und Schläuchen stellt er.
Die Arbeiter schlafen vor Ort in Hängematten und improvisierten Zeltlagern, wo sie von einer Köchin versorgt werden. Am Ende bekommt jeder der Männer fünf Prozent des Gewinns, die Köchin erhält fest 30 Gramm Gold pro Monat. Kein schlechter Verdienst, je nach Goldpreis sind das bis zu 4400 Reais, rund 1000 Euro. Die Köchin könnte ihr Gehalt natürlich aufbessern, wenn sie „nett zu den Arbeitern“ sei, sagt Carvalho zu Dalla Rosa und beide lachen.
Unten in der Grube rattert ein Motor. Er pumpt Wasser und Schlamm nach oben. Sie ergießen sich in eine Art Holzrutsche. „Sie ist mit speziellen Teppichen ausgelegt“, erklärt Dalla Rosa und fasst in den Strom aus Schlammwasser. „Darin bleiben schwerere Teile hängen.“ Nach einem Monat wasche man die Teppiche aus. „Wir finden meistens etwas“, sagt er. „Der Boden steckt voller Gold.“
Erst auf Nachfrage gibt er zu, dass man bei dem Prozess auch Quecksilber verwende. Die Goldsucher mischen den Schlamm mit dem Schwermetall, weil es das Gold bindet und mit diesem ein Amalgam bildet. Um ein Kilo Gold herauszulösen, brauche man rund 100 Gramm Quecksilber, sagt Dalla Rosa. Dabei verliere man circa zwei Gramm des Schwermetalls. Verlieren, das heißt, dass das Quecksilber im Fluss Crepori landet. Der fließt in den größeren Rio Tapajós, der in den riesigen Amazonas fließt, der in den Atlantik mündet.
Dalla Rosa sagt, dass die zwei Gramm ja nicht viel seien.
Tatsächlich aber verseuchen sie Millionen Liter von Wasser. Und: In der Region um Creporizão gibt es etwa 200 Goldgruben, einige davon 20 mal so groß wie die von José Carvalho. Rund 2100 legale Grabungsorte zählt das brasilianische Bergbauministerium im Land. Auf mindestens 2560 schätzt das Netzwerk für Geobasierte Sozio-Ökologische Informationen (RAISG) die Zahl der illegalen Abbaugebiete im gesamten Amazonasbecken. Eine Studie des brasilianischen Wissenschaftsministeriums kam 2016 zu dem Ergebnis, dass zwischen elf und 161 Tonnen Quecksilber jährlich aus Goldminen in die Umwelt gelangen.
Es bedeutet, dass große Teile der äußerlich so unberührt wirkenden Amazonasregion vergiftet sind. Selbst aus abgelegenen Indio-Dörfern werden heute Fälle von Nervenschäden bekannt. Viele Indios stellen bereits ihre Ernährung um, essen keinen Fisch mehr. Dalla Rosa sagt: „In Creporizão essen wir Fleisch und Pizza. Weil es besser schmeckt!“
Auf dem Rückweg erzählt er, wie er mit Anfang 30 hierher kam. Er wurde im Süden Brasiliens geboren, stammt von armen italienischen Einwanderern ab. In den Achtzigerjahren folgte er dann dem Ruf der Regierung nach Norden, sie wollte den Amazonas wirtschaftlich erschließen. „In Creporizão waren die Grundstücke entlang der Staubstraße bereits abgesteckt“, erinnert sich Dalla Rosa. Auf einem baute er ein Haus und begann einen Teich zu buddeln, um Fische zu züchten. „Ich fand Gold und es packte mich. Wir waren damals alles arme Schweine hier.“
Heute besitzt Dalla Rosa zwei Minen, in denen jüngere Männer für ihn schuften, so wie bei Kollege Carvalho. Außerdem verpachtet er 85 Hektar Weideland. Und er betreibt eine Pizzeria.
Von so einem Werdegang träumen viele in Creporizão. Auf der Hauptstraße sind Männer in Jeans und Cowboyhüten unterwegs. Sie kommen aus allen Teilen Brasiliens, wollen in einer der Minen anheuern oder vielleicht irgendwo illegal graben.
Vor dem Hotel „Brasilia“ an der Hauptstraße sitzt ein junger Mann in kariertem Hemd und Turnschuhen. Er heiße Deleon, sei 27 Jahre alt, erzählt er, stamme aus dem Bundesstaat Maranhão, einem der ärmsten Landstriche Brasiliens. Dort habe er auf der Gemüsefarm seiner Familie gearbeitet, aber keine Perspektiven mehr gesehen. Es sei zu trocken, regne viel zu wenig. Deswegen habe er sich aufgemacht nach Creporizão – auch bestärkt vom Versprechen Präsident Bolsonaros, der gesagt hat, dass Schluss sein muss mit der Kriminalisierung der Garimpeiros. Nun hofft Deleon auf Arbeit im Goldbusiness.
Deleon blickt zu einem Geschäft auf der anderen Straßenseite. Davor sind Generatoren ausgestellt, auf dem Boden liegen zusammengerollte Schläuche. Der Laden heißt „Haus des Goldsuchers“, hier gibt es alles für den Minenbedarf: Kettensägen, Pumpen, Schaufeln, Hacken, Gummistiefel.
Gleich daneben finden sich die Läden der Gold-Zwischenhändler, an deren Fassaden schlicht und einfach steht: „Ouro“, Gold. Ein Tresen, Goldwaagen und ein Schmelztiegel, mehr brauche es nicht, sagen zwei junge Männer, die ihren Onkel im Laden vertreten. Sie zeigen einen Nugget, der gerade gebracht wurde, er wiegt vier Gramm, sei aber unrein, deswegen zahle man nur 105 Reais pro Gramm, rund 24 Euro. Angst vor Überfällen haben sie nicht, denn wohin wolle ein Dieb entkommen. Im Wald hole ihn der Jaguar.
Die Zwischenhändler schicken das zu Barren geschmolzene Gold per Propellermaschine in die Provinzstadt Itaituba. Dort übernehmen es weitere Zwischenhändler, bringen es nach São Paulo, und es wandert zu Banken oder Goldschmieden. Man schlage beim Verkauf 20 Prozent auf, sagen die Jungs, das Geschäft laufe „ótimo“, optimal. Rund 60 Kilo Gold sollen jeden Monat in Creporizão umgesetzt werden, hört man. Es würde einem Marktwert von 2,37 Millionen Euro entsprechen. José Dalla Rosa sagt: „Die lokale Ökonomie brummt.“
Dass viel Geld in Creporizão vorhanden ist, spürt man auch an den Preisen. Ein einfacher Kaffee kostet mehr als in São Paulo, die kleinen Hotels sind die teuersten der ganzen Region, und das für den Betrieb der Garimpos unerlässliche Benzin ist um ein Vielfaches teurer als in der nächsten Kreisstadt – die freilich eine Tagesreisen entfernt liegt.
Natürlich zieht so ein prosperierender Männerort auch Prostituierte an. An der oberen Hauptstraße liegt das Vergnügungsviertel von Creporizão, hier reihen sich die Bars mit Holzveranden wie im Wilden Westen. Brasilianische Country-Musik dröhnt heraus, auf den Veranden sitzen leicht bekleidete Frauen und spielen mit ihren Handys. „Schon mancher Garimpeiro hat dort sein ganzes Gold gelassen“, sagt José Dalla Rosa beim Abendessen in seiner Pizzeria. Der Name einer Bar gefalle ihm übrigens besonders gut. Sie heißt „Paradies auf Erden.“ Am Ende könnte es das letzte Paradies sein, das vom Amazonas übrig bleibt. Und José Dalla Rosa hätte daran seinen Anteil.
– Die Recherche zu dieser Reportage wurde vom Lateinamerikahilfswerk Adveniat ermöglicht.