Duisburg: Die Mafia vergisst nicht

Duisburg: Die Mafia vergisst nicht

Ein Auftragsmörder aus Kalabrien, aufgewachsen in Mülheim an der Ruhr, schon lange ausgestiegen aus seinem Geschäft und vom Kölner „Express“ am Donnerstag befragt an seinem geheim gehaltenen Wohnort, sagt den Satz: „Wo es Pizza gibt, ist auch die Mafia zu Hause.“

Dass er redet, ist nicht selbstverständlich. Mindestens vier Morde hat Giorgio Basile begangen, ehe er die Seiten wechselte und zum Kronzeugen gegen die ’Ndrangheta wurde, die Verbrecherorganisation, in deren Diensten er einst stand und auf deren Konto nun die sechs Toten von Duisburg gehen sollen. Basile sagt auch: „Sechs Tote in Deutschland. Das ist eigentlich nicht normal. Da muss irgendetwas schiefgelaufen sein.“

In Duisburg aber herrscht Schweigen. Zumindest bei denjenigen, die etwas wissen könnten. Diejenigen, die nichts wissen, reden stattdessen umso mehr. Sie stehen den ganzen Tag lang in der Parkplatzeinfahrt im Stadtzentrum, wo in der Nacht zuvor die sechs jungen Männer erschossen wurden. Oder sie sitzen auf den Blumenkübeln vor dem verrammelten Restaurant Da Bruno. Taxifahrer, Hausfrauen, Jugendliche erzählen, dass sie betroffen seien, und dass sie sich niemals hätten vorstellen können, dass so etwas hier passiert. In Italien, klar, aber im Ruhrgebiet, wo so viele Italiener seit Jahrzehnten friedlich leben?

Es gibt allerdings auch diejenigen, die die Opfer gekannt haben müssen, mit ihnen verwandt oder befreundet waren. Sie schauen meist ernst, tragen Sonnenbrillen, legen Blumen nieder, bleiben nur kurz, sagen gar nichts oder geben sich bedrohlich. Ein junger Mann, wohl keine 18 Jahre alt, schaut auf die frischen weißen Rosen, die eine Frau kurz zuvor am Tatort abgelegt hat.

„Kannten Sie denn die Toten?“

„Kein Kommentar!“

„Kennen Sie jemanden, der reden würde?“

„Ja, klar“, sagt er und zeigt auf seinen Hosenlatz.

Auch zwei ältere beleibte Männer in T-Shirts, die aus einem Mercedes aussteigen, kurz die Blicke schweifen lassen und wieder verschwinden, bleiben bedeutungsvoll einsilbig. Am Abend, in den Pizzerien und italienischen Restaurants von Duisburg, hört man zwei Sätze immer wieder: „Ich sag nichts“ oder „ich weiß nichts“.

Da ist es noch keine 24 Stunden her, dass Sebastiano S. das Da Bruno verließ und abschloss. Wenige Minuten zuvor hatte der 38-Jährige noch mit fünf Freunden in dem bekannten Restaurant gesessen, dessen Chefkoch und Mitinhaber er ist. Sein neuer Lehrling Tommaso-Francesco V. ist in dieser Nacht 18 Jahre alt geworden. Zur Feier hatten sie die Brüder Francesco P. und Marco P. eingeladen. Die beiden, 22 und 20 Jahre alt, arbeiteten als Aushilfen bei S. Auch Francesco G. ist mit von der Partie, er ist der Jüngste der Gruppe, 16 Jahre alt. Und noch einer feiert mit: Marco M., 25. Kurz nach zwei Uhr morgens sind alle tot.

Die Mörder der Sechs schlugen an einem der höchsten italienischen Feiertage zu: „Assunzione di Maria Vergine“, Maria Himmelfahrt. Für die Angehörigen der Opfer gesellt sich dadurch zur Trauer noch die Demütigung.

Das Da Bruno ist im Erdgeschoss des Silberpalais’ untergebracht, ein Bürokomplex, der in Duisburg Klöcknerhaus genannt wird. Der Hauptbahnhof liegt wenige hundert Meter um die Ecke. Das Restaurant gilt als Edel-Italiener, auf der Speisekarte stehen kalabresische Spezialitäten. Mitinhaber S., der seit 20 Jahren in Deutschland lebt und zahlreiche Restaurants eröffnete und wieder schloss, hat hier schon Thomas Gottschalk und Fritz Egner begrüßt. Auf einem Erinnerungsfoto stehen die Männer eng beieinander, und S., ein kleiner, kräftiger Mann mit einem weichen Gesicht und dunklen Locken, trägt seine weiße Küchenkluft und lächelt schüchtern. Doch trotz der Prominenz behaupten manche, dass das Da Bruno oft leer gewesen sei und S. Geldsorgen gehabt habe.

Aus Italien treffen am Donnerstag zwei Ermittler im Duisburger Polizeipräsidium ein, zwei sind bereits seit Mittwochabend hier. Sie sollen den deutschen Kollegen, die sich bisher mit der italienischen Mafia nicht auskannten, auf die Sprünge helfen. Und fast stündlich kommen auch neue Informationen aus Italien, die sich schließlich zu einem Bild verdichten. Marco M., meldet die italienische Nachrichtenagentur Ansa, könne das eigentliche Ziel des Mordanschlags gewesen sein. Sie bezieht sich dabei auf die Aussagen von italienischen Ermittlern. Marco M. sei auf der Flucht gewesen, wollte sich in Deutschland verstecken. Er soll auch versucht haben, an eine Waffe zu gelangen.

Der 25-Jährige wird verdächtigt, in einen Mord verwickelt zu sein. Das Opfer war die Frau eines ’Ndrangheta-Führers. Sie wurde am ersten Weihnachtsfeiertag des vergangenen Jahres im kalabresischen San Luca erschossee. Die Ermittler vermuten, dass damit eine alte Fehde zwischen rivalisierenden ’Ndrangheta-Clans wieder aufflammte. Diese war bei einer Karnevalsfeier in San Luca 1991 ausgebrochen. Junge Leute bewarfen sich mit Eiern, es wurde eine Rangelei daraus, und am Ende lagen zwei Männer tot auf der Straße. Deren Familien stritten sich daraufhin jahrelang weiter, bis aufs Blut. Die Bilanz: sechs Tote. Erst im Jahr 2000 kam es zu einem Waffenstillstand.

Dann geschah der Mord an der Frau des ’Ndrangheta-Führer an Weihnachten 2006. Seitdem wurden mindestens drei weitere Menschen getötet. Und nun die Mordnacht von Duisburg. „Diejenigen, die Rache üben wollten, erreichten ihn eher als die Justiz“, kommentiert Italiens Innenminister Giuliano Amato, ohne sich jedoch auf Marco M. festzulegen. Konkreter wird er nicht.

Vieles ist widersprüchlich. Amato sagt, dass der von den Duisburger Mördern Gesuchte bereits vor einigen Wochen nach Deutschland gekommen sein soll, die italienische Zeitung „La Repubblica“ wiederum berichtet, dass Marco M. noch am vergangenen Samstag zu einer Unterredung im Polizeipräsidium der Region Kalabrien gewesen sei. Er solle nachts nicht aus dem Haus gehen, keinen Kontakt aufnehmen zu Leuten, die vorbestraft seien, hätten die Polizisten ihm dort geraten.

Nun schwirren die Gerüchte in Duisburg umher. Tatsächlich waren einige der Ermordeten wegen kleinerer Delikte bei der Polizei bekannt, auch wegen Geldwäsche. Und Sebastiano S., der Mitinhaber des Da Bruno, sei in der Mafia gewesen, versichert eine Freundin des Lehrlings Tommaso, die ihren Namen nicht sagt. Tatsächlich scheint bei seinen Geschäften einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen zu sein. Als Inhabergesellschaft des Da Bruno wird die Firma S. G. Aquasanta aufgeführt. Doch die Gesellschaft wurde bereits im November 2004 „wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht“.

Unter ihrer Adresse findet sich die Wohnung von Sebastiano S. in einem kleinen Altbau in der Duisburger Altstadt. Der Aufkleber mit seinem Namen ist vom Klingelschild verschwunden. Nach dem Klingeln meldet sich niemand. Gleich neben dem Haus wird ein ehemaliges Restaurant entkernt. Es ist das Teatro, das auch einmal S. gehörte. Eine Bücherei soll hier unterkommen. Die Internetseite des Da Bruno ist inzwischen aus dem Netz verschwunden.

Am Tatort fragen unterdessen die Neuankömmlinge, wo alles passiert sei. Mehrere Regenschauer haben die grün-gelben Markierungen, mit denen die Polizei die Stellung der Autos markierte, sowie das Blut vollständig weggewaschen. Ein paar Scherben, winzige Blutreste und weiße Rosen sind noch da. Kameramänner lassen Jugendliche daneben Aufstellung nehmen, die für die Abendnachrichten betroffen schauen sollen. Als das Licht aus ist, kichern sie wieder los.

Vor dem Da Bruno ist eine kleine Gedenkstätte entstanden. Kerzen stehen hier, Blumensträuße liegen daneben und anonyme Abschiedsgrüße: „Ciao Tommaso, Forza Bologna“, steht auf einem. Auf einem Blatt Papier hat jemand in Italienisch geschrieben: “Ciao Sebastiano, Du wirst mir fehlen, ich stehe wirklich unter Schock. Das ist das Brutalste, in meinem Leben passiert ist.”