Vor Mary’s Hair Clinic findet eine Operation statt. Fünf Ärztinnen stehen um die Patientin herum, ziehen an ihren Haaren, kämmen, flechten, straffen und streicheln sie.
Eine Krankenschwester reicht künstliche Strähnen. Seit über einer Stunde geht das schon so. „Na, mindestens zwei, drei Stunden brauchen wir noch“, sagt Benedicta, die Chef-Flechterin, „wird ein Twist, ist gerade sehr angesagt“. Von der Patientin, die mit geschlossenen Augen auf einem Plastikstuhl ausharrt, ist ein leises Stöhnen zu vernehmen.
Mary’s Hair Clinic liegt mitten in Accra, der quirlig-brütenden Hauptstadt Ghanas. Der Friseurladen ist einer von zehntausenden Salons, die die westafrikanische Metropole zu einem Zentrum der afrikanischen Haarmode gemacht haben.
Ihre Zahl hat sich seit Ende der 90er mehr als verdoppelt, wie sogar akademische Studien ergeben haben. Keine Straße, kein Strand, kein Markt mehr ohne kiosk, wie die oft in bunten Holzverschlägen untergebrachten Läden heißen. In ihnen werden immer neue Ideen zur Haargestaltung ausprobiert, die Vielfalt der Frisuren ist ins Unendliche gewachsen. Wobei es sich ja meist gar nicht mehr um Frisuren handelt, sondern um kleine Kunstwerke.
Noch vor nicht allzu langer Zeit nahmen viele schwarze Frauen ihr Haar als problematisch wahr. Mithilfe von teils aggressiven Chemikalien versuchten sie, ihre Naturkrause zu glätten und so dem „weißen“ Schönheitsideal zu entsprechen. Jetzt erlebt sogar der Afro seine längst überfällige Renaissance – von New York bis Accra, von Dakar bis Paris, von Lagos bis London. Die Experimentierfreudigkeit ist dabei immer auch ein Ausdruck des großen Selbstbewusstseins von Afrikas Frauen.
Mary’s Hair Clinic ist in einem geduckten Betonbau untergebracht. Der Salon besteht aus fünf Stühlen und drei Trockenhauben. In den Regalen stapeln sich Tuben mit „Hair Relaxing“-Cremes, an der Wand hängen Haarteile von Firmen wie Darling oder Diva. Jemand hat ein Poster aufgehängt: „Future Queens!“ Ein Schild neben dem Eingang verkündet „Dark & Beautiful“. Weil im Salon also wenig Platz ist, kriegt Rashida ihren Twist im Schatten eines Flamboyans verpasst. Beim Twist werden in die wenige Zentimeter langen Haare unzählige Mikrozöpfe eingeflochten. Die Länge ist beliebig, kann bis zu einem Meter betragen.
Alle Frauen, die hier flechten, sind Azubis. Von einem wahren Run auf die Ausbildung unter Frauen mit einfacher Bildung berichten Soziologen. Sie würden Haargestaltung als angesagte und anspruchsvolle Tätigkeit wahrnehmen, bei der Frauen unter sich blieben, was sie als angenehm empfinden. Es gebe weder männliche Friseure noch spezifische Frisuren für Männer, was sich bei einer Reise durch Ghana leicht bestätigen lässt.
Viele der Frauen eröffnen dann nach der Ausbildung einen Laden, nicht selten in den eigenen vier Wänden, immer auf der Suche nach einem neuen, originellen Namen: „You are Precious“, „Golden Comb“, „It’s never too late“ oder „God’s Will“. Wohlhabendere Frauen wechseln ihren Haarstil alle zwei Wochen, ärmere alle vier bis sechs. Zwischen fünf und 25 Euro kostet das künstliche Haar umgerechnet, die Session im Friseursalon nochmal genauso viel. Das ist viel Geld in Ghana, aber länger hält es offensichtlich keine mit der gleichen Haartracht aus.
Zwar gibt es Haupttechniken wie die traditionellen Cornrows (eine Flechtfrisur mit am Kopf anliegenden Originalhaarzöpfen) oder Ghana Braids (Kunsthaarzöpfe, deren Einbringen schmerzen kann). Diese lassen sich aber unendlich variieren. Hinzu kommen Dutzende von eingewebten und kombinierbaren Haarteilen und Perücken, die oft nach Showstars wie etwa Nicki Minaj benannt sind.
Eins fällt beim Fotografieren immer wieder auf. Egal, ob im wohlhabenden Viertel Osu oder im slumartigen Jamestown, egal, ob die 21-jährige Bankangestellte Asiedu oder die 39-jährige Straßenverkäuferin Augustina:
Sie alle tragen ihre Frisuren wie Königinnen – mit Stolz und Würde.
In Mary’s Hair Clinic ist der Twist unterdessen fertig geworden. Ganze vier Stunden hat Rashida auf das Ergebnis gewartet. Erleichtert sagt sie zwischen ihre neuen Zöpfen hindurch: „Unsere Haare sind die Krönung.“