Es lief die 83. Minute im Pokalspiel gegen Grêmio Porto Alegre, als der Torwart von Santos FC dem Schiedsrichter andeutete, dass er von den Rängen rassistisch beschimpft würde. Der Unparteiische unterbrach das Spiel – und notierte anschließend im Spielbericht, dass Santos das Match verzögert und der Torwart des Teams, Mario Duarte, die Fans mit obszönen Gesten beleidigt habe.
Schlecht für den Schiedsrichter, dass Kameras eine junge Anhängerin von Grêmio filmten, die hasserfüllt „macaco“ in Duartes Richtung brüllte. Macaco heißt Affe und ist in Brasilien eine strafbare rassistische Beleidigung. Andere Grêmio-Fans machten Affenlaute, riefen „stinkender Schwarze“ und griffen sich unter die Arme. Die Bilder liefen in Endlosschleife im Fernsehen und im Internet und haben in Brasilien eine Debatte neu angefacht, die so alt ist wie der brasilianische Fußball selbst: Welche Rolle spielt die Hautfarbe auf dem Platz. Man sollte – insbesondere in einem Land, das sich als „Rassendemokratie“ versteht – meinen: keine. Doch das ist eine Illusion.
Vorfälle mit rassistischem Hintergrund gibt es in Brasilien so gut wie jeden Woche. Da hört ein schwarzer Schiedsrichter während des Spiels „Zurück in den Wald!“-Rufe und findet hinterher Bananen auf seinem demolierten Auto. Der schwarze Angreifer Marcos Arouca von Santos wurde im März dieses Jahres nach einem Pokalspiel beim drittklassigen Mogi Mirim von gegnerischen Fans bedrängt und „Affe“ gerufen. Sogar Superstar Neymar berichtet von rassistischen Beleidigungen, als er 2013 noch bei Santos spielte.
Ein Fall der schon länger zurückliegt: Der Verteidiger Danilo Larangeira vom Erstligaklub Palmeiras nennt 2010 seinen Gegenüber Manoel Messias von Atlético Paranaens „Scheißaffe“ und bespuckt ihn. Larangeira wurde damals für elf Spiele gesperrt, und 2013 dann zu und einem Jahr Gefängnis oder ersatzweise der Zahlung von umgerechnet 110.000 Euro verurteilt. Das Urteil ginge wegen seiner Härte in die Geschichte des brasilianischen Fußballs ein. Abschreckend gewirkt hat es offenbar nicht.
Wohl auch deshalb hat der brasilianische Fußballverband CBF auf den jüngsten Vorfall scharf reagiert. Der Fußballclub Grêmio, den seit kurzem Ex-Nationalcoach Felipe Scolari trainiert, wurde vom obersten Sportgericht Brasiliens vom Pokalwettbewerb ausgeschlossen. Das Schiedsrichtergespann wurde suspendiert.
Erstaunlich bleibt, dass der brasilianische Fußball, der als Symbol der Gleichberechtigung gilt und ohne seine schwarzen Spieler nicht viel zu bieten hätte, so anfällig für rassistische Vorfälle ist. Es mag mit der Geschichte zu tun haben. Als der Fußball Anfang des 20. Jahrhunderts in Brasilien Fuß fasste, war er ein Elitensport. Schwarzen war es untersagt, mitzuspielen – bei Grêmio Porto Alegre sogar bis in die fünfziger Jahre. Woanders weichte das Verbot nur allmählich auf. Bis heute berühmt ist der Fall des farbigen Spielers Carlos Alberto von Rios Club Fluminense, der sein Gesicht 1914 mit Reismehl weißte, um mitspielen zu können – weswegen die Anhänger von Fluminense bis heute Reismehl in die Luft schmeißen.
Wenige Jahre später trat Arthur Friedenreich in Erscheinung. Sohn eines deutschen Einwanderers und einer schwarzen Wäscherin wurde er zum ersten Star der brasilianischen Nationalmannschaft. Bis heute ist „Fried“ mit geschätzten 1329 Toren brasilianischer Rekordtorschütze. Dennoch war es ihm verboten, Schwimmbäder, Kinos oder Freizeitclubs zu betreten. Selbst in der Bar neben dem Juwelierladen in Rio, der seine Schuhe nach dem Gewinn der Amerikameisterschaft ausstellte, durfte er kein Bier trinken.
Damals wie heute wird der schwarze Fußballer offenbar als eine Art Gladiator gesehen, der sich für die Zuschauer aufreiben und unterhalten soll, aber sonst keine Rechte hat. Insbesondere bei Spielen der brasilianischen Nationalmannschaft, die im Stadion fast ausschließlich von einem weißen Publikum verfolgt werden, kann man beobachten, wie schlechte Leistungen schnell mit Hohn und Spott quittiert werden.
Dabei ist der Rassismus im Stadion nur der Ausdruck des Rassismus in der brasilianischen Gesellschaft. Beim Fußball, so scheint es, kann man allen Anstand fahren lassen. Einige Zuschauer fühlen sich dabei in der vermeintlichen Anonymität des Fanblocks sicher. So auch die junge Anhängerin von Grêmio deren „Affe“-Rufe die Kameras einfingen. Beim Fußball, so mag sie gemeint haben, ist ein bisschen Rassismus legitim. Eine Fehleinschätzung. Das Militärhospital, in dem sie arbeitete, hat sie entlassen. Sie muss sich außerdem vor Gericht verantworten. Rassistische Beleidigungen werden in Brasilien als Verbrechen geahndet und mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft. Der „Affe“-Ruf ist in Brasilien so etwas wie der Hitlergruß in Deutschland.
Der Vorfall dürfte dennoch nur einer unter Dutzenden sein. Der Sozialwissenschaftler Marcel Diego Tonini von der Universität Sao Paulo hat das Thema erforscht, Er meint, dass schwarze Spieler sich schon als Jugendliche an rassistische Beschimpfungen gewöhnten. Sie glaubten irgendwann, es bringe nichts, sich noch dagegen zu wehren. Dem Torhüter Duarte ist nun zum Glück der Kragen geplatzt.