WM-Auslosung: Feen in der Plastikwelt

Es gibt im Zentrum von Rio de Janeiro eine vielbefahrene Kreuzung mit einem großen Trafohäuschen. In schwarzer Schrift steht dort, für Passanten und Autofahrer nicht zu übersehen: „Não vai ter Copa!“ – Es wird keine WM geben!

Der Spruch ist ein Überbleibsel der Massendemonstrationen, die Brasilien im Juni während des Fifa-Confed-Cups erschütterten. Und er ist natürlich falsch. Denn wenn keine Katastrophe eintritt, wird die Fußball-Weltmeisterschaft kommenden 12. Juni in Brasilien angepfiffen.

Ebenso klar ist, dass dann keine Forderung der Demonstranten erfüllt sein wird: weder die nach besseren Schulen noch die nach mehr öffentlicher Sicherheit und einem Ende der Korruption in Politik und Wirtschaft. Wir wollen Krankenhäuser nach Fifa-Standard riefen die Menschen im Juni in Anspielung an die enorm teuren Stadionbauten für die Fußball-WM. Man war wütend darüber, dass die Regierung umgerechnet 2,5 Milliarden Euro für insgesamt zwölf Fußballarenen ausgibt (eine Milliarde mehr, als noch 2010 kalkuliert), während Brasilien weiterhin eins der drei Länder auf der Welt mit der tiefsten Kluft zwischen arm und reich ist. Dabei hatte es 2007, kurz nach der Vergabe der WM, noch aus Brasilia geheißen, dass kein Centavo Steuern in die Stadien fließen werde.

Wie wenig auch die Fifa aus den Volksprotesten gelernt hat, wird sie am heutigen Freitag demonstrieren, wenn sie im brasilianischen Luxusresort Costa do Sauípe die Auslosung der WM-Vorrundengruppen mit viel Tamtam begehen wird. Das Event in der abgeschirmten Hotelenklave an der Küste des Bundesstaats Bahia lässt sich der Weltfußballverband 6,25 Millionen Euro kosten. Der brasilianische Staat legt noch einmal zwei Millionen Euro für die Sicherheit obendrauf – dabei ist die nächste große Stadt, Salvador, 100 Kilometer weit entfernt.

Eigens für die Auslosung hat man in Sauípe ein 4,5 Millionen Euro teures Veranstaltungszelt errichten lassen: In der klimatisierten „Arena Sauipe“ hoffen die Delegierten der 32 teilnehmenden Länder auf ein glückliches Händchen der acht ehemaligen Fußballstars, die als Losfeen engagiert wurden. Mit dabei sind auch die Chefs der Fußballverbände aus den 27 brasilianischen Bundesstaaten sowie die Präsidenten der 20 hiesigen Erstligaclubs. Was sie dort zu suchen haben, ist nicht ganz klar, passt aber ins Bild vom Funktionär, der mitnimmt, was er kriegen kann. Bis heute erinnert sich Brasilien daran, wie der Boss des Fußballverbands CBF, José Maria Marin, bei einer Preisverleihung einmal versuchte, die Medaille eines Sportlers zu stehlen.

In Sauípe ist der greise Marin eins der Sorgenkinder der Fifa. Es ist kein Geheimnis, dass der Weltverband ihn wegen seiner Verstrickung in die brasilianische Militärdiktatur (1964-1985) und seiner Rolle bei der Ermordung eines kritischen Journalisten los werden will. Man fürchtet ums Image, wenn Marin bei der WM-Eröffnungszeremonie neben Präsidentin Dilma Rousseff stehen wird, die einst in den Kerkern der Dikatur gefoltert wurde.

Das größte Kopfzerbrechen bereitet der Fifa jedoch etwas anderes: Nach dem Kraneinsturz mit zwei Toten und der Beschädigung des Stadions Itaquerão in São Paulo, in dem das WM-Auftaktspiel stattfinden soll, herrschen Zweifel, ob die Brasilianer mit allen Arenen und der dazugehörigen Infrastruktur rechtzeitig fertig werden. Sportminister Aldo Rebelo versucht nun, die Zweifel zu zerstreuen. Er habe noch nie erlebt, dass die Braut bei einer Hochzeit pünktlich gewesen sei, sagte er in Sauípe. Dennoch sei immer geheiratet worden. Zu den in Brasiliens Städten epidemischen Diebstählen, Überfällen und Morden (2012 fanden rund 50000 Menschen in Brasilien gewaltsam den Tod) fiel ihm ein, dass er selbst nur einmal im Leben bestohlen worden sei: in Paris.

Einer weiteren Angst der Fifa, nämlich der vor Massenprotesten während der WM, nahm sich Brasiliens für Großereignissen zuständige Sicherheitschef an. Andrei Augusto Rodrigues sagte in Sauípe, dass man die Demonstranten während der WM nicht so nah an die Stadien heranlassen werde wie noch beim Confed-Cup als Tränengasschwaden selbst die Spieler auf dem Rasen irritierten.

Distanz – darum scheint es der Fifa mit der Wahl des Resorts Costa do Sauípe gegangen zu sein, das vom Alltag der gewöhnlichen Brasilianer so weit weg ist, wie die neuen VIP-Logen im Maracanã-Stadion von den alten Stehplätzen. Die künstliche Anlage mit fünf Hotels ist ideal, um die Probleme Brasiliens zu ignorieren und die Plastikwelt der Fifa mit ihren Showstars und Fußballgranden abzuschirmen. Den Gästen der Auslosung, darunter 2000 Journalisten, werden ein Golfplatz mit 18 Löchern, 15 Tennisplätze und drei Kilometer unberührter Strand zur Verfügung stehen, wie die Webseite der Fifa angibt.

Im restlichen Brasilien macht sich unterdessen eine regelrechte Anti-Fifa-Stimmung breit. Man wirft dem Weltfußballverband vor, das Land zu kolonialisieren und mit seinen vielen Ausnahmeregelungen für die Profitinteressen der Sponsoren zuzurichten. Es beginnt schon mit dem WM-Maskottchen, einem albernen Gürteltier namens Fuleco, das auch in Sauípe wieder zu sehen sein wird. In einem Land mit einer extrem lebendigen und autonomen Kultur wird die Figur als Eindringling empfunden. Brasiliens bekanntester Fußballkolumnist Juca Kfouri formulierte es so: „Wir haben Fuleco nicht ausgesucht, seine Auftritte sind bürokratisch, ohne Witz, ohne Emotionen. Fuleco genießt hier keine Sympathien.“

Weil man der Fifa mittlerweile alles zutraut, glauben die Brasilianer jedes Gerücht. So will die Online-Ausgabe der Zeitschrift „Veja“ erfahren haben, dass sich der Weltverband gegen die beiden dunkelhäutigen Schauspieler ausgesprochen habe, welche die Auslosung ursprünglich moderieren sollten. Stattdessen wird nun das blonde und mitteleuropäisch aussehende Pärchen Fernanda Lima und Rodrigo Hilbert durch die Veranstaltung führen. Die Fifa dementierte erschrocken und machte Brasiliens TV-Gigant Globo für die Wahl der Moderatoren verantwortlich. Nun ermittelt ein Staatsanwalt wegen des Verdachts auf Rassismus. Er argumentiert, dass die Auswahl der Moderatoren relevant für die Identifikation der brasilianischen Bevölkerung sei, die sich aus Menschen aus der ganzen Welt zusammensetze.

Auch das ist typisch. In einer eher symbolischen Angelegenheit reagiert der brasilianische Staat geschwind, wenn es um substanzielle Verbesserungen geht, herrscht Lethargie. Niemand zweifelt etwa daran, dass bei den exorbitant teuren Arbeiten an den zwölf WM-Arenen (die Fifa wäre übrigens auch mit zehn zufrieden gewesen) reichlich Schmiergelder flossen und mit überhöhten Rechnungen betrogen wurde. Doch von Ermittlungen ist bisher nichts bekannt geworden. Lange Zeit wurden solche Betrügereien mit dem Konzept des „jeitinho“ gerechtfertigt, das sie als brasilianische Lebensart verklärte. Mit den Protesten vom vergangenen Juni hat sich die Haltung der Öffentlichkeit jedoch verändert. Die Brasilianer zahlen extrem hohe Steuern, haben aber zurecht den Eindruck, dass sie nichts von ihrem Staat zurückbekommen, sondern das Geld in privaten Taschen verschwindet. Tatsächlich leistet sich Brasilien nach den USA die teuerste Regierung der Welt. Dass aber Brasilien bei der letzten Pisa-Studie aber auf Platz 53 von 65 Nationen landete, hat unter den fürstlich entlohnten Politkern keine Debatte ausgelöst, sondern nur Schweigen.

All das wird bei der Auslosung in Sauípe keine Rolle spielen. In Rio de Janeiro aber wird ein Spruch an einer Kreuzung daran erinnern, was viele Brasilianer von dem Event halten.

Não vai ter Copa?