Das Spiel des brasilianischen Torjägers Romário zeichnete sich durch Zielstrebigkeit, Mut und Kampfbereitschaft aus. Der Parlamentsabgeordnete Romário macht mit diesen Eigenschaften Politik.
Foto: Ricardo Stuckert/PR – www.agenciabrasil.ebc.com.br/arquivo/node/638022, CC BY 3.0 br, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11485094
Als Stürmer hat Romário mehr als 1000 Tore erzielt, er wurde 1994 mit Brasilien Weltmeister und holte die Landestitel in Spanien, den Niederlanden und seiner Heimat. Seit 2010 sitzt er nun für die kleine Sozialistische Partei Brasiliens (PSB) im Abgeordnetenhaus in Brasilia und sorgt mit scharfen Attacken gegen die Fifa und die Organisation der WM 2014 für erhebliche Unruhe in der politischen Elite – und erhält große Zustimmung aus der Bevölkerung.
Zehntausende Brasilianer verfolgen Romàrios regelmäßige Facebook- und Twitter-Einträge, eine unabhängige Kontrollgruppe wählte ihn 2011 zu einem der sechs effektivsten Parlamentarier. Weil er unverblümt ausspricht, was er denkt, ist er auch zu einem Liebling der Medien geworden, fast täglich wird er in einer Zeitung oder im Rundfunk zitiert. Zuletzt prangte Romários Foto auf der Titelseite des brasilianischen „Rolling Stone“. Darauf wirft sich der blendend aussehende 46-Jährige ein Jacket über. Die Zeile zu der dynamischen Pose lautete: „Was der Abgeordnete denkt, der das System herausfordert.“
Im Parlament hat Romário sich einen Namen als Kämpfer für die Rechte von Behinderten gemacht – er selbst hat eine Tochter mit Down-Syndrom. Gleichzeitig ist er zum Wortführer einer stark wachsenden WM-kritischen Bewegung geworden. „Die Veranstaltung darf doch die Lebensverhältnisse der Brasilianer nicht verschlechtern“, schimpft er unter Bezug auf den gerade erschienenen Bericht der UN-Sondergesandten für das Recht auf Wohnen, Raquel Rolnik. Diese hatte den Behörden verschiedener brasilianischer WM-Städte vorgeworfen, arme Menschen illegal zu Gunsten von Investoren umzusiedeln. Die Preise für Wohnraum sind in einigen Städten explodiert, seit klar ist dass das Land die WM ausrichtet.
Ebenso ärgert sich Romário über die Fifa-Sondergesetze: „Ich werde bis zum Umfallen kämpfen, damit die Fifa in Brasilien keinen Staat im Staate errichtet.“ Die Fifa verlangt von jedem Austragungsland vor Beginn einer Fußball-WM die Verabschiedung ihrer Sondergesetze. Sie lässt darin sich und ihren Sponsoren absolute Exklusivitätsrechte zusichern, nationale Gesetze werden ausgehebelt, lokale Firmen und Kleinunternehmer an den Rand gedrängt. Das Ergebnis kommt einer Lizenz zum Gelddrucken gleich. Und zwar steuerfrei.
Während die Fifa-Gesetze vor den Weltmeisterschaften in Deutschland und Südafrika eher still und heimlich verabschiedet wurden, gibt es in Brasilien Komplikationen. Erst Ende April stimmte das Abgeordnetenhaus mit fünfmonatiger Verspätung einer modifizierten Fassung zu. Darin setzte es durch, dass zehn Prozent der Eintrittskarten zu ermäßigten Preisen für Rentner, Studenten und Arme reserviert werden müssen. Einen anderen Konflikt, den sogenannten „Bierstreit“, klammerten die Abgeordneten aus und verwiesen ihn an den Senat, der als zweite Instanz den Gesetzen zustimmen muss. Die Fifa verlangt, dass ihr amerikanischer Sponsor Budweiser sein Gebräu in Brasiliens Stadien verkaufen darf. Doch dort herrscht Alkoholverbot. Nun wird die Angelegenheit von einer Spezialkommission nachverhandelt.
Zwar mögen die Konflikte um Bier und Eintrittspreise als Petitessen erscheinen, doch für eine Nation, die gerade dabei ist, sich als Weltmacht zu definieren, werden daraus prinzipielle Fragen. „Es geht um die Souveränität unseres Landes, verdammt noch mal“, formulierte Romário und bezeichnete Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke als „Erpresser“. Valcke hatte geäußert, dass die Brasilianer wegen der Verzögerungen „einen Tritt in den Hintern“ bräuchten.
Romários Wut wird noch verständlicher im Lichte des Skandals, der nach der Fußball-WM in Südafrika offenbar wurde: Das Land finanzierte die geforderten Infrastrukturmaßnahmen und blieb auf Schulden von 2,7 Milliarden Dollar sitzen. Unterdessen nahm die Fifa zwei Milliarden Dollar Gewinn mit in die Schweiz. „Die WM wird nicht dazu beitragen, die Gesundheit, Bildung und Chancen der Brasilianer zu verbessern“, glaubt Romário. Daneben warnt der von den Fans „Peixe“ (Fisch) genannte Ex-Fußballer vor der virulenten Korruption bei großen Bauprojekten. Die brasilianische Regierung musste bereits die erwarteten Kosten für die WM von rund 18 Milliarden Euro auf fast 29 Milliarden Euro erhöhen.
Als besonders problematisch erweisen sich dabei die Stadionneu- und Umbauten. Von 12 Stadien, so schätzt Romário, werden sieben nach der WM nicht mehr gebraucht und zu sogenannten „Weißen Elefanten“, die die lokalen Haushalte belasten. Für abgelegene Spielstätten wie Manaus, Curitiba oder Cuiabá ist dies schon jetzt abzusehen. Die Frage, wer von den neuen Stadien profitiert, in denen lediglich vier WM-Spiele stattfinden, ist einfach zu beantworten: Baufirmen und korrupte politische Eliten. Der Delta-Konzern etwa musste sich schon aus dem Umbau des Maracanã-Stadions in Rio zurückziehen, weil er in den Korruptionsskandal um den windigen Unternehmer Carlinhos Cachoeira verwickelt ist. In anderen Städten aber ist Delta weiterhin mit Bau-Projekten betraut.
Da Brasilien jedoch nicht nur mit den Stadionbauten in Verzug ist, sondern beispielsweise auch beim Bau der Schnellzugstrecke Rio-São Paulo, will die Regierung ein Jahr vor Beginn der WM „Notfallprojekte“ ohne Ausschreibungen vergeben. „,Dann wird der größte Diebstahl unserer Geschichte stattfinden“, prophezeit Romário. Er will nun alle zwei Monate einen Bericht auf seine Homepage stellen, der die Fortschritte bei allen Stadionbauten für die Öffentlichkeit transparent macht.
Brasiliens hemdsärmeliger Sportminister Aldo Rebelo hat bereits verkündet, dass man die „beste Fußball-WM aller Zeiten“ ausrichten werde. „Wenn es so weiter geht, wird sie ein großer Scheiß“, meint Weltmeister Romário, „wir werden uns schämen“. Zu Romários großer Erleichterung trat im März immerhin der korrupte Ricardo Teixeira zurück, der 23 Jahre lang Präsident des brasilianischen Fußballverbands gewesen war. „Damit ist der brasilianische Fußball vom Krebs befreit“, kommentierte Romário gewohnt pointiert.