Showdown in der Schweinebucht

Showdown in der Schweinebucht

Es gibt Tage, die laufen einfach nicht gut. Und der 12. April 1961 läuft richtig schlecht für John F. Kennedy.

Erst die Meldung über Juri Gagarin: Die Sowjets haben den ersten Menschen ins Weltall geschossen, dieses Rennen ist also verloren. Und nun will ein Journalist wissen, ob er sich schon entschieden habe: Werden die USA eine Invasion gegen Kuba unterstützen? John F. Kennedy ist erst seit 75 Tagen US-Präsident, dies ist seine neunte Pressekonferenz, er gibt eine Routineantwort: „Diese Regierung wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um sicherzustellen, dass keine Amerikaner in Aktionen gegen Kuba verwickelt werden.“

Doch John F. Kennedy lügt. Er hat die Invasionsfrage an diesem Tag schon einmal gestellt bekommen. Am Morgen, sechs Stunde zuvor, hat er den CIA-Mann Richard Bissel im Weißen Haus getroffen. Bissel ist verantwortlich für geheime Operationen und informiert Kennedy über den letzten Stand von Operation Zapata. Das ist der Codename für die Invasion Kubas. Monatelang hat die CIA Hunderte von Exil-Kubanern dafür trainiert. Nun beschwört Bissel den Präsidenten, er solle endlich grünes Licht für den Angriff geben. Operation Zapata könne eigentlich gar nicht mehr abgeblasen werden. Kennedy nickt.

Zwei Tage später stehen 1447 braungebrannte Männer in Khaki-Uniformen in einem kleinen Hafen an der Karibikküste Nikaraguas. Einige haben sich Cowboyhüte aufgesetzt, andere rauchen Zigarren. Der nikaraguanische Diktator Luis Somoza, ein treuer Verbündeter der USA, ist eigens angereist, um die Männer zu verabschieden. „Bringt mir ein Haar von Fidel Castros Bart!“, ruft Somoza den Männern zu. Bei Einbruch der Nacht verteilen sie sich auf acht Frachtschiffe und sechs Begleitboote und verlassen Nikaragua in Richtung Kuba. Sie nennen sich Brigade 2506. Ebenfalls an Bord sind die CIA-Agenten Grayston Lynch und William „Rip“ Robertson.

Auf Kuba ist Fidel Castro alarmiert. Seit Monaten erschüttern Sabotageakte die Insel. Bei Brandanschlägen sind 300 000 Tonnen Zuckerrohr, 42 Tabaklager und zwei Papierfabriken zerstört worden. Bahnhöfe und Kraftwerke wurden angegriffen. Und im März 1960 explodierte im Hafen von Havanna ein mit belgischen Waffen beladenes Schiff. Rund 100 Menschen werden getötet. Auf der Trauerfeier macht der Revolutionsführer die USA verantwortlich.

Castro weiß, dass die CIA versucht, seine Revolution zu destabilisieren. Und auch, dass der Geheimdienst vorhat, ihn umzubringen. Mehrere Mordversuche sind bereits gescheitert. So sollte Castros deutsche Ex-Geliebte Marita Lorenz ihm Giftpillen in den Drink mischen. Sie wurde von sentimentalen Gefühlen und dem Charme Castros übermannt. Am 8. April 1961 macht sich Castro in einer Rede über den US-Geheimdienst lustig: „Wir glauben, dass die Central Intelligence Agency nicht über die geringste Intelligenz verfügt.“

Castros Geheimdienst G2 dagegen hat die exilkubanische Gemeinde in Miami erfolgreich unterwandert. Unter den „Gusanos“, den Würmern, wie Castro die Exilanten nennt, befinden sich etliche seiner Agenten. Sie haben ihn längst über die CIA-Trainingscamps informiert. Allerdings hätte auch ein Blick in die Zeitungen genügt, um über die Invasionspläne der CIA auf dem Laufenden zu bleiben. Am 7. April meldete die „New York Times“ auf ihrer Titelseite, dass mehrere tausend Exil-Kubaner für Landungsoperationen auf Kuba ausgebildet würden.

Kennedy reagiert wütend: „Castro muss nur unsere Zeitungen lesen.“ Der mit 43 Jahren jüngste US-Präsident hat die Invasionspläne von seinem Vorgänger Dwight D. Eisenhower geerbt. Jetzt bereiten ihm die politischen Konsequenzen Sorgen. Kennedy rechnet damit, dass die Sowjets nur auf einen Vorwand warten, um in West-Berlin einzumarschieren. Er insistiert, dass der lange Arm der USA bei Operation Zapata nicht zu sehen sein dürfe. Die Weltöffentlichkeit soll glauben, Kubaner kämpften gegen Kubaner. Dennoch steht für Kennedy fest: „Kommunisten werden in der Hemisphäre nicht toleriert.“ Er fürchtet, dass die kubanische Revolution in Lateinamerika Schule machen könnte.

Seit Castros Sieg über das Regime des Diktators Batista und dem triumphalen Einzug in Havanna im Januar 1959 haben sich die Beziehungen Kubas zu den USA beinahe täglich verschlechtert. Als Castro im April 1959 auf Einladung eines Journalistenverbands durch die USA reiste, ging US-Präsident Eisenhower lieber golfen, als sich mit ihm zu treffen. Fotos mit dem bärtigen Revolutionsführer in seiner olivgrünen Kampfuniform wollte er vermeiden. Derweil verwandelte Castro die Reise in einen Triumphzug. Der 32-Jährige verursachte Staus, küsste Kinder, und 30 000 Menschen strömten zu seinem Auftritt in den New Yorker Central Park. Er versprach eine freie Presse, beteuerte, US-Eigentum nicht anzutasten, und versicherte, er stünde nicht für „Socialismo“, sondern für „Cubanismo“.

Doch kaum zurückgekehrt, beginnt Castro, den Kapitalismus auf Kuba abzuschaffen. Im April 1960 lässt er die United Fruit Company enteignen. Dann stellt er die Niederlassungen von 36 US-Konzernen unter staatliche Kontrolle. Die USA reagieren mit einer drastischen Kürzung ihrer Zuckerabnahmequote. Die UdSSR und China springen ein. Im Laufe des Jahres 1960 lässt Castro dann sämtliche Banken sowie alle Industrie- und Handelsbetriebe verstaatlichen. Am 3. Januar 1961 bricht die US-Regierung ihre diplomatischen Beziehungen zu Kuba ab. Aus der Sicht Washingtons entsteht 150 Kilometer vor der Küste Floridas ein sowjetischer Satellitenstaat.

Wenige Stunden nachdem die Schiffe der Exil-Kubaner am 14. April in Nikaragua ausgelaufen sind, steigen unweit des Hafens acht US-Bomber auf. Sie tragen kubanische Hoheitsabzeichen. Ihr Auftrag: die kubanische Luftwaffe ausschalten. Die erste Phase der Invasion hat begonnen. Allerdings hat US-Präsident Kennedy die Anzahl der Maschinen in letzter Minute reduziert. Ihn beunruhigt der „hohe Geräuschpegel“ des Angriffs. So erreichen die Bomber nur einen Teil ihres Ziels. Castro bleiben acht Maschinen.

Am gleichen Morgen startet der Exil-Kubaner Mario Zuñiga im Auftrag der CIA in Nikaragua mit seinem B-26Bomber in Richtung Florida. Nach der Landung in Miami erzählt er, dass er ein Pilot der kubanischen Luftwaffe sei, der sich entschieden habe, zu desertieren. Zuñiga dient der CIA als Kronzeuge, um der Weltöffentlichkeit zu beweisen, dass die Luftangriffe in Kuba von rebellierenden Piloten Castros geflogen worden sind. Doch seine Tarnung fliegt auf, als ein Journalist erkennt, dass Zuñigas Bomber aus Beständen der US-Luftwaffe stammt. Kennedy sagt alle weiteren Luftschläge gegen Castro ab.

Von alldem weiß CIA-Mann Grayston Lynch nichts, als er in der Nacht zum 17. April auf dem Frachter Blagar den Radarschirm beobachtet, auf dem immer weitere goldene Punkte auftauchen. Die Schiffe der Brigade 2506 sammeln sich vor der Südküste Kubas. Schon bald erkennt er am Horizont einzelne Lichter. Das muss der dünn besiedelte Playa Girón sein, der erste Landungspunkt. Es ist Neumond. Zwischen 23 und 24 Uhr vernimmt Lynch das Startsignal aus dem Radio. Es stammt von einer CIA-Sendestation vor Honduras: „Alarm! Alarm! Schau auf den Regenbogen! Die Fische werden bald aufsteigen.“ Die Nachricht ist völliger Unsinn, sie soll vor allem Castros Geheimdienst verwirren.

Drei Seemeilen vor Playa Girón stoppt die kleine Flotte. Lynch und fünf exil-kubanische Kampftaucher fahren mit einem Schlauchboot auf die Küste zu. Kurz bevor sie den Strand erreichen, rast ein Jeep heran. Lynch zögert nicht lange und feuert mehrere Magazine aus seiner Maschinenpistole ab. Es sind die ersten Schüsse der Invasion. Am Strand erhält Lynch wenig später eine Nachricht aus Washington, die ihn verwirrt. „Castro hat noch Kampfflugzeuge. Bereite dich auf Luftschläge im Morgengrauen vor.“ Gray begreift nicht. Ohne die vollständige Zerstörung der kubanischen Luftwaffe hätte man Operation Zapata absagen müssen. Er lässt Panzer, Waffen und Munition an Land bringen. Währenddessen landet eine zweite Einheit von Exil-Kubanern am Playa Larga in der Schweinebucht.

Um 1 Uhr 15 klingelt das Telefon in Fidel Castros Wohnung in Havanna. Feindliche Landung in Girón. Endlich! Seit den Luftangriffen zwei Tage zuvor rechnet er stündlich mit der Invasion. Die Frage war nur, wo sie stattfinden soll. Castro hat vorsichtshalber Ché Guevara in den Westen der Insel und seinen Bruder Raúl in den Ostteil geschickt. Nun begreift er: Die von Sümpfen umgebene Gegend bei Girón mit ihren drei Ausfallstraßen scheint perfekt, um eine Gegen-Regierung abzusetzen und zu verteidigen. Der Brückenkopf muss so schnell wie möglich angegriffen werden.

Die ersten regulären kubanischen Einheiten erreichen die Schweinebucht gegen Mittag. Sie kommen in einer kilometerlangen Kolonne teils in Schulbussen über die leicht zu kontrollierenden Straßen durch den Sumpf. Die Exil-Kubaner setzen zwei ihrer Bomber ein, die aus Nikaragua anfliegen. Die anrückende Truppe ist für sie ein leichtes Ziel. Während der Kämpfe sterben wohl rund 2000 kubanische Soldaten. Offizielle kubanische Stellen räumen später lediglich 176 Tote ein.

Am selben Morgen sitzt Castros Luftwaffenkapitän Enrique Carreras auf dem Flugfeld von San Antonio angeschnallt in seiner englischen Sea Fury 541. Ein Jeep rast heran. Fidel sei am Telefon, berichtet der Offizier. Er wolle sofort mit Carreras sprechen. Carreras rennt zum Tower. „Junge“, sagt Castro, „ich will, dass du diese Schiffe versenkst.“ Carreras ist 38 Jahre alt, hat vier Kinder und besitzt keinerlei Kampferfahrung. Als er die Schweinebucht im Morgengrauen überfliegt, ist er geschockt. Überall sieht er die grauen Landungsboote. Er macht mehrere größere Schiffe aus und entscheidet sich willkürlich. Im Sturzflug feuert er seine acht Raketen ab. Eine trifft den Frachter Houston und reißt ein Loch in den Rumpf. Das Schiff ist mit 180 Mann, Munition und Treibstoff beladen. Es beginnt zu sinken.

Nachdem er aufgetankt und neue Raketen geladen hat, kehrt Carreras zurück und stößt im Sturzflug auf den Frachter Rio Escondido nieder, der vor Playa Girón liegt. Er feuert eine Rakete in den Rumpf des Schiffes. Ein riesiger Feuerpilz schießt in den Himmel. Agent „Rip“ Robertson funkt vom Strand an Lynch, der den Angriff von der benachbarten Blagar verfolgt hat: „Großer Gott, was war das? Hat Fidel die Atombombe?“ – „Nein“, antwortet Gray, „das war die verdammte Rio Escondido.“ Der Frachter hatte 20 Tonnen Munition geladen, Verpflegung für mehr als eine Woche, außerdem eine Funkanlage und medizinische Ausrüstung. Die restlichen Invasionsschiffe ziehen sich aufs offene Meer zurück. Die Männer am Strand sind nun von Munitions- und Benzinnachschub abgeschlossen.

80 Kilometer vor der Schweinebucht liegt der US-Flugzeugträger Essex. Kennedy hat klare Order gegeben: nicht eingreifen! Mehrere Jets starten von der Essex zu Aufklärungsflügen. Als die Exil-Kubaner die silbernen Flieger sehen, jubeln sie. Doch die Maschinen kehren ohne einen Schuss zur Essex zurück. Als Admiral Arleigh Burke Präsident Kennedy bittet, den Munitionsnachschub der Exil-Kubaner mit Jets zu sichern, antwortet der Präsident: „Wir können uns nicht einmischen.“ Burke ruft: „Gottverdammt, Mr. President. Wir haben uns bereits eingemischt.“

Noch bevor Kennedy die Möglichkeit hat, seine Haltung zu ändern, ist die Schlacht um Kuba bereits vorüber. 65 Stunden nach Invasionsbeginn fliehen die Exil-Kubaner in die Sümpfe oder ergeben sich der Übermacht von 20 000 kubanischen Soldaten. 114 Invasoren sind ums Leben gekommen, 1189 werden gefangen genommen. Castro lässt sie später im Austausch für medizinische Hilfsgüter im Wert von 53 Millionen Dollar in die USA bringen.

Der Sieg von Girón, wie die Invasion in Kuba heißt, konsolidiert Castros Macht und treibt ihn in die offenen Arme der Sowjets. Er, der kubanische David, hat den amerikanischen Goliath besiegt. Castro radikalisiert seinen Kurs. Er nutzt die Lage, um die kubanische Opposition zu zerschlagen und lässt zwischen 100 000 und 250 000 Menschen inhaftieren. Am 1. Mai 1961 erklärt er Kuba offiziell zum „sozialistischen Staat“. Der eiserne Vorhang fällt auch in der Karibik. Die USA verhängen 1962 ein komplettes Handelsembargo gegen Kuba, die CIA setzt ihre Sabotagetaktik fort. Im Oktober 1962 lässt Castro die Sowjetunion atomare Mittelstreckenraketen stationieren. Die Welt entgeht nur knapp einem Atomkrieg.

Castro übersteht auch diese Krise unbeschadet. Die Macht gibt er bis zum heutigen Tag nicht her. Dieses Jahr wird Fidel Castro 80 und ist inzwischen der am längsten regierende Staatschef der Welt.

In den USA übernimmt John F. Kennedy die Verantwortung für die Niederlage in der Schweinebucht: „Der Sieg hat 100 Väter, die Niederlage ist eine Waise“, sagt er. Doch in CIA-Kreisen und in der exil-kubanischen Gemeinde gilt er von nun an als Verräter. Er sei zu feige gewesen, US-Streitkräfte einzusetzen. „Kennedy hat die Männer am Strand der Schweinebucht entsorgt“, schreibt Grayston Lynch später voller Zorn.

Kennedy wiederum fühlte sich von der CIA getäuscht. Der Geheimdienst hatte ihm von einer 30 000 Mann zählenden kubanischen Widerstandsbewegung berichtet, die gar nicht existierte. Tatsächlich unterstützten Anfang der 60er Jahre wohl mehr als 80 Prozent der Kubaner Castros Regime.

„Wie konnte ich so dumm sein und Sie das machen lassen?“, fragt Kennedy seine Berater, als er die Details der Invasion erfährt. Nur zweieinhalb Jahre später wird er in Dallas von mehreren Gewehrkugeln tödlich getroffen. Bis heute ist nicht klar, wer hinter dem Mord steckt: Waren es gedemütigte CIA-Agenten? Waren es die Exil-Kubaner, die sich für die Absage der Luftschläge rächen wollten? War es die US-Mafia, die 100 Millionen Dollar auf Kuba verloren hatte, weil Castro ihre Casinos enteignet hatte? Oder war es gar Fidel Castro, der den Auftrag gab, wie der deutsche Journalist Wilfried Huismann in einer Fernsehdokumentation behauptete. Eines haben all diese Theorien gemeinsam: Kuba wurde Kennedys Schicksal.