Im Tagesrhythmus gibt es neue Enthüllungen. Zuletzt die Nachricht, dass die brasilianische Staatsanwaltschaft verschiedene Bankkonten in der Schweiz untersucht, vor allem bei der Credit Suisse. Darunter auch das von Paulo Roberto Costa, dem ehemaligen Direktor des staatlichen Erdölkonzerns Petrobras. Er soll 27 Millionen US-Dollar in der Schweiz untergebracht haben. Schmiergelder, so vermuten die Ermittler.
Costas Konto ist ein weiterer Kanal in einem weit verzweigten System von illegalen Geldflüssen rund um die Petrobras. Seit März ist das größte staatliche Unternehmen Lateinamerikas in einen Korruptionsskandal verwickelt, der selbst die Korruption gewohnten Brasilianer mitnimmt. Es sollen Schmiergelder in Höhe von umgerechnet 3,5 Milliarden geflossen sei.
Dabei geht nicht nur um die Verkuppelung von Wirtschaft und Politik im Staatskapitalismus brasilianischer Prägung, sondern um eine Ikone des brasilianischen Selbstverständnisses als Nation.
Die 1953 gegründete Petrobras hat rund 90.000 Angestellte und raffiniert 98% des in Brasilien konsumierten Benzins. Mit Sitz in einem kubistisch anmutenden Hochhaus in Rio de Janeiro unterhält sie wirtschaftliche Beziehungen zu 20.000 Partnerunternehmen. Sie ist weiterhin verantwortlich für zehn Prozent aller in Brasilien gemachten Investitionen. Obwohl offen für Fremdkapital, ist der brasilianische Staat nach wie vor größter Anteilseigner und kontrolliert das Unternehmen. Betrogen wurden also die brasilianischen Steuerzahler.
Das Korruptionsschema, seit spätestens 1999 existent, war im Grunde einfach: Wer einen der lukrativen Bau- oder Zulieferaufträge von der Petrobras wollte, hatte ein Schmiergeld zu zahlen. Es war festgelegt, wie viel Prozent von der Auftragssumme abgegeben werden mussten. Die Abschlüsse waren dann überhöht, man spricht von Verträgen in einer Gesamthöhe von umgerechnet 20 Milliarden Euro.
Im Rahmen der „Operation Waschanlage“ (es wurden Waschsalons zum Bewegen der Gelder genutzt) hat die Bundespolizei im Laufe des Jahres Dutzende Personen verhaftet, darunter die Spitzen neun großer Baukonzerne. Die Namen der meisten dieser Firmen dürften Außenstehenden nur wenig sagen, doch es sind die wichtigsten Auftragnehmer der öffentlichen Hand in Brasilien, verantwortlich für große Infrastrukturprojekte, etwa für die Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Sollte ihr Kapital nun, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, eingefroren werden, hätte dies unabsehbare Konsequenzen für die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Ins Rollen gebracht hatte die Untersuchung ein Mann namens Alberto Youssef. Er fungierte als Devisenhändler, der die Herkunft der illegalen Gelder verschleiern sollte. Als die rechtskonservative Zeitschrift „Veja“ kurz vor der Stichwahl zur Präsidentschaft eine Titelseite mit den Fotos von Ex-Staatschef Lula da Silva und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff mit dem angeblichen Youssef-Zitat „Sie wussten alles“ veröffentlichte, wurde dies zurecht als typischer Manipulationsversuch der „Veja“ bewertet.
Unbestritten ist aber dass Rousseffs Arbeiterpartei (PT) tief in das Schmiergeldsystem verstrickt ist. Von jedem Vertrag flossen drei Prozent in die Kassen der PT. Ebenfalls drei Prozent gingen an Brasiliens größte Partei, PMDB, einem Verbündeten der PT. Ein Prozent erhielt der kleinere Koalitionspartner PP. Gegen Rousseff spricht zudem, dass sie zwischen 2003 und 2010 Aufsichtsratsvorsitzende der Petrobras war.
Mit dem Rücken zur Wand hat die Präsidentin nun volle Aufklärung versprochen. Rousseff hatte sich schon zu Anfang ihrer Präsidentschaft einen Namen als Sauberfrau gemacht und einige Minister wegen Korruption aus ihrem Kabinett entfernt. Dann erlahmte ihr Engagement. Fakt ist dennoch: Noch nie wurde gegen so viele Politiker wegen Korruption ermittelt wie heute. Seit 2010 existiert das Gesetz „Saubere Akte“, das Kandidaten von politischen Posten ausschließt, die von der Justiz untersucht werden.
Das neue am derzeitigen Skandal ist daher, mit welcher Freiheit die Bundespolizei agieren kann – frei von politischer Einflussnahme. Niemand bezweifelt, dass in Brasilien seit Jahrzehnten auf allen wirtschaftlichen wie politischen Ebenen Korruption herrscht. Es haben sich Strukturen etabliert, die von vielen als völlig normal empfunden werden.
Eindrücklich hat dies der einflussreiche Unternehmer Ricarod Semler in einem Beitrag für die Zeitung „Folha de S. Paulo“ beschrieben: Es gäbe keinen Unternehmer in Brasilien, der nichts von der seit 40 Jahren herrschenden Korruption bei der Petrobras wusste. Dutzende weitere Staatsfirmen hätten ähnlichen Strukturen. Politiker und Parteien ließen sich mieten und kaufen, auch diejenigen, die nun „Foul“ schrien.
Der Petrobras-Skandal könnte also endlich die Chance zu einer Diskussion über die kriminelle und demokratiefeindliche Verzahnung von Wirtschaft und Politik eröffnen. Ein erster Schritt wäre es etwa, die Spenden aus der Wirtschaft an Parteien und Einzelpolitiker zu begrenzen. Leider scheinen die Opposition und die tonangebenden konservativen Medien ein größeres Interesse daran zu haben, den Skandal rund um die PT auszschlachten.