Militärshow unterm Zuckerhut

Militärshow unterm Zuckerhut

Nun parken wieder die Panzer an wichtigen Kreuzungen und Soldaten in Kampfmontur mit schweren Helmen und Gewehren patrouillieren unter gleißender Sonne entlang der Strandpromenade von Copacabana.

Das Militär hat die Sicherheit in Rio de Janeiro übernommen, zweitgrößte Stadt Brasiliens und touristisches Aushängeschild des Landes. Noch bis Ende 2018 sollen die Soldaten bleiben. Seit Brasilien vor 30 Jahren zur Demokratie zurückgekehrt ist, hat es so eine Situation noch nicht gegeben.

Präsident Michel Temer traf die Entscheidung, nachdem der Gouverneur des Bundesstaats Rio de Janeiro, Fernando Pezão, um die militärische Intervention der Bundesregierung gebeten hatte. In einem dramatischen Treffen, aus dem nun Details an die Öffentlichkeit sickern, hatte Pezão argumentiert, dass die Sicherheitslage in seinem Staat komplett außer Kontrolle geraten sei. Es gebe keinen anderen Ausweg, als dem Militär die Verfügungsgewalt zu übertragen. Rio de Janeiro stünde vor einer sicherheitspolitischen Katastrophe.

Den Ausschlag für Pezãos Appell gaben die dramatischen Ereignisse während des Karnevals, als es zu Massenüberfallen im bekannten Stadtteil Ipanema kam, Polizisten beschossen und getötet wurden und überdurchschnittlich viele Touristen teils unter Anwendung brutaler Gewalt ausgeraubt wurden.

Schon seit dem Ende der olympischen Spiele ist zu beobachten, wie sich die Sicherheitslage in Rio de Janeiro rapide verschlechtert. 2017 wurden hier 6700 Morde verzeichnet, die höchste Zahl seit fast zehn Jahren. Außerdem tötete die Polizei bei Einsätzen mehr als 1000 Menschen. Kriminelle brachten wiederum 134 Polizisten um.

Rios Polizei ist damit die Einheit in Brasilien, die am meisten tötet und zugleich diejenige, die am meisten Opfer zu verzeichnen hat. In diesem Jahr ließen bereits 16 Polizisten ihr Leben. Da aber rund die Hälfte der Beamten außerhalb des Dienstes getötet wird, geht man davon aus, dass sie in kriminelle Machenschaften verstrickt sind und es sich um die Begleichung von Rechnungen in der Unterwelt handelt. Rios Polizei gilt auch als die verkommenste des Landes. Sie macht Geschäfte mit verschiedenen Mafias, kassiert Schutzgelder, verkauft Waffen.

Zu den Mordzahlen gesellen sich der im Alltag deutlich spürbare Anstieg von Raubüberfällen sowie die oft stundenlangen Schießereien in verschiedenen Favelas. Bei letzteren werden immer wieder Unbeteiligte von Kugeln getroffen – auch von Kugeln aus Polizeiwaffen. Die einst auch international gefeierte Befriedungspolitik der Favelas gilt heute als sang- und klanglos gescheitert.

Nur anderthalb Jahre nach den Olympischen Spiele 2016, die auch mit dem Versprechen nach Rio gekommen waren, die Stadt sicherer und lebenswerter zu machen, steht Rio damit vor einem Abgrund. Der Bundesstaat ist aufgrund fehlender Einnahmen aus dem Erdölgeschäft sowie von Korruption und Misswirtschaft pleite und kann nicht mehr die Gehälter seiner Beamten bezahlen. Bei der Polizei fehlt es an allem: Benzin für Streifenwagen oder das Papier, um einen Überfall aufzunehmen. Letzteres bringt man am besten selbst mit auf die Wache.

Dass in dieser Situation jedoch die Armeeführung das Kommando über Rios Sicherheit übernimmt, halten die meisten Experten für Unsinn. Von einer „Politik des Spektakels“ ist die Rede. „Es sollen Bilder produziert werden, keine Ergebnisse“, sagt etwa Jaqueline Muniz, Professorin für öffentliche Sicherheit an der Bundesuniversität UFF.

Sie fragt, wie man mit Panzern die Mafia bekämpfen wolle. Oder wie Soldaten, die keine polizeiliche Ausbildung haben, die Straßenkriminalität stoppen sollen. Es gehe den Regierenden um eine Show. Das moderne Verbrechen bekämpfe man mit modernen Methoden, etwa dem Sammeln von Informationen.

Ein ebenso gewichtiges Argument gegen das Militär in Rio: Die Kriminalität ist in anderen Bundesstaaten Brasiliens den Zahlen nach sehr viel schlimmer. Diese stehen jedoch nicht im Blick der Öffentlichkeit und ziehen kaum Touristen an.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Militär in Rio de Janeiro zum Einsatz kommt. Soldaten und Panzer wurden in den vergangenen Jahren immer wieder bei Polizeiaktionen in großen Favelas zu Hilfe gerufen. Auch während der olympischen Spiele sicherte die Armee strategische Orte.

Geändert hat es nichts. Stattdessen häuften sich die Beschwerden über Fehlverhalten von Soldaten, insbesondere in Rios Armenvierteln. Verantworten müssen sich die Soldaten für mögliche Vergehen gegen Bürger des eigenen Landes jedoch nicht. Es wurde beschlossen, sie unter die Gerichtsbarkeit des Militärs zu stellen.