„Die Zensur“, sagt Leonardo Padura, „ist gar nicht das Problem. Es fehlt Papier.“
Was im Ergebnis auf das Gleiche hinausläuft. Ein Autor, dessen Bücher wegen Zellstoffmangels nicht gedruckt werden, erreicht ebenso wenig Leser wie ein zensierter. Leonardo Padura fällt in seinen Sessel zurück, faltet die Hände über dem Bauch, sagt, dass er erschöpft sei, dass er immer so viel erklären müsse, wenn er im Ausland sei. Es ginge dann weniger um seine Bücher, seine Krimis und historischen Romane, sondern – natürlich – um Kuba, diese schwierige Insel.
Padura ist wohl der bekannteste zeitgenössische Autor seines Landes. Er lebt immer noch in demselben Haus am Rande Havannas, in dem er vor 60 Jahren geboren wurde. Und weil er sich kritisch mit der Realität auf seiner sozialistischen Insel beschäftigt, aber nie ernsthaft mit dem Regime in Konflikt geraten ist, gilt er vielen als Maßstab dafür, wie weit man als Intellektueller auf Kuba heute gehen kann.
Es ist eine Position, die ihn von vielen Seiten angreifbar macht. 2012 erhielt Padura den Kubanischen Buchpreis, für viele Beobachter ein Zeichen neuer Toleranz. Andere argumentierten, es beweise nur Paduras Angepasstheit. Wiederum andere meinten, die Regierung benutze ihn als Aushängeschild. Doch wie auch immer: Die kritische Rede, die Padura zur Preisverleihung hielt, wurde von den staatlichen Medien totgeschwiegen.
Es stimmt, dass Padura das Regime nicht frontal attackiert und den Namen Castro in seinen Äußerungen wohlweislich vermeidet. Er selbst sagt über sich: „Ich bin weder in der Partei noch bin ich Dissident. Aber ich sage, was ich denke.“ Kuba brauche Reformen, klar, aber niemand wolle, dass es auf der Insel so werde wie in Russland: vom Kommunismus direkt in Korruption und Konsumismus.
Was sich denn ändere, wollten die Journalisten jetzt meist von ihm wissen, da Washington und Havanna wieder miteinander sprechen. Nach 54 Jahren werden sie wieder Botschaften im jeweils anderen Land eröffnen, eine Fährverbindung ist in Planung. Paduras Antwort ist ernüchternd: „Für uns Autoren hat sich nichts geändert, es gibt bisher keine kulturelle Öffnung.“ Aber immerhin gebe es Hoffnung, dass die Fenster weiter aufgestoßen würden. So wie an diesem Montag, da in Havanna die Botschaft der USA neu eröffnet.
Man trifft Padura im südbrasilianischen Kolonialstädtchen Paraty. Hier findet jedes Jahr das Internationale Literaturfest Flip statt, die wichtigste Literaturveranstaltung des Landes. Im eher lesefaulen, viel stärker der Musik zugewandten Brasilien ist Padura der meistgelesene zeitgenössische Autor Kubas. 40 000 Exemplare von „Der Mann, der die Hunde liebte“, seinem bekanntesten Werk, haben sie hier gekauft.
In dem Roman zeichnet Padura die Lebenswege von Leo Trotzki und seinem Mörder Ramón Mercader nach, die sich 1940 in Mexiko-Stadt auf fatale Weise kreuzten. Nach 20 Jahren in mexikanischer Haft verbrachte Mercader den Rest seines Lebens auf Kuba, wo sich der dritte Handlungsstrang entspinnt. Aber auf der sozialistischen Insel, wo man Trotzki lange Zeit nach stalinistischer Lesart als Verräter betrachtete, wurde der Roman wegen Papiermangels nur 8000 Mal gedruckt. Als er auf der Buchmesse in Havanna vorgestellt wurde, versuchten Hunderte, ein Exemplar zu ergattern.
Die Bücher anderer kubanischer Autoren sind auf der Insel fast unbekannt. So kann man nach Pedro Juan Gutiérrez’ „Schmutzige Havanna-Trilogie“, die in mehr als 20 Ländern erschienen ist, auf Kuba lange suchen. Gutiérrez, eine Art lateinamerikanischer Charles Bukowski, lebt wie Padura in Havanna.
Private Internetzugänge sind verboten, offizielle Zugänge langsam und überwacht. So mag die Bloggerin Yoani Sánchez, die mit „Generación Y“ den ersten unzensierten Blog aus Kuba schreibt, zwar im Westen als die Stimme des Widerstands gefeiert werden. Aber in Kuba hat sie kaum Einfluss, weil sie nur wenige kennen. „Doch die Kubaner dürsten nach Kultur“, sagt Padura. Wer einmal ein Theater oder Kino auf Kuba besucht hat, kann den Andrang bestätigen. Filmfestivals werden überrannt und neue Bücher sind meist schnell vergriffen. Was zu absurden Preisen führt. „Der Mann, der die Hunde liebte“ wird heute unter dem Ladentisch für 25 konvertible Pesos gehandelt, das ist ein Monatslohn.
Ausländische Literatur ist meist unauffindbar. Einen Houellebecq, Franzen oder Grass sucht man vergeblich. So kommt es, dass die wenigen vorhandenen Bücher so kostbar sind, dass sie als Tauschware für schwer erschwingliche Dinge genutzt werden. Etwa um beim kostenlosen Arztbesuch schneller an die Reihe zu kommen. In gewisser Weise sei er auch stolz darauf, meint Leonardo Padura – dass seine Werke während der von extremem Mangel bestimmten Sonderperiode in den Neunzigerjahren gegen Lebensmittel getauscht wurden. Für einen Padura hätte man zwei Dosen der raren Kondensmilch bekommen.
Vor dem Trotzki-Roman war Leonardo Padura vor allem Krimifans ein Begriff. In seinen Detektivgeschichten schickt er den Kommissar Mario Conde, Rumtrinker und Frauenheld, durch ein morbides, korruptes, armes Havanna, in dem viel zerfällt und wenig funktioniert. Jedes Mal wenn er eins der Bücher vollendet hatte, glaubte er, dass ihm diesmal die Zensur auf die Pelle rücken würde. Aber dann geschah: nichts.
Seit Raúl Castro seinen kranken Bruder Fidel 2008 als Präsident abgelöst hat, erlebt Kuba eine zarte wirtschaftliche Öffnung. Privatinitiative ist zugelassen worden und viele Kubaner, insbesondere in Havanna, eröffnen Snackbars, Werkstätten, verkaufen Obst und Gemüse. Das Reisen wurden erheblich erleichtert, ebenso ermutigte Raúl Castro die Kubaner, konstruktive Kritik zu üben. Im Alltag äußern sich viele Kubaner denn auch überraschend freimütig. Das ist jedoch nicht mit Pressefreiheit zu verwechseln. „Es gibt keine Regeln, was man sagen darf und was nicht“, sagt Leonardo Padura.
1961 diktierte Castro den Kulturschaffenden: „Innerhalb der Revolution, alles; außerhalb der Revolution, nichts.“ In den folgenden Jahren wurden unbequeme heimische Autoren als konterrevolutionär gebrandmarkt und Bücher aus dem kapitalistischen Westen nicht mehr importiert. Die Siebziger waren die grauen Jahre auf Kuba. Homosexuelle wurden verfolgt, darunter viele Künstler; die Rolling Stones galten als subversiv, selbst Kaugummikauen war verdächtig.
Das ist lange vorbei. Heute setzt die Mangelwirtschaft Grenzen. Auch daher erlaubte man Autoren in den Neunzigerjahren, sich selbstständig Verlage im Ausland zu suchen. „Ohne diese Erlaubnis könnte ich nicht von meinen Büchern leben“, sagt Padura. Auf Kuba werden seine Werke auf alten sowjetischen Maschinen von einem Verlag gedruckt, der zur Kubanischen Schriftstellerunion UNEAC gehört. Für die Rechte an einem Buch zahlt man ihm umgerechnet 250 Dollar.
Kuba lebt in einer Übergangsperiode, vieles ist im Fluss und widersprüchlich. Die Positionen werden ständig neu bestimmt, Untiefen neu ausgelotet. Wenn es eine Konstante gibt, dann den Geldmangel und die Ungewissheit, was kommen mag. „Schriftsteller zu sein, ist immer hart“, sagt Padura, „Schriftsteller auf Kuba zu sein, ist Masochismus.“