Der Somalier Kwami Ogonno hat etwas Tolles vor: Er will sich in die deutsche Gesellschaft integrieren. Also schaut er beim Schutzhundverein Köln vorbei, um seinen Schäferhund ausbilden zu lassen.
Das Tier solle ihn gegen Skins verteidigen, erklärt er einem Vereinsmitglied. Doch der Mann, ein älterer Kölner, entgegnet: „Wir haben Aufnahmestopp.“ Kwami lässt sich nicht abwimmeln, will wissen, was der Beitritt kosten würde. Jahresbeitrag 300 Euro, Aufnahmegebühr 250 Euro, antwortet der Hundefreund. Aus dem Hintergrund ruft einer: „Wird aber jetzt erhöht alles.“ Ogonno zieht frustriert ab.
Später erfährt er: Es gibt es keinen Aufnahmestopp, pro Jahr kostet die Vereinsmitgliedschaft 65 Euro, die Aufnahme 60 Euro.
Einer kurz nach Ogonno auftauchenden Deutschen nennt man freundlich diese Preise. Lügen mag in deutschen Hundevereinen verpönt sein, einen Afrikaner anzulügen ist aber offenbar legitim und geht ohne Scham. Der anständige Deutsche weiß sich des schwarzen Mannes schon zu erwehren. Auch wenn der nur ein falscher Mohr ist – denn Kwami Ogonno ist Günter Wallraff.
Der Kölner Journalist ist ein Jahr lang mit angemaltem Gesicht, Perücke und Kontaktlinsen durch Deutschland gereist, um herauszufinden, was man als Schwarzer in diesem Land erleben kann. Kwami Ogonno zumindest erlebt eine Menge. Und Günter Wallraff setzt mit der Rolle seine Arbeit konsequent fort. In den sechziger Jahren hatte er begonnen, unter falscher Identität hinter die sauberen deutschen Fassaden zu schauen, und was er fand, war zumeist Schmutz. Wallraff war als Alkoholiker, Waffenhändler und Bild-Reporter unterwegs, wurde international bekannt und fand Nachahmer rund um die Welt. In Skandinavien bedeutet das Verb „wallraffa“ heute: etwas aufdecken. Nachdem Wallraff Mitte der Achtziger der arbeitssuchende Türke Ali gewesen war, wurde es jedoch still um ihn. Er wurde krank, litt unter Muskelschwund – und seine Glaubwürdigkeit schien dahin, als 2003 herauskam, dass er als junger Mann Kontakte zur Stasi gehabt hatte. Seit 2007 ist Wallraff nun auf Betreiben des „Zeit“-Magazins wieder undercover unterwegs. Unter anderem hat der 67-Jährige das Innenleben eines Callcenters und die Arbeitsbedingungen bei einem Lidl-Großbäcker beschrieben.
Zwischendurch aber schlüpfte Wallraff immer wieder in die Rolle des Kwami Ogonno. Als vorbildlicher Einwanderer will der zwischen Cottbus, Minden und Rosenheim all das tun, was die Deutschen eben so tun: Bötchen fahren, wandern, einen Schrebergarten pachten, einen Wohnwagenplatz mieten, den Jagdschein machen, über Fußball fachsimpeln, Bier trinken. In einem Knopfloch trug Wallraff dabei eine kleine Kamera; begleitet wurde er von den Filmemachern Pagonis Pagonakis und Susanne Jäger, die die Szenen aus dem Hintergrund filmten. Sie blieben oft auch dann am Ort, wenn Wallraff alias Ogonno schon verschwunden war.
Herausgekommen ist mit „Schwarz auf Weiß“ ein Dokumentarfilm, der in zweierlei Hinsicht höchst verstörend ist. Zum einen sind da die Deutschen, denen Ogonno begegnet: ein in der Mehrheit kriecherisches Pack, überheblich, ängstlich, dumm, latent aggressiv. Wie der zunächst sympathisch wirkende Mittvierziger bei der Gondeltour im Wörlitzer Park, Sachsen-Anhalt. Sofort duzt er Ogonno und bestellt zwei Bier bei ihm. Dann äußert er, laut sächselnd, seinen Unmut darüber, neben Ogonno sitzen zu müssen, und rät ihm, als Ruderer anzuheuern. Oder die Dame vom Bezirksvorstand eines Kleingartenvereins in Berlin-Lichtenberg. Sie wimmelt Ogonno mit dem Vorwand ab, er könne das Anmeldeformular nicht mitnehmen, weil es „geheim“ sei. Die Szene wird von einem halben Dutzend Kleingärtner amüsiert verfolgt, vor denen sich die Frau hinterher brüstet: „Nächste Woche, wenn er wiederkommt, übertreibe ich noch mehr, dass der gleich wieder geht.“ Oder der städtische Angestellte im Rosenheimer Rathaus, wo Ogonno Informationen zum Jagdschein einholen will. Nach wenigen Minuten rastet der Stadtbedienstete aus: „Ich würde sagen, Sie gehen jetzt, sonst rufen wir die Polizei.“
Es ist für diese Menschen offenbar selbstverständlich, zu lügen, zu lästern und zu drohen, sobald ein Fremder vor ihnen steht. Vor der Veröffentlichung des Films mussten alle zustimmen, gezeigt zu werden. Fast keiner hatte etwas dagegen. Dankbar reagiert man da auf die wenigen positiven – man traut sich kaum zu schreiben: normalen – Reaktionen. Eine ältere Dame in Wörlitz scherzt, Ogonno müsse sie schon zum Essen einladen, wenn er einen Fisch fange. Und in einer bayerischen Kneipe wird er von zwei resoluten Gästen vor Handgreiflichkeiten beschützt. Wallraff sagt, er habe diese Szenen proportional zu ihrem Vorkommen in der Wirklichkeit in den Film eingebaut. Meistens sei es aber so abgelaufen wie mit der Kölner Wohnungsvermieterin, die nach Ogonnos Abgang meint: „Man kann ja nicht am Telefon sehen, wie der aussieht. Die passen nicht.“
Nun kann man sagen, dass einem all diese Reaktionen übertrieben vorkommen, dass man selbst nicht so mit Schwarzen umgeht und auch noch nie solche Szenen erlebt hat. Womit wir beim zweiten großen Unbehagen wären, das Wallraffs Film weckt. Es hat mit seiner fragwürdigen Methode zu tun. Warum lässt er nicht einen echten Afrikaner losziehen? Wallraff selbst ist nur die Karikatur eines Afrikaners, denn er reproduziert gängige Vorurteile. Er radebrecht, erzählt beim Schrebergartenverein, dass er ganze Schweine grillen möchte, und läuft mit einer schrägen Afrofrisur samt Sonnenbrille herum. Zwei Stunden verbrachte er vor jedem seiner Streifzüge in der Maske, die dunkelbraune Farbe wurde aufgesprüht. Dennoch wirkt Wallraff oft wie ein Clown – dass er in dieser Aufmachung nicht enttarnt wird, spricht nicht für die Weltgewandtheit der Deutschen.
Dass er aber schon durch sein Auftreten den Verdacht erzeugt, er provoziere absichtlich negative Reaktionen, ist fatal. Warum in aller Welt muss er in einer Kölner Kneipe versuchen, einem Besoffenen die Flirt-Bekanntschaft mit einem Strauß Rosen auszuspannen? Wallraffs Eitelkeit setzt die Glaubwürdigkeit des Themas aufs Spiel. Das ist unverzeihlich, denn wer tatsächlich jemals an der Seite dunkelhäutiger Menschen in diesem Land unterwegs war, weiß, dass alles, was Wallraff als Ogonno widerfährt, so passieren kann.
So sind dann auch die wenigen Szenen, in denen Afrikaner zu Wort kommen, die wahrhaftigsten und einzig berührenden Momente: Ein junger Schwarzer ist den Freudentränen nahe, als er auf Arbeitssuche vom Chef eines Betriebs in Brandenburg schlicht aufgefordert wird, seine Papiere mitzubringen: „Das war das schönste Erlebnis“, sagt er, „der war so freundlich“. Und nachdem Wallraff in Begleitung zweier schwarzer Frauen vergeblich versucht hat, einen Wohnwagenplatz in Minden zu mieten („das Problem ist die Hautfarbe“, sagt der Campingplatzbesitzer), kommentiert eine der beiden Frauen ungerührt: „Also, für uns ist das normal.“
Es versteht sich, dass diese Afrikaner klug genug gewesen wären, niemals in den Zug voller Fans des Drittligavereins Dynamo Dresden zu steigen, die grölen „Bambule, Randale, Sieg Heil!“ Wallraffs Somalier tut es nach einem Spiel in Cottbus dennoch und entgeht nur dank mitreisender Polizisten der Körperverletzung. Da weiß man dann nicht mehr, ob man Wallraffs Mut bewundern oder seine Todessehnsucht bedauern soll. Und man weiß auch nicht mehr, was er beweisen will: dass Hooligans fremdenfeindlich sind? Es mag die brenzligste Situation des Selbstversuchs sein, die aufschlussreichste ist es nicht, weil Wallraff nur die Reaktion bekommt, die er gesucht hat. Einerseits. Andererseits fragt man sich, warum man sich mehr darüber aufregt, dass Wallraff in diesen Zug steigt, als darüber, dass es Züge gibt, in die manche Menschen besser nicht steigen.
Eins kann man den Fußballfans allerdings nicht vorwerfen: Sie faseln nicht von der weltoffenen Nation, die Deutschland heute angeblich sei. Auf ihren T-Shirts heißt es: „Wir wissen, wen wir hassen!“ All die anderen, denen Ogonno begegnet, drucksen herum und lassen ihren Ressentiments freien Lauf, sobald er gegangen ist. „Ganz schwarz, ganz schlimm“, entsetzt sich die Kölner Vermieterin und meint: „Das hat nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun.“ Ihre Wohnung würde sie dennoch eher leer stehen lassen, als sie an Ogonno zu vermieten.
Es sind diese Szenen, die „Schwarz auf Weiß“ zu einem Dokument der Heuchelei in Deutschland anno 2009 machen und auch wieder einmal die Frage nach der Rolle der Deutschen in die Integrationsdebatte werfen. Da halten sich Menschen qua Hautfarbe für die Größten der Welt, können aber nicht mal einen „Zigeuner“ von einem Afrikaner unterscheiden, wie die Camper in Minden. Immerhin wissen junge Männer in Oberbayern: „Da sind die Berge, dahinter ist Afrika. Da gehörst du hin. Afrika für Affen, Europa für Weiße.“ Wallraff wird solche Sprüche jetzt nicht mehr hören müssen. Andere Menschen schon.
„Schwarz auf Weiß“ läuft in den Berliner Kinos Broadway, Hackesche Höfe und Rollberg. Wallraff hat seine Erfahrungen auch in dem soeben erschienenen Reportage-Band „Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen ins Landesinnere“ (Kiepenheuer &Witsch, 336 S., 13,95 €) beschrieben.