“Der letzte Herr des Waldes”

“Der letzte Herr des Waldes”

An einer Stelle in diesem wunderbaren Buch ist Madarejúwa wieder einmal herausfordernd: „Vielleicht meinen die Weißen dass wir nicht mehr kämpfen? Dass wir sie nicht besiegen können? Du kannst ihnen ausrichten, dass sie sich irren. Wir können jeden Gegner besiegen.“

Der da spricht, ist ein 22-jähriger brasilianischer Indio. Sein Name lautet Madarejúwa und schon seit Kinderbeinen ist er ein ausgezeichneter Bogenschütze und Jäger. Er gehört zum Volk der Tenharim, die im Südwesten des brasilianischen Amazonaswaldes auf einem Gebiet von der Größe Schleswig-Holsteins leben. Doch das Reservat wird bedroht: von Holzfällern, Goldsuchern, Staudammbauten und Rinderzüchtern, die ihre Weideflächen ausweiten wollen.

Der Reporter der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“, Thomas Fischermann, lernte Madarejúwa 2013 kennen, als er in der Region an der Grenze zwischen Dschungel und vermeintlichem Fortschritt recherchierte. Zwei Weiße und ein Schwarzer waren ermordet wurden. Sie waren auf der Überlandstraße Transamazônica unterwegs, die das Reservat der Tenharim durchschneidet. Deswegen fiel der Verdacht sofort auf die Indios, und es kam zu schweren Spannungen.

Fischermann wollte dieser Story nachgehen. Dabei traf er Madarejúwa, den er nun immer wieder besuchte und mit ihm Streifzüge durch das Tenharim-Reservat unternahm. Dabei öffnete ihm der junge Indio den Kosmos seines Volkes und das tiefe Wissen über die Natur. Aus diesen Besuchen ist „Der letzte Herr des Waldes“ entstanden, ein Erzählung von einer Kultur, die dem Untergang geweiht zu sein scheint. Und eine Botschaft.

Vor den Gesprächen fragte Madarejúwa immer bei den Ältesten nach, welche Geheimnisse er offenbaren dürfe. Die Alten beschlossen, dass sie über den deutschen Reporter eine Nachricht in die Welt senden wollten. Wir, die Weißen, sollten endlich lernen, wie man richtig lebt. Denn wir seien krank und steckten die ganze Welt an. Wir quälten die Waldtiere, zerstörten die Natur und wüssten eigentlich gar nicht, warum. So sagt es ein alter Indio einmal.

Das große Verdienst Fischermanns ist es nun, dass er den jungen Krieger Madarejúwa aus dessen Perspektive erzählen lässt. So entsteht ein authentischer und unglaublich dichter Monolog. Nur am Anfang und am Ende des Buches macht Fischermann Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte seines Werks. Dieser Kunstgriff führt zu solch einer Nähe, dass man als Leser irgendwann selbst das Gefühl hat, mit Madarejúwa durch den Wald zu ziehen und auf gefährliche Schlangen zu achten, Affenlaute nachzuahmen oder einen Tapir zu jagen. Und man kann Madarejúwas Unsicherheit förmlich spüren, wenn er vom Leben eines jungen Indio zwischen der anziehenden Konsumwelt der Weißen und der traditionellen Lebensweise seines Volkes spricht. Oder man sitzt mit Madarejúwa bei den Alten und lauscht ihren Stories von Kriegen aus vergangenen Tagen.

Bei all dem gerät nie in Vergessenheit, dass die Welt der rund 1000 Tenharim akut bedroht ist. Der junge Madarejúwa ist entschlossen, sie zu verteidigen. Ob durch die Blockade der Transamazônica oder – wenn es sein muss – mit Pfeil und Bogen. Thomas Fischermann hilft ihm bei diesem Überlebenskampf ein wenig, indem er ihn seine Geschichte erzählen lässt. Fischermann hat ein wichtiges und berührendes Buch geschrieben, das hiermit unbedingt auch Kindern empfohlen sei.

Thomas Fischermann: „Der letzte Herr des Waldes“, C.H. Beck, München, 2018. 19,95 €.