Brasiliens schwarzer Block

Brasiliens schwarzer Block

Nun gibt es sogar schon Umfragen zum Thema: „Unterstützen Sie die Black Blocs?“ Mögliche Antworten: „Ja.“ – „Nein.“ – „Nur, wenn sie keine Gewalt anwenden.“

Nach wenigen Stunden lagen die „Ja“-Sager in der Online-Erhebung von Rio de Janeiros Tageszeitung „O Dia“ mit vielen Tausend Stimmen vorne. Anlass für die Erhebung waren die jüngsten Ausschreitungen in Rios Zentrum, die mittlerweile zum fast wöchentlichen Ritual geworden sind.

Doch wer oder was sind die Black Blocs? Das fragen sich viele Brasilianer nun schon seit Wochen. Zeitschriften hieven sie auf ihre Titelseiten, Fernsehjournale machen mit ihnen auf, Leitartikler versuchen Erklärungen zu finden. Eine Radiomoderation stöhnte jüngst nach der Verlesung der Nachrichten: „Black Bloc, Black Bloc – ich kann es nicht mehr hören!“

Wie der Name schon verrät, handelt es sich um ganz in schwarz gekleidete, zumeist junge Brasilianer, die auf den neu aufgeflammten Demonstrationen in großen Gruppen auftreten und sich äußerst militant geben. Sie liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei, verwüsten Banken und greifen staatliche Einrichtungen an. Außerdem treten sie als Verteidiger der anderen, der „zivilen“ Demonstranten gegen die Militärpolizei und ihre gefürchtete Schocktruppe auf.

Gibt es in Deutschland bereits seit den späten siebziger Jahren einen aus der Anti-AKW-Bewegung hervorgegangenen Schwarzen Block, war das Phänomen in Brasilien bis dato eher unbekannt. 2011 trat eine winzige autonome Gruppe beim Besuch von Barack Obama in Rio in Erscheinung, als ein Molotowcocktail aufs US-Konsulat flog. Bei den großen Protesten im Juni sichtete man dann wieder zahlreiche schwarz Vermummte, doch sie gingen in der Masse der Demonstranten eher unter.

Seitdem sind die Proteste abgeebbt, aber die Black Blocs haben starken Zulauf zu verzeichnen. Es sind vor allem Jugendliche, bei denen sich Abenteuerlust mit der Wut auf einen Staat paart, der auf die legitimen Forderungen der Bevölkerung bisher nur mit Polizeigewalt reagiert und ansonsten business as usual betreibt. Ob die Black Bloc von politischen Interessensgruppen (von links oder rechts) infiltriert sind, die ein Interesse an Chaos auf den Straßen haben, wird von Beobachtern vermutet, ist aber bisher nicht erwiesen.

Die Demonstrationen in Brasilien konzentrieren sich zurzeit stark auf spezifische, lokale Themen, etwa das katastrophale Bildungssystem in Rio, die Versteigerung von Brasiliens Ölfeldern oder den knappen Wohnraum in Säo Paulo. Am Rande einer Lehrer-Demonstration sprechen zwei Black Blocs mit dem Tagesspiegel über ihre Motivation. Sie sind 15 und 16 Jahre alt, weiß, stammen aus dem Mittelklasseviertel Tijuca. Beide geben sich offen, nennen ihre Vornamen (Marcos und Rafael), ziehen ihre Gasmasken ab, die neben vors Gesicht geschlungenen T-Shirts zur Standartausrüstung zählen. Um ihre Augen und Nase haben sie Magnesiumpulver aufgetragen, das zusätzlich gegen das Tränengas der Polizei helfen soll. Sie sagen: „Wir müssen unsere Lehrer schützen.“ Ob dazu auch das Verwüsten von Banken gehöre? Prompte Antwort: „Die Banken sind Symbole des Kapitalismus. Sie beuten die Bevölkerung aus.“

Und warum brennen auch Mobilfunkläden? „Die Handygebühren in Brasilien sind die höchsten der Welt.“ Haben sie keine Angst, festgenommen und misshandelt zu werden? – Schon, aber das gehöre zum Kampf dazu.

Anschließend reihen sich die beiden wieder in ihren Block ein, der am Kopf der Demonstration marschiert. In der ersten Reihe trägt man selbstgebastelte Schilder aus Holz. Darauf das „A“ der Anarchisten oder: „Schocktruppe der Lehrer“. Letztere haben nichts gegen die Präsenz der Black Blocs. Im Gegenteil. Eine 34-jährige Lehrerin, die ihren Namen mit Janaina angibt, sagt: „Die Militärpolizei nimmt uns fest, verprügelt uns, greift uns mit Tränengasbomben an. Zwischen uns und diesen Tieren steht nur der Black Bloc.“ Die wahren Vandalen seien ohnehin die Politiker, die für das kaputte Bildungssystem verantwortlich seien. Die Lehrerin gibt einer verbreiteten Haltung Ausdruck. Rios Lehrergewerkschaft hat sich zuletzt für die Präsenz des Black Blocs ausgesprochen, obwohl dieser Busse und Polizeiautos in Brand steckt und Feuerwerkskörper auf die Beamten abfeuert.

Der Historiker Francisco Teixeira von der Bundesuniversität UFRJ sieht den Black Bloc äußerst kritisch. Er sagt, dass die Zerstörungswut der jungen Leute der Polizeigewalt Tür und Tor öffne. Die Mehrheit der Bevölkerung sei nun von den Bildern der Zerstörung abgeschreckt und habe Angst, weiter für ihre Anliegen auf die Straße zu gehen. Genau dies sei aber das Ziel des Staats ein Dreivierteljahr vor der Fußball-WM 2014 gewesen. „Die Forderung nach besserer Bildung wird von den Gewaltakten überdeckt. Der Black Bloc leistet den Lehrern damit einen Bärendienst.“

Nun hat die Staatsmacht mit aller Härte reagiert. Nach einer Demonstration am vergangenen Dienstag nahm die Polizei 200 vorwiegend junge Menschen fest und transportierte sie in Bussen zu weit über die Stadt verteilten Revieren. Zwar waren darunter wohl auch Black Blocs, doch viele der Festnahmen erfolgten willkürlich. Einige der Demonstranten wurden dennoch bereits in Gefängnisse verfrachtet. Sie sollen nun wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ angeklagt werden, einem neuen Gesetz, das eigentlich auf mafiose Organisationen zielt.

Brasiliens Anwaltsorden OAB ist entsetzt. Einer seiner Sprecher sagte gegenüber der Zeitung „O Dia“: Sie nehmen friedliche Demonstranten fest, um nicht mit leeren Händen dazustehen; dann wenden sie auf Druck der Regierung dieses extreme Gesetz an, um das Gefühl von Bedrohung zu schaffen.“ Andere Beobachter sprechen von Polizeistaatsmethoden. Den Black Blocs werden die Festnahmen weiter Zulauf bescheren.