Man stelle sich vor, ein aktiver Bundesligaspieler würde wegen Vergewaltigung von einem Gericht zu neun Jahren Haft und 60.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt.
Foto: Von Marcello Casal Jr/ABr – www.agenciabrasil.ebc.com.br/ultimasfotos?p_p_id=galeria&p_p_lifecycle=0&p_p_state=normal&p_p_mode=view&p_p_col_id=column-1&p_p_col_count=1&_galeria_railsRoute=%2Fgerenciador_galeria%2Fgaleria%2Fshow%3Fid%3D1058#http://agenciabrasil.ebc.com.br/galeriaimagens/images/fotos/7919/normal?p_p_id=galeria, CC BY 3.0 br, www.commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10759795
Die Richter würden es als erwiesen ansehen, dass der Spieler mit fünf anderen Männern eine 23-Jährige Frau in einem Nachtclub „heimtückisch“ zum Trinken verführt, sie in eine Garderobe gebracht, abgeschlossen und sie vergewaltigt habe. Würde dieser Spieler, der in seinen besseren Tagen zur Stammbesetzung der National-Elf zählte, dann am Tag nach dem Urteil trainieren und Selfies mit Kindern machen? Würde sein Club zu dem Vorgang schweigen und der Trainer ihn am Wochenende nach dem Urteil für ein Bundesligaspiel aufstellen?
In Brasilien zumindest ist das möglich. Der Spieler, um den es geht, ist Robson de Souza, besser bekannt als Robinho. Einst wurde er als der „Nachfolger Pelés“ gehandelt, er spielte bei Real Madrid, Manchester City und AC Mailand, doch der große Durchbruch gelang ihm nie. Heute ist der 33-Jährige für den brasilianischen Erstligaclub Atlético Mineiro aus der Stadt Belo Horizonte im Einsatz. Dort sorgt er weniger auf dem Fußballplatz für Aufsehen als vielmehr auf dem Felde der Justiz.
Die Vergewaltigung der jungen Frau, einer Albanerin, soll 2013 in einer Mailänder Diskothek stattgefunden haben. Die fünf mutmaßlichen Mittäter Robinhos sind flüchtig. Er selbst bestreitet die Tat, der Sex mit der Frau sei einvernehmlich gewesen. Aber die Staatsanwälte präsentierten Aufnahmen von Telefongesprächen der Männer, die das Gegenteil beweisen sollen. Ihrer Argumentation folgten die Richter.
Trotz des Urteils wird Robinho wohl niemals ein italienisches Gefängnis von Innen sehen. Seine Anwälte haben Berufung eingelegt, das Verfahren wird sich hinziehen. Außerdem liefert Brasilien keine im Land geborenen Staatsbürger aus.
Über solche juristischen Fragen hinaus, wirft der ein Schlaglicht auf den Umgang des brasilianischen Fußballs mit straffällig gewordenen Spielern. Die Vereinsführung von Robinhos Club, Atlético Mineiro, schwieg zunächst. Dafür meldeten sich die Fans zu Wort. Sie priesen Robinho als „Schänder der Marias“. Die „Marias“, das ist ein homophobes Schimpfwort für die Anhänger des Erzrivalen Cruzeiro, dem zweiten großen Club aus Belo Horizonte.
Die Atlético-Fans waren sich einig, dass auch nur von diesen „Marias“ die Transparente stammen konnten, die Unbekannte vor der Vereinszentrale aufgehängt hatten. „Atlético, dein Schweigen ist Gewalt. Wir wollen keine Vergewaltiger“, stand auf einem davon. Unterzeichnet war es: „Die Feministinnen von Atlético“. Im Netz schrieb einer, dass es gar keine Feministinnen bei Atlético gebe und Robinho zu unterstützen sei. Die Vergewaltigung? – Fake News!
Auch Robinhos Mitspieler sind von seiner Unschuld überzeugt. Dass das alles schlimm sei, wenn er doch nichts getan habe, sagt Verteidiger Gabriel. Irgendwann verbreitete Atléticos Clubführung dann doch noch ein Statement. Es handele sich um eine „Privatangelegenheit des Spielers“, ließ sie wissen. Es ist eine typische Reaktion, nach dem Motto: Der Fußball ist eine Welt mit eigenen Regeln und Gesetzen – lasst uns mit eurer Moral in Ruhe.
So dachte wohl auch die Clubführung des brasilianischen Zweitligateams Boa Esporte, als sie im März den Torhüter Bruno Fernandes verpflichtete. Bruno war kurz zuvor wegen eines Verfahrensfehlers frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. Ein Gericht hatte ihn 2013 zu 22 Jahren Haft verurteilt, weil er seine schwangere Geliebte 2010 hatte ermorden lassen. Er wollte offenbar seine Vaterschaft vertuschen. Ihren Körper hat man bis heute nicht gefunden. Es wird vermutet, dass der Auftragskiller ihren Leichnam an Rottweiler verfütterte.
Als Bruno frei kam, wurde daraus ein Medienereignis, Fans machten Selfies mit dem lachenden Hünen. Die Vereinsführung von Boa Esporte begründete seine Verpflichtung damit, dass man einem Kriminellen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglichen wolle. Hinter der Verpflichtung steckte wohl auch die fixe Idee, einen PR-Coup landen zu können. Plötzlich war Boa Esporte in aller Munde.
Doch die Freude währte nicht lange. Brasiliens Oberster Bundesgerichtshof entschied, dass Bruno wieder ins Gefängnis muss. Dort sitzt der Spieler seitdem, der vor dem Mord als heißer Anwärter auf die Nummer Eins im brasilianischen Nationalteam galt.
Der Fall Bruno ist das wohl extremste Beispiel für den fehlenden moralischen Kompass im brasilianischen Fußball. Es ließen sich problemlos ein halbes Dutzend weitere Fälle nennen. Etwa der des Trainers Alexi Stival, der bis vor kurzem noch den Erstligaclub Palmeiras aus São Paulo trainierte und unter dem Spitznamen Cuca bekannt ist. Als Spieler soll er 1987 in Bern mit drei Teamkollegen vom Verein Grêmio eine Minderjährige vergewaltigt haben. Die Fußballer wurden einen Monat lang von der schweizerischen Polizei festgehalten und danach in Abwesenheit verurteilt, traten ihre Strafe aber nie an. Der Karriere Cucas schadete das Urteil nicht, er spielte bei verschiedenen Erstligaclubs und trainierte jedes brasilianische Team von Rang und Namen. Für seine Tat musste er sich nie rechtfertigen.
Ein Muster lässt sich erkennen: Die Opfer der Spieler sind immer weiblich, anschließend spielen Vereine und Fans die Vorwürfe herunter – selbst dann, wenn rechtskräftige Urteile vorliegen. Das mag mit der generell hohen Zahl von Gewalttaten gegen Frauen in Brasilien zu tun haben. Der Reporter Paulo Vinicius Coelho vom Sender Fox-Sports hebt hervor, dass Brasilien ein gigantisches Defizit an Bildung und ein riesiges Problem mit der Straflosigkeit habe. Von dieser Kultur sei der Fußball nicht ausgenommen – auch wenn Gewaltvorwürfe gegen Sportler kein spezifisch brasilianisches Phänomen seien, betont er.
Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Auch in Brasilien stinkt der Fisch vom Kopf her. Brasiliens Fußballverband CBF ist von Korruption zerfressen. Sein Ex-Präsident José Maria Marin – er war während der Militärdiktatur Gouverneur von São Paulo – steht zurzeit in den USA unter Hausarrest und erwartet einen Korruptionsprozess, er war 2015 in Zürich festgenommen worden. Allein für die Organisation der Fußball-WM 2014 soll er umgerechnet rund 1,6 Millionen Euro eingesteckt haben.
Und als nun in Moskau die Guppen für die WM 2018 ausgelost wurden, waren sämtliche Verbandspräsidenten anwesend, nur einer nicht. Marco Polo Del Nero, CBF-Chef, zog es trotz des barocken Luxus’ der Fifa-Veranstaltung vor, Brasilien nicht zu verlassen. Er fürchtete, im Ausland festgenommen zu werden, denn die US-Justiz ermittelt auch gegen ihn wegen Korruption.
Damit schließt sich der Kreis zum Spieler Robinho. Sollte das Urteil gegen ihn in nächster Instanz bestätigt werden, könnte auch er sein Heimatland nicht mehr verlassen, ohne Gefahr zu laufen, im Gefängnis zu landen. In Brasilien spielt er unterdessen unbehelligt weiter.