Brasiliens Justizsupermann schmeißt hin

Brasiliens Justizsupermann schmeißt hin

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro wirkte fast wie ein enttäuschter Liebhaber. „Ich hatte immer ein offenes Herz für ihn. Ich bezweifle, dass er immer eins für mich hatte“, klagte er am Freitagabend umrahmt von seinen Ministern.

Foto: CCJ – Comissão de Constituição, Justiça e Cidadania, Senado Federal

Bolsonaro meinte seinen zurückgetretenen Justizminister Sérgio Moro. Der hatte am Morgen für viele überraschend seinen Posten niedergelegt und damit Zweifel an der Stabilität von Brasiliens Regierung geweckt. Moro galt als wichtigste Stütze Bolsonaros, da er bis weit ins bürgerliche Lager hohes Ansehen genoss. Wegen seines Kampfs gegen die Korruption im Rahmen der Lava Jato-Ermittlungen wird der 47-Jährige von vielen Brasilianern als eine Art „Justiz-Supermann“ verehrt. Die Berufung des Ex-Richters galt seinerzeit als einer der geschicktesten Schachzüge Bolsonaros. Sie sollte unterstreichen, wie ernst es ihm mit dem Kampf gegen die Kriminalität ist.

Umso größer ist nun der Schock über Moros Rücktritt. Dies umso mehr, weil Moro seinen Schritt mit schweren Vorwürfen gegen Bolsonaro verband. Dieser habe versucht, sich in Untersuchungen der Bundespolizei einzumischen, die seine Söhne beträfen. Gegen drei von ihnen ermitteln die Behörden wegen Korruption und anderer Delikte, sie sind prominente Politiker. Offenbar wollte Bolsonaro sich Informationen verschaffen, zu denen er keinen Zugang haben dürfte.

Der Tropfen, der das Fass für Moro zum Überlaufen brachte, war jedoch die Entlassung des Chefs von Brasiliens Bundespolizei. Bolsonaro hatte sie angeordnet, ohne den Schritt mit Moro abzustimmen. Der prominente Justizminister sah dies als Einmischung in seine Kompetenzen an. Er wirkte bei seiner Pressekonferenz fast beleidigt. Er sagte, dass der Präsident ihm einst einen Blankoscheck zugesichert habe, über alle Personalien entscheiden zu können.

Die Vorwürfe Moros mündeten noch am Freitagabend in der Ankündigung von Brasiliens Bundesanwalt, Ermittlungen gegen Bolsonaro einzuleiten. Mögliche Delikte: Behinderung der Justiz sowie Korruption.

Der Rücktritt Moros wiegt für Bolsonaro umso schwerer, weil Moro ihm als Richter einst den Weg ins Präsidentenamt geebnet hatte. 2017 hatte Moro den linken Ex-Präsident Lula da Silva in einem fragwürdigen Gerichtsverfahren wegen Korruption ins Gefängnis geschickt. Lula wollte damals zu den Präsidentschaftswahlen antreten und lag in den Umfragen vorne. Nach der Verurteilung Lulas gewann Bolsonaro die Wahl.

Wer nun aber gedacht hätte, dass Bolsonaro sich nach den Angriffen Moros zerknirscht geben würde, kennt Brasiliens aggressives Staatsoberhaupt schlecht. Er ging zur Gegenattacke über und stellte Moro als Lügner und Verräter dar. Und er formulierte seinerseits schwere Vorwürfe gegen den angeblichen Saubermann. Er sagte, dass Moro ihn gedrängt habe, ihm den im November frei werdenden Platz im Obersten Gerichtshof zu reservieren. Moro reagierte darauf umgehend und spielte dem TV-Sender „Globo“ Whatsapp-Nachrichten zu, die beweisen sollen, dass dies nicht stimme.

Der Streit zwischen Bolsonaro und Moro hat Brasiliens Rechte tief gespalten. Die moderateren Moro-Fans stehen gegen die extremistischen Bolsonaro-Anhänger. Auch im Kabinett ist unklar, wie viel Rückhalt der Präsident noch hat. Zwei Faktoren sind entscheidend. Wenn nun auch der für Wirtschaft und Finanzen zuständige Paulo Guedes genug haben sollte, wäre Bolsonaros zweiter wichtiger Pfeiler weggebrochen und seine Regierung gescheitert. Es heißt, Guedes habe keine große Lust mehr auf den Minister-Job.

Der zweite Faktor sind die Militärs. Mehr als ein Drittel von Bolsonaros Kabinett besteht aus Generälen. Wenn sie ihm nach den Enthüllungen Moros das Vertrauen entziehen, wäre Bolsonaro ebenfalls am Ende.

Auch verschiedene Impeachment-Verfahren gegen Bolsonaro wurden bereits bei Parlamentspräsident Rodrigo Maia eingereicht. Es liegt an ihm, diese nun auf die Tagesordnung zu setzen.

Während Bolsonaro in der schwersten Krise seit Amtsantritt steckt, steigen die Covid-19-Fälle in Brasilien stark an. Am Sonntag gab es offiziell fast 60.000 Infizierte und mehr als 4000 Tote. Millionenstädte wie Manaus, Fortaleza und Belém haben bereits den Gesundheitsnotstand erklärt. Brasiliens Präsident scheint dies jedoch immer weniger zu kümmern, er spielt die Gefahr weiterhin herunter. Deswegen nahm vergangene Woche bereits Gesundheitsminister Henrique Mandetta seinen Hut.

Es wird zunehmend einsam um Jair Bolsonaro, der 2019 angetreten war, um Brasilien vor dem „Kommunismus“ zu retten. Immer mehr Brasilianer kommen mittlerweile zu dem Schluss, dass es besser wäre, Brasilien vor Bolsonaro zu retten.