Der israelische Popstar Aviv Geffen, Jahrgang 1973, über den Nahostkonflikt, Wehrdienstverweigerung und Morddrohungen gegen ihn.
Herr Geffen, Sie sind einer der bekanntesten Friedensaktivisten Israels. Auf ihren Konzerten fordern Sie das Ende des Kriegs in Gaza, aber laut Umfragen sind 91 Prozent der Israelis dafür.
Ich traue diesen Zahlen nicht. Ich habe einen Haufen Anhänger, die finden, dass der Krieg falsch ist. Ich glaube an smarte Menschen, nicht an smarte Bomben.
Wenn Sie die Bilder der toten und verwundeten palästinensischen Zivilisten sehen, was empfinden Sie?
Ich werde sauer. Israel liefert der Hamas die beste Propaganda. An wen werden sich die Palästinenser wenden, wenn Gaza in Schutt und Asche liegt? An die Hamas, die schon vorher ein großes soziales Netz errichtet hatte.
Wie beim Libanonkrieg sind jetzt alle euphorisch, weil wir es denen so richtig zeigen. Aber am Ende sind wir wieder die Dummen.
Wenige Meter von hier marschierten die Nazis vor 76 Jahren mit Fackeln durch das Brandenburger Tor …
… kein Problem, ich habe meinen Frieden mit Deutschland gemacht. Früher fühlte ich mich hier unwohl, weil ein Teil meiner Familie im Holocaust ermordet wurde.
Aber gerade der Holocaust zeigt doch, dass Israel sich wehren muss. Sie singen, dass Ihre einzige Waffe das Wort sei. Man kann das fahrlässig finden.
Es stimmt, die israelische Regierung musste reagieren, nachdem die Hamas uns jahrelang mit Raketen beschossen hatte. Aber glauben Sie, dass es klug ist, die Palästinenser kollektiv zu bestrafen? Israel ist ein paranoides Land, unfähig, seinen Nachbarn zu vertrauen.
Arafat war dafür berüchtigt, dass er zu den Israelis „Frieden“ sagte und zu seinen Leuten „Krieg“.
Ich bin nicht naiv. Ich habe aber entschieden, dass ich nicht zynisch werden, sondern mir Hoffnung bewahren will.
Der israelische Bestsellerautor Eli Amir sagt, dass man Optimist sein muss, um im Nahen Osten zu leben.
Es ist verdammt schwer. Ich habe einen Freund, der wie ich zur radikalen Linken gehörte. Er kam vor ein paar Tagen zu mir und sagte: „ Wir haben für den Frieden demonstriert, und sie beschießen uns. Jetzt machen wir sie platt.“ Die Hamas hat erreicht, dass Leute wie ich sich dumm fühlen. Aber wer glaubt, durch den Krieg kämen wir weiter, ist noch dümmer.
Wo liegen die Ursachen des Konflikts?
Ganz einfach: Ich wache in Israel in einem schönen Haus auf. Ich dusche, frühstücke, checke meine Mails und setze mich ins Auto. Aber wenige Kilometer entfernt lebt ein Palästinenser in meinem Alter, der seinen Tisch verfeuern muss, damit es warm ist. Sein Brot schmuggelt er durch einen Tunnel, und sein 80-jähriger Vater wird von halbwüchsigen israelischen Soldaten an einem Checkpunkt gedemütigt. Die lassen ihn nicht durch, weil sie gerade keine Lust haben. Wenn es mein Vater wäre, würde ich vergessen, dass ich so friedliebend bin.
Beziehen auch andere Musiker Stellung?
Nein, sie haben Angst, dass ihre Songs dann nicht mehr im Radio laufen könnten.
Wie wird eigentlich Ihre androgyne Erscheinung in Israel wahrgenommen?
Als Unverschämtheit. Auf meiner ersten Tour Anfang der neunziger Jahre wurde ich mit Steinen und Gemüse beschmissen. Vielen Männern in Israel wird unwohl, wenn ein anderer Mann sich feminin gibt. Israel ist eine Macho-Gesellschaft.
Sie selbst stammen aus einer bekannten liberalen Familie.
Wir sind so eine Art israelische Kennedys, nur ohne Geld. Meine Eltern waren Bohemiens, die viel kifften. Mein Vater hat mir Texte von Bob Dylan, John Lennon und Leonard Cohen vorgelesen.
Heute ist ihr Vater, Jonathan Geffen, ein bekannter Journalist. Vor einigen Tagen schrieb er in „Ma’Ariv“, einer der größten Zeitungen Israels: „Nun vereint sich Israels Öffentlichkeit wieder um die einzigen Gemeinsamkeiten, die sie hat: Krieg, Trauer, Schoah, Desaster.“
Daraufhin hat einer der reichsten Männer Israels eine ganze Seite in „Ma’Ariv“ gekauft. In riesigen Lettern hieß es da: „Jonathan, fuck off!“
Ihr erster großer Hit, „Cloudy Now“, wurde aus dem Radio verbannt. Minister warnten vor ihm, weil Sie singen, dass Ihre Generation „im Arsch“ sei.
Israels Jugend ist zu Tode gelangweilt und frustriert. Die meisten nehmen harte Drogen, und ihr soziales Leben spielt sich im Internet ab. Alles ist schnell und billig. Ich versuche auf meinen Konzerten wenigstens ein bisschen Wärme zu verbreiten.
Der Bürgermeister von Jerusalem hat versucht, eines ihrer Konzerte zu verbieten. Begründung: Sie waren nicht in der Armee.
Die versuchen andauernd, mich zu zensieren. Vor allem Soldaten sollen nicht zu meinen Konzerten kommen.
Weil Sie den Wehrdienst verweigerten?
Ich hatte einen schlimmen Rücken. Aber ich hatte vorher schon gesagt, dass ich mich eher umbringe, als mir eine Uniform anzuziehen.
Der Neffe des ehemaligen Premiers Netanjahu saß kürzlich wegen Wehrdienstverweigerung anderthalb Jahre im Gefängnis.
Auch meine Verweigerung war ein Skandal. Mein Großonkel ist Moshe Dajan, der Held des Sechstagekriegs. Und nun sagte ich, meine Hände sind zu schwach, um eine Waffe zu halten. Männer dürfen weinen und schwul sein. Das war ein starkes Stück. Die Armee ist in Israel heilig.
Eine Ironie steckt darin, dass Dajan im Sechstagekrieg Ost-Jerusalem eroberte …
… und ich will es nun zurückgeben. Ich verstehe das Geschiss um die Territorien nicht. Wir bezahlen mit Krieg und Unsicherheit für die besetzten Gebiete.
Sie haben mal für eine Fernsehshow in einer Siedlung gelebt. Was haben Sie erfahren?
Die Siedler sind Lügner und Verrückte. Einer wartete den ganzen Tag mit seiner Waffe auf die Palästinenser. Sie behaupten, sie glaubten an Gott. In Wirklichkeit ist es billig, in den Siedlungen zu leben.
Erhalten Sie Drohungen?
Heute sind schon vier davon eingetroffen. „Aviv, du bist tot“, heißt es meist.
Viele Juden fühlen sich beleidigt, weil Sie sagen, Pink Floyds „The Wall“ bedeute Ihnen mehr als die Klagemauer.
Klar, Religion entzweit die Menschen. Aber ich bin das Symbol des neuen Israels, zu meinen Shows kommen 40 000 junge Leute. Die Rechten sollen doch froh sein, dass sie mich haben. Sie wüssten sonst gar nicht, wen sie hassen sollten.
Sie leben mit Ihrer Frau und Ihrem Sohn Dylan in London und Tel Aviv. Wieso kehren sie regelmäßig nach Israel zurück?
Wegen der spirituellen Verbindung. 1995 trat ich bei der größten Friedenskundgebung auf, die jemals in Israel stattfand. Yitzhak Rabin hatte gerade den Friedensnobelpreis bekommen, und alle dachten: endlich, Frieden! Aber als ich auf die Bühne ging, hatte ich ein komisches Gefühl. Ich sollte einen fröhlichen Song spielen, doch etwas in mir sträubte sich. Also spielte ich „I Cry For You“, ein trauriges Lied. Kurz darauf wurde Rabin, den ich gerade umarmt hatte, von dem Rechtsradikalen Yigal Amir erschossen. Amir war durch die Kontrollen gelangt, weil er gesagt hatte, er sei mein Fahrer.
Wie hat der Mord Israel verändert?
Die Friedensbewegung brach zusammen, und Benjamin Netanjahu wurde zum Premier gewählt, was wirklich an der mentalen Verfassung der Israelis zweifeln lässt. Aber „I Cry For You“ wurde zur Hymne der Hoffnung auf Frieden.
Haben Sie Angst auf der Bühne?
Oft sogar. Manchmal trage ich eine schusssichere Weste. Aber das Risiko gehört dazu, wenn man etwas verändern will.
Sprechen Sie mit arabischen Musikern?
Nein, es gibt keinen palästinensischen oder syrischen Aviv Geffen. Sie sind Feiglinge. Macht endlich den Mund auf!