Junot Díaz hat für seinen Roman “Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao” den Pulitzerpreis erhalten. Er wurde 1968 in der Dominikanischen Republik geboren und kam als Kind in die USA. Er lebt und lehrt in New York.
(Foto: Christopher Peterson)
Mr. Díaz, wollen wir über Frauen und Männer sprechen?
Nur zu.
Also: Busen oder Hintern?
Schreckliche Frage. So fängt das also an. Also, meine Freundin behauptet, dass der weibliche Po eine ungeheuerliche Anziehungskraft auf meine Augäpfel ausübe.
Ehrliche Antwort.
Ja, klar. Wir Männer lügen uns doch andauernd selbst an, kreieren Mythen, tun in der Öffentlichkeit so, als seien wir nicht auf diese Dinge fixiert.
Wir fragen, weil zwischen Lateinamerika und den USA ein kultureller Graben existiert, was die männliche Aufmerksamkeit gegenüber weiblichen Körperteilen angeht. In den USA ist man auf Brüste fixiert, in Lateinamerika auf Hintern.
Ganz so einfach ist es nicht. Ich war neulich mit einem Dominikaner etwas trinken. Er hatte gerade Chile besucht und beschwerte sich bitterlich. Das Land sei eine Katastrophe für Hinternliebhaber wie ihn, er habe richtiggehend unter Entzug gelitten.
Sie scheinen sehr große Freude dabei zu haben, den weiblichen Körper zu beschreiben. Bei Ihren Lesungen tragen Sie oft die Szene vor, in der die Tochter Lola den enormen Busen ihrer Mutter Belicia abtastet und es kommt heraus das sie Brustkrebs hat.
Sie sehen, es ist also ein Trick: Ich schildere die Brüste als etwas Schönes, und dann sind sie von Krankheit befallen. Es ist der Terror, der die Menschen fasziniert, nicht das Glück.
An anderer Stelle heißt es, die tetas der jungen Belicia seien von solch titanischen Ausmaßen, dass jeder heterosexuelle Mann sein Leben neu überdenke.
Es kommen tatsächlich Leute zu mir, die mich beschimpfen, weil ich angeblich Frauen sexualisiere. Doch ich reproduziere nur die hypersexualisierte US-Körperkultur.
Gleichzeitig scheint es gerade dort eine seltsame Angst vor dem Körper zu geben?
Vor allem vor schwarzen Körpern. Insbesondere die Körper schwarzer Frauen repräsentieren eine potentielle Gefahr für die traditionelle Ordnung in den USA.
Was ist so bedrohlich an ihnen?
Viele Weiße haben unbewusst Angst vor Schwarzen – und fühlen sich doch gleichzeitig von ihnen angezogen. Also reagieren sie irrational. Ich habe das mein ganzes Leben lang mitbekommen. Wenn eine weiße Frau mit entblößten Armen irgendwo reinkommt, schaut niemand hoch. Aber Wenn Michelle Obama mit blanken Armen im Weißen Haus steht, zerreißen sich alle das Maul. In den USA werden schwarze Körper eher mit Misstrauen betrachtet.
Wie sehen Sie Michelle Obama?
Zunächst einmal: Die Latinos haben in vier Swing-States zu 90 Prozent für Obama gestimmt und damit seinen Wahlsieg gesichert. Und Michelle ist einfach bombig. Sie ist keine dieser hellhäutigen adretten schwarzen Frauen, sondern eine von uns. Die Frauen in meinem Freundeskreis akzeptieren keine negativen Bemerkungen über sie.
Ist mit Barack und Michelle Obama auch eine neue Form der Sexualität ins Weiße Haus eingezogen?
Auf jeden Fall. Michelle und Barack sehen so aus, als würden sie es oft und gerne miteinander treiben. Zwei Schwarze, die sich verdammt noch mal lieben!
Es fällt auf, dass die männlichen Charaktere in Ihrem Roman entweder unter dem Mangel an Sex leiden oder es ausschließlich zur Selbstbestätigung tun.
So wie Yunior, der Erzähler: Er ist ein Sportficker. Bei ihm gibt es weder Schmerz noch Konsequenzen noch Moral. Er dreht einfach am Rad. In meinen Zwanzigern war ich ähnlich. Ich griff mir jedes Mädchen, das ich kriegen konnte. Ich habe noch nie einen jungen Mann getroffen, egal ob Latino, schwarz, weiß oder asiatisch, der nicht wie ein Verrückter bumsen wollte. Man muss allerdings ein ziemlicher Depp sein, um das sein ganzes Leben lang durchzuziehen.
Oscar, der übergewichtige Held Ihres Buchs, wiederum leidet sehr darunter, dass er noch nie bei einem Mädchen landen konnte.
Er leidet auch, weil er Dominikaner ist und wir Leute aus der Karibik viel mehr über Sex reden.
Die Frauen in Ihrem Buch treiben die Dinge voran und halten die Familien zusammen. Reflektiert das die Erfahrung der dominikanischen Einwanderer in den USA?
Die dominikanische Diaspora war stark von Frauen geprägt, weil Männer viel seltener ein Visum bekamen. Es gibt also unter dominikanischen Immigranten mehr Frauen, die ein Geschäft führen und arbeiten. Das hat starke Frauen hervorgebracht.
Können sich Frauen besser anpassen?
Daran existiert kein Zweifel. Die maskuline Identität ist unflexibel. Yunior mag ein Frauenheld sein, aber er kann nicht mit Schwäche umgehen. Frauen hingegen schaffen es besser, die ganze Scheiße zu verarbeiten, die einem im Leben passiert.
Ist die derzeitige Wirtschaftskrise auch eine Krise der Männlichkeit?
Es gibt seit langer Zeit eine Krise der Männlichkeit im Westen. Haben Sie den Film “28 Days later” gesehen? Der Held des Films hat keinen richtigen Job, arbeitet als Fahrradkurier. Erst als die Welt zusammenbricht, wächst er über sich hinaus und beschützt ein kleines weißes Mädchen und eine hübsche schwarze Frau. Er wird zum Kämpfer. Der Graben zwischen dem heroischen Selbstbild vieler Männer und ihrer armseligen Realität als Lohnarbeiter im Kapitalismus schafft eine enorme Neurose. Deshalb kriegen wir die ganze Zeit diese aufbauenden Geschichten erzählt.
Sie selbst sind im Alter von sechs Jahren mit Ihrer Familie in die USA immigriert.
Alle waren dabei: Großmutter, Mutter, zwei Tanten, zwei Schwestern, zwei Brüder und mein Vater. Die Familie ist bis heute stark vom US-Militär geprägt. Mein Vater war in der Armee. Einer meiner Schwager ist Panzerfahrer. Mein kleiner Bruder ist bei der Marine, und meine beiden Neffen sind im Irak. Gleichzeitig gab es immer diese grimmigen Frauen.
Grimmig?
Meine Mutter etwa. Arbeitete ihr ganzes Leben lang in verschiedenen Fabriken, kam nach Hause, kümmerte sich um fünf Kinder. Sie konnte absolut keinen Quatsch ausstehen. Als sie herausfand, dass mein Vater eine Geliebte hatte, schmiss sie ihn raus. Wir haben nie wieder von ihm gehört. Meine Mutter sprach kein Englisch, hatte kein Auto und bekam keinen Cent Unterstützung. Aber sie sagte sich: Ich werde für diese kleinen fucker kämpfen. Meine Mutter ist heute 70 Jahre alt, und arbeitet immer noch als Altenpflegerin. Sie sollten mal ihren Bizeps sehen.
Die Frauen in Ihrem Roman sind ziemliche Chauvinisten. Oscars Mutter rät ihm, seine Freundinnen zu schlagen.
Auch meine Mutter war nicht gerade politisch korrekt. Einmal kam ein Freund von mir zu Besuch, der sich über seine Freundin beklagte. Meine Mutter sagte zu ihm: ,Tu mir einen Gefallen: Geh noch mal vor die Tür und zieh Dir den Rock aus. Das steht dir besser.’ Er ging kurz raus, kam wieder rein und entschuldigte sich.
Ihre Familie ist nicht unbedingt das Umfeld, in dem Pulitzerpreisgewinner gedeihen.
Ich hatte Glück. Ich bin der eine, der durchgekommen ist. Jeder Einwanderer versucht aufzusteigen. Aber wenn es einer wirklich schafft, heißt das nicht, dass er mehr Talent hat als andere. Ich wuchs mit Freunden auf, die schlauer waren als ich, ambitionierter, die härter gearbeitet haben. Der Unterschied ist, dass meine Mutter nie ernsthaft krank wurde, so dass ich mich um sie hätte kümmern müssen. Ich hatte nie Probleme mit der Polizei. Es können in den USA ja Kleinigkeiten sein, die dich komplett runterreißen. Wäre ich nur einmal mit Drogen erwischt worden, wäre es das für mich als Einwanderer gewesen, Ende im Gelände. Die Sterne standen nicht gegen mich.
Der New Yorker hat Sie einen der wichtigsten Schriftsteller des 21. Jahrhunderts genannt. Wie geht man damit um?
Ein Großteil des Applauses kriege ich nur wegen des Pulitzerpreises. Ich gehöre zudem einer Identitätsgruppe an, die gerade noch komfortabel ist: Ich bin keine Frau, ich bin nicht zu schwarz, ich bin nicht schwul.
Der amerikanische Literaturmarkt ist immer noch dominiert von den weißen Männern?
Sicher. Die Philipp Roths und Paul Austers. Immer noch wird in den USA der magische Realismus als lateinamerikanische Folklore abgetan. Dabei muss man nur in New Jersey leben, um zu verstehen, was das ist. In den Köpfen der weißen Amerikaner wimmelt es von Engeln und Teufeln, überall sehen sie Geister. Auch ihr Europäer mögt Barack Obama im Weißen Haus, aber in der Buchhandlung ist euch Philipp Roth doch immer noch lieber.
– Interview: Philipp Lichterbeck und Lennart Laberenz.