Manu Chao, Jahrgang 1961, ist Reisender, Sänger, Gitarrist, Ikone der Globalisierungskritiker und musikalischer Schmetterlingssammler.
Manu Chao – ist das ein Künstlername?
Ich heiße Jose Manuel Arturo Tomas Chao Ortega. Nach meinen Opas und Onkels, allesamt wilde Typen. Der Vater meiner Mutter war kommunistischer Aktivist. Im Spanischen Bürgerkrieg ist er mit dem letzten Schiff von Valencia nach Algerien geflüchtet. Dort haben ihn die Franzosen in ein Konzentrationslager gesteckt. Einer meiner Onkels sollte Papst werden. Er hat es nur bis zum Dorfpriester geschafft. Dann hat er geheiratet – ein Skandal in Francos Spanien. Sowohl mein Vater als auch meine Mutter gingen damals ins Exil, sie lernten sich in Paris kennen.
Kein Wunder, dass Ihr Thema Grenzen sind.
Ich bin in den letzten sechs Jahren sehr viel gereist. Am meisten gehen einem dabei Grenzen auf die Nerven.
Reisen faszinieren Sie aber. Auf Ihrem aktuellen Album singen Sie: „Willkommen am Zoll, willkommen mein Glück“.
Aber danach heißt es gleich, „Ich will nach San Diego gehen, aber ich kann nicht nach San Diego gehen.“ Grenzen faszinieren mich, weil sie absurd sind. Sie sind Ausdruck der Respektlosigkeit: vor der Landschaft, vor der Kultur und vor den Menschen.
Sind Grenzen nicht auch Orte des Austauschs, wo neue Kulturen entstehen können?
Klar. Weil auch auf Kuhscheiße Blumen wachsen. Es sind schreckliche aber auch fruchtbare Orte. Sie sind wie Dämme, wo sich das Wasser staut und beginnt zu stinken. An Orten wie Ceuta, der spanischen Exklave in Marokko, kann man die Fieberkurve des Planeten messen. Dort sind in den letzten Jahren mehr Menschen umgekommen als an der Berliner Mauer. Jetzt zieht die EU in Ceuta eine neue Mauer hoch. Aber der Kommandant hat schon gesagt: „Unmöglich, es sind zu viele. Ihr könnt die Mauer so hoch bauen wie ihr wollt, sie werden rüberkommen.“
Ihr Album „Clandestino“ ist zu einer Art „Flüchtlings-Ode“ geworden. Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit Migranten gemacht?
Vor allem schmerzhafte. Ich werde überall mit Gastfreundschaft empfangen. Doch ich kann diese Freundlichkeit nicht erwidern. Im Senegal habe ich mich vor einigen Jahren verliebt und wollte heiraten. Ich konnte die Frau nicht nach Barcelona holen. Weder mit Touristenvisum noch mit Hilfe der Plattenfirma. Das war furchtbar demütigend, vor allem für sie.
Wie reagieren Menschen auf solche Einschränkungen?
Es gärt. Im Senegal haben mich junge Leute ärgerlich gefragt, warum ich als Franzose zu ihnen reisen könne, aber sie nicht nach Frankreich. Das waren Jungs, deren Urgroßväter im Ersten Weltkrieg für die Franzosen gekämpft hatten. Die Uropas wollten gar nicht nach Europa. Ihre Urenkel wiederum wollen und dürfen nicht. Es gibt da eine Doppelzüngigkeit. Denn in Wirklichkeit will man verhindern, dass Einwanderer mit Papieren kommen, die ihnen gewisse Rechte einräumen würden. Ohne Papiere halten sie den Mund und schuften wie die Sklaven.
Sie gelten als einer der populärsten Globalisierungskritiker, werden wie ein Held verehrt.
Moment, ich bin kein Held. Frag mal meine Freundin, ob ich ein Held bin. Es behagt mir nicht, dass viele mich als Führer der Globalisierungskritiker bezeichnen.
Vielleicht als Identifikationsfigur?
Schon eher. Aber ist das meine Schuld? Ich bin nicht gegen die Globalisierung. Ich bin kein Anti-Typ. Das Leben der meisten Menschen auf der Erde wird schlechter. Ich suche nach Alternativen. In meinen Texten wirst du keine Zeile finden, in der ich gegen etwas singe. Ich bin immer für etwas. Resignation ist permanenter Suizid.
Ihre Musik ist das Produkt der Globalisierung. Sie vermischen Stile und Rhythmen aus Lateinamerika, Europa und Afrika, singen in fünf verschiedenen Sprachen.
Meine Songs sind die Souvenirs meiner Reisen. Ich sammle kuriose, fröhliche und absurde Stimmen und Sounds. Da ich mit den Menschen kommunizieren will, brauche ich verschiedene Sprachen. Aber ich denke nicht nach, wenn ich ein Lied schreibe. Die Idee für einen Song kommt bei mir wie das Bedürfnis zu pinkeln.
Ein anderes Idol der Globalisierungskritiker ist der mexikanische Zapatistenführer, Subcomandante Marcos. Auszüge aus seinen Reden finden sich in Ihren Liedern wieder.
Marcos ist ein Licht, ein Lehrer und ein Freund. Aber Marcos sind Tausende. Sie kämpfen für Ziele, die ich teile: Anerkennung der indigenen Kultur, Recht auf Bodenschätze. Deshalb unterstütze ich die Zapatisten, auch finanziell. Aber ich bin nicht „links“ und glaube auch nicht an die „Revolution“. Das sind nur Worte. Ich arbeite, damit meine Tochter in einer besseren Welt leben kann, ganz einfach. Dieser Kampf wird überall ausgetragen.
Sie sind selbst bei Virgin Records, einem multinationalen Konzern.
Aber nicht mehr lange. Als Virgin entschieden hat, 2000 Arbeiter zu feuern, habe ich mich entschieden, Virgin zu feuern. Aber Virgin hat mich fair behandelt, besser als manches unabhängige Label. Sie haben damals den Vertrag unterschrieben, den ich ihnen vorlegte. Er garantierte mir uneingeschränkte künstlerische Freiheit zu. Auch dieses Interview gebe ich nicht, weil ich es muss, sondern weil es mir Spaß macht.
Wie planen Sie zwischen Ihren Reisen eigentlich Ihre Tourneen?
Ich bin mit „Radio Bemba“, meiner Band, nie länger als zwei Monate unterwegs. „Bemba“ setzt sich größtenteils aus Musikern von „Mano Negra“ zusammen, und es stoßen stets neue Musiker dazu. Dann trennen wir uns wieder und jeder geht seiner Wege. So bleibt die Musik lebendig.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten …
… dann will ich eines Tages glücklich sein – ohne das Gefühl haben zu müssen, dass Glück ein Privileg ist