Anita Roddick, 64, gründete 1976 den Body Shop, der mit Naturkosmetik sowie Kampagnen gegen Tierversuche und für fairen Handel bekannt wurde. Kürzlich verkaufte sie die Firma für 944 Millionen Euro an L’Oréal, sie ist heute eine der reichsten Frauen Englands, die Queen machte Roddick zur „Dame of the British Empire“.
Herzlichen Glückwunsch, Frau Roddick.
Danke. Wofür?
Sie sind gerade 64 geworden und sehen fantastisch aus. Haben Sie das wirklich nur mit gutem Rotwein und vielen Tomaten geschafft, wie Sie immer behaupten?
Ich will Ihnen jetzt mal keinen Bullshit erzählen. Ich hatte einfach Glück, weil ich gute, italienische Gene habe. Vielen Dank, liebe Eltern!
Sie haben nie Anti-Falten-Cremes ausprobiert?
Anti-Falten-Cremes sind nichts als Brei.
Ein interessantes Bekenntnis von der Frau, die die größte englische Kosmetikkette mit 2085 Filialen in 54 Ländern aufgebaut hat.
Man kann Falten abdecken, man kann sie zukleistern, aber sie sind unvermeidlich. Anti-Falten-Cremes sind Lügen. Und Lügen haben wir im Body Shop nie verbreitet.
Hautcremes, Duftöle und Shampoos haben Sie reichlich im Sortiment.
Wir haben doch in erster Linie Träume verkauft. Die Leute kamen nicht in den Body Shop, weil sie ihre Haare waschen wollten, sondern weil sie von Schönheit und einer Welt ohne Tierversuche, Ausbeutung und Umweltzerstörung träumten.
Als Sie 1976 den ersten Body Shop in Brighton eröffneten, wollten Sie eigentlich nur mit Ihren beiden Töchtern über die Runden kommen.
Mein Mann Gordon hatte es sich in den Kopf gesetzt, von Buenos Aires nach New York zu reiten. Zwei Jahre sollte der Trip dauern. Damals war das normal. Es ging um große Gesten. Da musste ich mir etwas aufbauen. Vom Geschäftlichen hatte ich keine Ahnung, Business-Schulen waren unbekannt. Der Body Shop sollte mich und meine Töchter nur so lange ernähren, wie Gordon weg war. Diesen Ehrgeiz, es selbst zu schaffen, hatte ich von meinen Eltern geerbt, armen italienischen Einwanderern. Gordon kam dann schon nach zehn Monaten wieder, weil eins seiner Pferde in den Anden abgestürzt war. Da war ich schon wie besessen von der Idee, den Laden hochzuziehen.
Kam Ihnen die Rückkehr Ihres Mannes ungelegen?
Im Gegenteil. Ich hatte wahnsinnig viele Ideen, wusste aber oft nicht, wie ich sie umsetzen sollte. Gordon ist der Pragmatischere von uns beiden. Eigentlich hatte ich ihn ja nie heiraten wollen. Als wir uns kennenlernten, war ich 26 und auf der Suche nach sympathischem Sperma. Ich wollte nur ein Kind. Eines Tages trafen wir uns im Café meiner Mutter. Sie hat unsere Ehe im Grunde arrangiert.
Das haben Sie mit sich machen lassen?
Es war mir völlig egal. Wir verstanden uns gut.
Wie sind Sie überhaupt an das Startkapital für Ihren ersten Body Shop gekommen?
Ich ging mit meinen beiden Töchtern zur Bank, im Bob-Dylan-T-Shirt. Wir hatten ein kleines Haus als Sicherheit. Aber der Bankangestellte wollte mir keinen Kredit geben. Ich bin nach Hause gegangen, habe Gordon geholt, und wir haben den Bankangestellten überzeugt.
Hätten Sie nicht einfach Lehrerin für Englisch und Geschichte bleiben können ?
Das war nicht aufregend genug für mich. Ich war besessen von dem Gedanken, frei zu sein. Jeder richtige Unternehmer weiß, was ich meine.
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Kunden?
Ich weiß nur noch, dass ich einen Haufen Studenten erwartete, und dann tauchten Frauen auf, die so alt waren wie meine Mutter. Die fanden es gut, dass wir leere Shampoo-Flaschen zurücknahmen und neu auffüllten, das kannten sie aus dem Krieg. Wir haben aber nur recycelt, weil wir kein Geld für neue Flaschen hatten.
Ihr Öko-Image wurde aus der Not geboren?
Wissen Sie, wo die dunkelgrüne Farbe des Body-Shop-Logos herstammt? Ich habe den Laden in dieser Farbe gestrichen, um die Wasserflecken an den Wänden zu überdecken.
Woraus bestand eigentlich Ihre erste Lotion?
Eine Kaltwasser-Emulsion, etwas für Anfänger. Wir hatten einen Bienenstock. Ich schleuderte den Honig, gab das Wachs und Rosenwasser dazu. Daraus wurde eine Honigbienen-Reinigungsmilch. Wir hatten 40 Töpfchen, aber in denen waren kleine Schmutzstücke. Also verkauften wir die Reinigungsmilch mit Schmutzstückchen und erzählten, dass es die Fußstapfen der Bienen sind, die ihre Füße nicht abgewischt hätten. So hatten wir schnell den Ruf weg, ein verrückter Laden zu sein.
Im konservativen Seebad Brighton muss der Body Shop damals ohnehin ziemlich aufgefallen sein?
Ich hatte gleich Ärger mit den Nachbarn. Das waren zwei Bestattungsunternehmer. Sie trugen ihre Särge an meinem Laden vorbei und wollten, dass ich wieder schließe oder zumindest den Namen meines Ladens ändere: The Body Shop – Der Leichenladen, das klang für sie wie Hohn. Mir war das egal und den Toten wahrscheinlich auch.
Hatten Sie sich bei der Namenssuche etwa von den Bestattern inspirieren lassen?
In den USA heißen Autowerkstätten Body Shop. Body – wie Karosserie. Ich fand, das passte zur Idee von einem unkonventionellen Kosmetikgeschäft.
Schon nach zehn Monaten eröffneten Sie Ihre zweite Filiale.
Der Erfolg kam ganz ohne Marketingabteilung. Aber ich war clever. Ich versprühte Erdbeerparfüm in der Fußgängerzone und lockte die Leute so zu unserem Laden. Wo es gut riecht, da zieht es die Menschen hin.
Hatten Sie wenigstens einen Finanzplan?
Quatsch. Mein einziger Finanzplan stammte von Gordon. Er sagte: Anita, du musst mindestens 300 Pfund in der Woche einnehmen. Wenn ich am Samstag merkte, dass ich das nicht schaffen würde, habe ich meine Pfefferminz-Fußlotionen und Kakaobuttercremes in einen großen Korb getan und bin von Tür zu Tür gezogen.
Warum haben Sie ausgerechnet ein Kosmetikgeschäft eröffnet? Warum keinen Dritte-Welt-Laden oder einen italienischen Gemüsehandel?
Ich war mit Anfang 20 zwei Jahre lang in der Welt unterwegs. In den sechziger Jahren war das eine unglaubliche Sache für jemanden aus der Arbeiterklasse, erst recht für eine Frau. Ich war in Polynesien, in Australien, auf Mauritius, in Afrika …
… und das ganz alleine?
Mit meinem damaligen Freund. Mit dem habe ich aber in Südafrika Schluss gemacht. Er war so schrecklich langweilig, ich konnte ihn nicht mehr ertragen. Meistens lebte ich in irgendwelchen Dörfern, ohne Geld und ohne Seife. Also habe ich mich so gewaschen, wie diese Leute sich wuschen.
Mit Vanille- und Mangoessenzen?
Na ja, fast. In Marokko stampfte man einen Schlamm zu Pulver und benutzte ihn als Trockenshampoo. In der Südsee haben sie Kokosnüsse gekocht und das Öl für die Gesichtspflege verwendet.
Und die Menschen rückten ihre uralten Rezepte einfach so raus?
Nicht immer. Ich war bei einem Beduinenvolk in Nordafrika, das Haarbewuchs hasst. Bei neugeborenen Babys entfernen sie den ersten Flaum mit einem Aschebrei. Um an die Rezeptur zu gelangen, bin ich zu Frauen in ein Zelt gegangen und zog meine Unterhose runter. Als sie meine Schamhaare sahen, gaben sie mir das Rezept sofort.
Der Durchbruch kam, als Ihr Mann Gordon die Idee hatte, aus dem Body Shop ein Franchise-Unternehmen zu machen, also die Marke und das Konzept gegen Gebühr an Dritte zu vergeben.
Das war die beste Werbekampagne, die wir je hatten. Wir konnten ohne eigenes finanzielles Risiko schnell wachsen.
Bewerber mussten seltsame Fragen beantworten: Welche Lieblingsblume haben Sie, was bringt Sie zum Weinen, wie möchten Sie sterben?
Wir wollten keine Geschäftsleute, sondern Aktivisten. Also haben wir ihnen den Fragebogen vorgelegt, der bekannt wurde, weil Marcel Proust ihn zwei Mal beantwortete.
Der berühmteste Fragebogen der Welt.
Ich empfehle Ihnen ernsthaft, die Fragen jedem vorzulegen, mit dem Sie ins Bett gehen wollen.
Und heute sind Sie eine der reichsten Frauen Englands. Die Queen hat Sie vor drei Jahren zur „Dame des Britischen Königreichs“ ernannt.
Die Queen meinte bei der Zeremonie zu mir: Sie Arme, Sie sind immer so beschäftigt. Ich sagte: Ich brenne lieber aus, als dass ich zu Tode roste.
Das war nicht nett von Ihnen.
Die Queen schaute leicht irritiert.
Sie mögen die Provokation. Sie behaupten, die Kosmetikindustrie möge den weiblichen Körper nicht.
Sie hasst ihn, sie hasst seine Wölbungen und Unebenheiten. Die Industrie sagt den Frauen andauernd: Du bist zu fett, zu klein, zu alt, zu hässlich. Sie werden niemals ein Model auf einem Plakat sehen, das Falten im Gesicht und Beulen auf dem Po hat. Aber so sehen Frauen nun mal aus.
Sie sind jetzt seit 30 Jahren in der Kosmetikbranche. Was hat sich verändert?
Es hat eine problematische Heirat zwischen der Kosmetik- und der Pharmabranche gegeben. Nehmen Sie das Nervengift Botox. Es wird heute als Antifaltenmittel angeboten. Ansonsten geht es in der Branche immer noch rassistisch zu, alle Models haben kaukasische Gesichtszüge, selbst wenn sie schwarz sind. Eine Maori oder eine australische Aborigine werden Sie nicht finden.
Haben sich Frauen seit den Siebzigern verändert?
Frauen bilden sich heute mehr, und sie sind nicht mehr passiv. Meine Tochter Samantha zum Beispiel ist eine erfolgreiche Unternehmerin. Sie hat einen Sex-Shop gegründet, Coco de Mer.
Haben Sie da schon mal eingekauft?
Yeah. Dieses Armband hier …
… aus Leder und mit Stahlnieten besetzt.
Klar. Ich kaufe doch keine Analstöpsel oder so was.
Sie bevorzugen auch im Geschäftlichen klare Worte: Die Wirtschaft sei „Finanzfaschismus“, sagen Sie. In der Business-Welt seien nur „Wichser“ unterwegs. Und die Unternehmensberater, die für den Body Shop arbeiteten, seien nichts als „Arschlöcher“.
Die Unternehmensberater habe ich viel schlimmer beschimpft.
Warum?
Ich hätte diesen Leuten nie vertrauen dürfen. Ich stellte sie ein, nachdem wir den Body Shop 1984 an die Börse gebracht hatten. Das war der größte Fehler meines Lebens, aber damals blieb uns nichts anderes übrig. Dem Unternehmen ging es schlecht. Wir wurden gnadenlos kopiert, alle hatten plötzlich Naturkosmetik im Programm. Ich hatte nicht die Kraft, den Börsengang abzulehnen. Aber wir dürfen unsere Firmen nicht den Managern überlassen. Mein Gott, die haben Formeln, die sie anwenden, und damit machen sie dich fertig.
Aber vor wenigen Monaten haben Sie den Body Shop an L’Oréal verkauft, den größten Kosmetikkonzern der Welt und Ihre einstige Konkurrenz.
Alte Feinde auf dem Schlachtfeld können gute Verbündete werden. Diese Franzosen haben mich verführt. Sie luden Gordon und mich zu einem Abendessen ein. Sie hatten Manieren, ganz anders als die Amerikaner, die ihre klingelnden Handys in die Meetings schleppten. Die Franzosen sagten zu uns: Ihr habt recht mit eurer Kampagne gegen Tierversuche, ihr habt recht mit euren Kampagnen für Menschenrechte und fairen Handel. Sie fragten mich nach meinen Gefühlen bei dem Verkauf. Das mochte ich.
Sie sind einfach zu verführen.
Na ja, ich hatte mich bereits aus der Geschäftsführung zurückgezogen, hielt aber immer noch einen Großteil der Aktien. Ich wollte nicht von einer Übernahme durch das eigene Management überrascht werden.
Aber L’Oréal ist einer der Konzerne, die Sie früher verteufelten. Für die geht Profitmaximierung vor Ethik.
Das glaube ich nicht. Konzerne, die ihren Gewinn auf Kosten anderer machen, sind Exxon Mobile oder Coca-Cola.
Auf Ihre alten Tage haben Sie sich einiges vorgenommen: Sie wollen die Welthandelsorganisation zerschlagen und die Rüstungsindustrie zum Teufel jagen. Haben Sie noch mehr Pläne für die Zukunft?
Das reicht für den Anfang, finde ich.
Man hat Ihnen gerade 190 Millionen Euro überwiesen. Warum kaufen Sie sich keine Insel in der Karibik und trinken den ganzen Tag Cocktails?
Das ist nichts für mich. Gordon und ich haben uns gestern Abend zusammengesetzt und festgestellt, dass wir noch nie so froh in unserem Leben waren. Wir haben eine Stiftung gegründet und gerade 1,5 Millionen Euro an Amnesty International gespendet. Die Möglichkeit, so generös sein zu können, ist fantastisch. Und ein Privileg.
Und was machen Sie, wenn Sie Spaß haben wollen?
Gestern beispielsweise war ich auf einem Protestmarsch gegen französische Atomraketen. Die Polizei hat Fotos von uns gemacht, und wir haben gewinkt. Wenn mich das langweilte, würde ich es nicht tun. Ich bin zu alt, um langweilige Sachen zu machen.
Man hat Sie Königin der Pfefferminzlotion und Anita die Agitatorin genannt. Sie sind Geschäftsfrau des Jahres, erhielten den Frauenpower-Preis und den American-Dream-Preis. Was ist Ihr Lieblingstitel?
Anita Roddick, Aktivistin und Gründerin des Body Shop.
Tatsächlich? Wir dachten, Sie würden antworten: Häuptling, der die Tränen der Ogoni wegwischt?
Der ist auch gut. Ich bekam ihn vom Volk der Ogoni in Nigeria, weil ich mich für die Freilassung mehrerer Ogoni-Männer einsetzte, die gegen Shell kämpften, weil der Ölkonzern ihr Land verseucht.
Sie waren 1998 bei den Protesten gegen die WTO in Seattle, die Polizei hat Sie mit Gummigeschossen attackiert. Während der Apartheid waren Sie im Gefängnis, weil Sie einen schwarzen Jazzclub besucht hatten. Haben Sie überhaupt Angst?
Ich habe mal mit meiner Tochter illegale Abholzungen in Indonesien gefilmt, und wir mussten über Baumstämme laufen, die im Wasser trieben. Mein Gott, ich hatte solche Angst, weil ich nicht schwimmen kann. Obwohl Kosmetikprodukte zu 90 Prozent aus Wasser bestehen, habe ich Angst vor dem Wasser. Absurd, oder?
– Interview mit Maren Peters.