Die Brände im Amazonasgebiet wüten schlimmer als 2019. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hatte versprochen, etwas gegen die Zerstörung zu tun – kürzt aber stattdessen das Geld für die Umweltbehörden und behauptet, es gäbe keine Feuer. Brasiliens Ureinwohner sind nun im Kampf gegen die Zerstörung alleine.
Von Philipp Lichterbeck, Rio de Janeiro
„Es gibt viele Feuer, es gibt viele Invasionen. Die Situation ist schlimm.“ Es ist das erste, was Kátia Silene sagt, als man sie am Handy erreicht. „Aber Brasiliens Umweltbehörde hilft uns nicht“, klagt sie. Die 52-jährige Silene ist eine Ureinwohnerin vom Volk der Gavião. Dessen rund 800 Angehörige leben im Reservat Mãe Maria im Südosten des brasilianischen Bundesstaats Pará. Mit 620 Quadratkilometern ist etwas kleiner als Hamburg.
Kátia Silene ist eine Besonderheit, denn sie ist die erste weibliche Anführerin der Gaviãos, die erste Kazikin. Sie sagt, sie habe die Tür für andere starke Frauen aufgestoßen. Heute gilt sie als eine der wichtigsten Stimmen der indigenen Völker Brasilien im Kampf gegen die zunehmende Zerstörung des Amazonaswalds.
Dieser ist derzeit erneut durch Tausende Brände gefährdet, die in der Region lodern. Es ist Trockenzeit im Amazonasbecken und damit Brandsaison. Die Feuer können dabei auf natürliche Weise ausbrechen – so wie die gigantischen Brände, die derzeit den Pantanal zerstören, das größte tropische Feuchtgebiet der Erde mit einer immensen Artenvielfalt. Sie können auch von Indigenen oder Kleinbauern stammen, die neue Anbauflächen für Mais und Maniok schaffen wollen. Viel häufiger werden die Brände aber von Kriminellen gelegt, wie Satellitenbilder beweisen. Sie fackeln gigantische Waldgebiete ab, aus denen sie zuvor die wertvollsten Hölzer geraubt haben. Die verbrannten Flächen werden dann als Rinderweiden, zur Landspekulation oder als Sojafelder genutzt.
„In unserem Reservat haben wir immer stärker mit Holzfällern und Brandstiftern zu kämpfen“, sagt Kátia Silene. „Sie agieren an den Rändern unseres Landes.“ Eins der Feuer erreichte sogar ein Dorf der Gaviãos. Eine Schule und ein Gemeinschaftshaus seien abgebrannt, erzählt Silene.
Noch vor wenigen Jahren, so berichtet sie, hätten die Indigenen bei der Bekämpfung der Feuer und der Invasoren auf die Unterstützung durch Brasiliens Umweltbehörde Ibama und die Indio-Schutzbehörde Funai zählen können. Aber seit der ultarechte Jair Bolsonaro 2019 das Präsidentenamt angetreten hat, wurden beide Behörden systematisch entmachtet. Bolsonaro hat ihnen Mittel, Personal und Kompetenzen gestrichen und Führungsposten mit ihm treu ergebenen Militärs besetzt. Kritiker sprechen von der Zerstörung der Behörden von Innen.
„Das Ibama ist komplett abwesend“, sagt Katía Silene. Früher habe es sogar eine indigene Feuerbrigade im Reservat der Gaviãos gegeben. Sie wurde vom Ibama ausgebildet, ausgerüstet und finanziert. Nun wurde sie aufgelöst. „Wir werden alleine gelassen“, klagt Kátia Silene. „Und das inmitten der Covid-19-Pandemie. Wir kämpfen an zwei Fronten.“
Nicht nur die Gaviãos spüren, dass sich die Situation im Vergleich zu 2019 noch einmal verschärft hat. Vergangenes Jahr loderten zehntausende Feuer im Amazonasbecken und die Welt blickte – sensibilisiert von der Klimafrage – erschrocken nach Brasilien. Nun haben die Brände zugenommen, werden aber im Schatten der Covid-19-Pandemie als Nebensache behandelt.
Dabei wird die Zahl der Feuer 2020 wohl erneut einen traurigen Rekord brechen. Brasiliens Weltraumforschungsinstitut (Inpe) hat zwischen Januar und August rund 34400 Feuer in der Amazonasregion festgestellt. Es ist ein Anstieg um ein Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wobei erst der September traditionell der Monat mit den meisten Feuern ist. Besonders schwer betroffen ist der Bundesstaat Pará, die Heimat von Kátia Silene. Alleine hier nahm die Zahl der Feuer um 73 Prozent zu. Es deutet auf die intensivierte Aktivität illegaler Holzfäller, Landspekulanten und Viehzüchter hin.
„Für den Anstieg ist die fehlende Umweltpolitik der Regierung verantwortlich“, sagt Rômulo Batista von Greenpeace Brasilien. Er und andere Experten befürchten nun, dass 2020 zum schlimmsten Jahr für den Amazonaswald seit langem werden könnte. Die Angst ist begründet: Die entwaldete Fläche stieg zwischen August 2019 und Juli 2020 bereits um 33 Prozent in Relation zum Vergleichszeitraum an. In einem Jahr wurde somit eine Fläche von 9205 Quadratkilometern Wald vernichtet. Das entspricht der dreifachen Größe des Saarlands.
Überfliegt man die Brandherde, dann sieht man, wie riesige Kastanien und Kautschukbäume brennen. So berichten es Journalisten der Agentur „Amazônia Real“ aus Manaus. Die verkohlten Kadaver von Tieren bedeckten den Boden: Schlangen, Ameisenbären, Affen und Gürteltiere, die vergeblich versuchten, den Flammen zu entkommen.
Die Waldzerstörer fühlen sich offenbar von der Rhetorik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro ermutigt. Er sagt immer wieder, dass er die Amazonasregion zur wirtschaftlichen Ausbeutung freigeben will. Er redet von „Scheißbäumen“ und vergleicht Brasiliens Ureinwohner mit „Tieren im Zoo“. Das gefällt den Viehzüchtern und Sojabauern, den illegalen Goldsuchern, der Holzmafia und den Landspekulanten. Sie zählen zu seinen treuesten Wähler.
Dabei hatte die Bolsonaro-Regierung noch vor Kurzem versprochen, etwas gegen die Waldvernichtung zu unternehmen. Sie war aufgeschreckt worden von den Warnungen ausländischer Investoren, die drohten ihr Geld aus Brasilien abzuziehen, sollte sich die Situation im Amazonasbecken nicht bessern.
Es scheint nun so, als ob Bolsonaro lediglich Zeit gewinnen wollte. Zwar hat er die Armee in die Amazonasregion entsandt, aber die hat keinerlei Erfahrung im Kampf gegen die Waldzerstörer. Kritiker sprechen von einer Show fürs Ausland.
Im Widerspruch zum Versprechen der Regierung stehen auch die jüngsten Kürzungen für das Weltrauminstitut Inpe. Es ist eins wichtigsten Werkzeuge im Kampf gegen die Abholzung, weil seine Satellitenbilder die nötigen Informationen über die Brände liefern. Mit dem Inpe soll offenbar der Überbringer der schlechten Nachrichten zum Verstummen gebracht werden. Bolsonaro behauptete jüngst sogar, dass es im Amazonas gar nicht brenne, das sei „eine Lüge“. Ausländische Mächte hätten ein Interesse daran, Brasiliens Image zu schaden.
Für Kátia Silene klingt das wie blanker Hohn. Sie erlebt jeden Tag, wie die Feuer im Reservat ihres Stammes wüten. „Bolsonaro hält uns Indigene nicht für Menschen“, sagt sie. „Er will unser Land rauben. Er weiß, dass es ohne uns keinen Amazonaswald mehr gäbe.“ Tatsächlich sind Reservate wie das der Gavião die letzten Bollwerke gegen die Waldvernichtung. Während in den vergangenen 40 Jahren rund 20 Prozent des Amazonaswalds abgeholzt wurde, verloren die indigenen Reservate lediglich zwei Prozent ihrer Waldflächen. „Wir sind die letzten Wächter der Bäume“, sagt Kátia Silene.