Übersteiger am rechten Rand

Übersteiger am rechten Rand

Man kann mit guten Gründen sagen, dass Ronaldinho, den sie hier immer mit dem Zusatz Gaúcho versehen, dass dieser Ronaldinho also der letzte brasilianische Fußballer im klassischen Sinne war.

Foto: ирилл Венедиктов – https://www.soccer0010.com/galery/989914/photo/637865, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=59163599

Ein Zauberer und Trickser, der geschmeidiger und in seinen besten Momenten auch virtuoser war als Leonel Messi; dessen offenes, hasenzahniges Lachen nach einem gelungenen (oder vergeigten) Kunststück jeden Zuschauer mitlachen ließ.

Das unterschied ihn auch von einem wie Christiano Ronaldo, dem es nur um Sieg und Selbstvermarktung zu gehen scheint: Ronaldinho, so hatte man den Eindruck, war weniger hinter Siegen und Titeln her, sondern wollte spielen. Mit dem Ball, dem Gegner, den Erwartungen, den eigenen Beinen. Er war dann wie ein Kind, in dessen Augen es vor Begeisterung blitzte. Das Kindliche, es steckte ja schon in seinem Namen: Ronaldinho, kleiner Ronaldo.

Dass er aber auch außerhalb des Platz nie erwachsen, nie zu Ronaldo de Assis Moreira werden wollte, wie er bürgerlich hieß, wurde seiner Karriere zum Verhängnis. Sie trat viel zu früh in den Sinkflug ein. Zu oft trieb Ronaldinho sich in Nachtclubs herum, gab den Playboy, hielt sich nicht an Ernährungsvorgaben, ließ es an Trainingsdisziplin mangeln. Er liebte zwar das Spiel, aber er wollte, so schien es, kein professioneller Spieler werden. Und so ist Ronaldinho ein Unvollendeter geblieben. Trotz eines Champions-League-Titels mit Barcelona und zweier Wahlen zum besten Fußballer der Welt. Weil mit etwas mehr Hingabe so viel mehr möglich gewesen wäre.

Nun hat der 37-jährige Ronaldinho seine Karriere offiziell beendet, bereits seit zwei Jahren bestreitet er keine Pflichtspiele mehr. Seine letzten Stationen verdeutlichten noch einmal die Wirren seines Werdegang: einige wenig spektakuläre Auftritte bei Fluminense in Rio de Janeiro; ein unglückliches Gastspiel bei Querétaro in Mexiko; davor zwei gute Jahre bei Atlético Mineiro aus Belo Horizonte, mit denen er die Copa Libertadores gewann, das südamerikanische Pendant zur Champions League.

Trotz dieser offensichtlichen Planlosigkeit schien es denndoch ein schlechter Witz zu sein, als Ronaldinho Anfang Januar verkündete, dass er mit dem faschistischen Politiker Jair Bolsonaro sympathisiere, ja, dass er vielleicht sogar auf dessen Liste für den brasilianischen Senat kandidieren wolle. Ronaldinho als rechtsradikaler Politiker?

In Europa löste die Nachricht Empörung aus, in Brasilien reagierte man gelassener. Was auch damit zu tun hat, dass man hierzulande nicht viel von Fußballern erwartet, ihnen keine soziale Vorbildfunktion zuschreibt. Fußballer müssen hier keine geschliffenen Sätze sprechen oder sich engagieren. Der zeitgenössische brasilianische Fußballspieler gilt nicht als hellste Leuchte im Lampenladen, da kann er noch so viel tricksen. Hinter dieser herablassenden Haltung steckt natürlich auch der feudale Rassismus der weißen brasilianischen Oberschicht. Sie betrachtet die zumeist dunkelhäutigen Spieler aus armen Verhältnissen wie Gladiatoren, die Leistung zu bringen haben. Was sie sagen, nimmt man lieber nicht ernst. Schon gar nicht wenn es von einem Hallodri wie Ronaldinho kommt.

Und dennoch spricht das Bekenntnis Ronaldinhos zu dem Rassisten Jair Bolsonaro Bände. Nicht nur über eine persönliche Verwirrung, sondern über die moralische Orientierungslosigkeit eines ganzen Landes. Bolsonaro, der bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober antreten will, liegt in Umfragen mit rund 15 Prozent auf einem soliden zweiten Platz. Er wird es aller Voraussicht nach in die Stichwahl schaffen. Dann ist alles offen – zumal der bisherige Favorit, Ex-Präsident Lula da Silva, kommenden Mittwoch der Korruption schuldig gesprochen werden könnte und dann wohl nicht antreten darf.

Wer also ist dieser Jair Bolsonaro, zu dem sich neben Ronaldinho auch schon andere Fußballer bekannt haben, etwa die ehemaligen Nationalspieler Jadson und Felipe Melo?
Die kurze Antwort lautet: Er ist das, was eine Gesellschaft kriegt, die keinen Kompass mehr hat und in den Zynismus verfällt. Eine Gesellschaft ohne Persönlichkeiten, Parteien oder Bewegungen, die eine positive Vorstellung von der Zukunft formulieren könnten. Dann schlägt die Stunde der Zerstörungswütigen.

Die lange Antwort ist: Seit 1991 vertritt Bolsonaro Rio de Janeiro im brasilianischen Parlament. 464.000 Menschen votierten zuletzt für ihn, mehr als für jeden anderen Kandidaten in der Stadt. Bolsonaro hat bislang neun mal die Partei gewechselt und gehört seit wenigen Tagen zur Sozialliberalen Partei PSL, die seine Präsidentschaftskandidatur unterstützt. Zu dieser Beliebigkeit passt, dass Bolsonaro sich bereits mit den Trikots von so gut wie jedem Fußballverein im Land hat ablichten lassen. Geschadet hat es ihm nicht.

In den 27 Jahren seiner Parlamentszugehörigkeit hat Bolsonaro das Kunststück fertig gebracht, eine einzige Gesetzesinitiative einzubringen. Dennoch ist er in den Medien ständig präsent. Er gehört zum neuen Typus rechter Politiker, der ständig ungeheuerliche Dinge in die Welt setzt, die ihm mediale Aufmerksamkeit garantieren.

So sagte er zu einer linken Abgeordneten, dass sie es nicht verdiene, von ihm vergewaltigt zu werden. Über die Quilombos – ländliche Gemeinden der Nachfahren entlaufener Sklaven – meinte er, dass die Schwarzen dort nicht mal zur Reproduktion taugten. Die Reservate der indigenen Ureinwohner würde er am liebsten abschaffen und den Regenwald zur Ausbeutung freigeben. Dass seine Söhne nicht schwul werden könnten, weil er sie gut erzogen habe, sagte er einmal; und dass sie aus diesem Grunde auch keine Liebe für eine schwarze Frau empfinden könnten. Kinder, die Anzeichen von Homosexualität zeigten, müssten geschlagen werden. Glaubt Jair Bolsonaro.

Man könnte diese Aufzählung jetzt einige Absätze lang fortsetzen. Hervorzuheben bleibt noch, dass Bolsonaro Armee-Reservist ist und ein Verfechter der Militärdiktatur (1964-1985). Deren Fehler habe darin bestanden, „nur gefoltert und nicht getötet“ zu haben. Konsequenterweise widmete Bolsonaro seine Stimme zum Sturz von Präsidentin Dilma Rousseff 2016 dem Chef einer Foltereinheit, die Rousseff grausam gequält hatte. Dieses Denken setzt sich fort, wenn Bolsonaro sagt, dass nur schlechte Polizisten im Einsatz nicht töteten. Die Brasilianer will er allesamt mit Waffen ausstatten, damit sie Kriminelle umlegen könnten. Dennoch behauptet er, dass er christliche Werte vertrete.

Wird Bolsonaro für seinen gefährlichen Schwachsinn kritisiert, stellt er sich als Opfer einer Meinungsdiktatur dar, denn die Medien seien „kommunistisch unterwandert“. Man kennt diese Taktik von den Trumps und Gaulands dieser Welt. Und genau wie diese setzt auch Bolsonaro auf die sozialen Netzwerke, um mit seinen Anhängern zu kommunizieren. Mehr als 4,8 Millionen Menschen folgen ihm allein auf Facebook. Das Bemerkenswerte daran ist, dass er im Jahr 2015 nur 44.000 Abonnenten in allen sozialen Netzwerken zusammen hatte.

Im Internet tummelt sich nun eine wahre Armee an „Bolsominions“, wie die Anhänger Bolsonaros heißen. Bei jedem Zweifel an ihrem Helden beißen sie wie Verbal-Piranhas los. Ein Beispiel: Bolsonaro tut trotz jahrzehntelanger Abgeordnetentätigkeit gerne so, als ob er nicht zur korrupten politischen Kaste Brasiliens gehöre. Dabei sitzen auch noch drei seiner Söhne auf parlamentarischen Posten. Wie die Familie Bolsonaro nur mit Abgeordnetengehältern ein kleines Immobilienimperium aufbauen konnte, fragte jüngst die konservative Zeitung „Folha de S. Paulo“ – und wurde von einem reaktionären Shitstorm erfasst.

Seine größten Bewunderer hat Bolsonaro unter den brasilianischen Sicherheitskräften, in denen immer noch der Geist der Diktatur weht. Wann immer Bolsonaro in einer Kaserne auftaucht, wird er von den Soldaten gefeiert. Selfies gehören für ihn auch sonst zum Alltag. Auf den Flughäfen des Landes bilden sich Menschentrauben, die seinen Spitznamen gröhlen: „Mito“ – Mythos. Die große Mehrzahl von Bolsonaros Wählern rekrutiert sich aus jüngeren Männern der wohlhabenderen städtischen Zentren des Südostens Brasiliens.

Warum also ist einer wie Ronaldinho, der selbst aus den armen Verhältnissen eine Favela stammt und als Schwarzer den strukturellen Rassismus Brasiliens erlebt hat, zum Bolsominio geworden? Einer, der sich nie für Politik zu interessieren schien? Fühlt er sich von Bolsonaros einfachen Antworten angezogen? Oder folgt er nur dem Zeitgeist? Tendierten die Fußballer vor zwei Generationen eher nach links – man denke an den großen Sokrates oder an Maradona, der Fidel Castro, Ché Guevara und Hugo Chávez verehrt –, liebäugelt die neue Generation eher mit rechts.

Der Hauptgrund für die Verehrung Bolsonaros ist der nicht falsche Eindruck vieler Brasilianer, dass ihre politische Klasse durchweg korrupt ist. Schuld daran haben die gigantischen Schmiergeldskandale rund um den Erdölkonzern Petrobras sowie den Bauriesen Odebrecht. Hinzu kommt der drastische und für alle spürbare Wiederanstieg der Kriminalität. In dieser Situation stößt Bolsonaro mit seinen radikalen Forderungen auf Resonanz. Es gelingt ihm, sich als Saubermann zu präsentieren. Er verspricht Ordnung: auf der Straße, in den Parlamenten, in der Schule. Während der Militärdiktatur, lügt er, habe es weder Korruption noch Verbrechen gegeben. Und die simpler gestrickten Menschen wollen es ihm glauben.

Ronaldinho wäre nicht der erste brasilianische Fußballer, des in die Politik zieht. Der Stürmer Romario sitzt seit 2010 im Kongress in Brasília, zuerst als Abgeordneter, heute als Senator. Konnte er zu Anfangs noch die Hoffnung wecken, frischen Wind in die brasilianische Politik zu bringen, wandten sich viele enttäuscht von ihm ab, als er für die zweifelhafte Absetzung Dilma Rousseffs stimmte.

Doch während Romário seinen Job mit Eifer betreibt – er hält flammende Reden gegen den korrupten brasilianischen Fußballverband CBF und bringt Gesetzesvorhaben zur Gleichstellung Behinderter ein (seine Tochter hat das Down-Syndrom) –, scheint es Ronaldinho gar nicht so ernst zu meinen mit der Politik. Denn gleichzeitig versucht er sich als Pop-Sänger. Mehrere Gastauftritte hat er bereits absolviert. In einem Live-Clip mit dem Country-Musiker Wesley Safadão singt Ronaldinho: „Meine Freunde, ich bin zurück, ich bin fast verrückt geworden. Auf geht’s, trinken! Ich bin wieder Single.“

Und in einem Video mit dem DJ Dennis rapt er: „Hey Kellner, bring was zu trinken, ich hab’ Geld.“ Weiterhin hat Ronaldinho in den letzten beiden Jahren Dutzende Show-Matches in ganz Amerika absolviert. Er hatte einen Kurzauftritt in der indischen Futsal-Liga (nach zwei Spielen war er wieder weg). Und er versucht den neuen Sport Teqball anzuschieben, eine Mischung aus Tischtennis und Footvolley.

Es sieht also so aus, als ob Ronaldinho weiterhin nur seinen Launen folgt. Er will spielen, spielen, spielen. Dass er sich dabei in die Nähe eines rechtsradikalen Großmauls begeben hat, gehört zur Tragik eines Mannes, der nie erwachsen werden wollte.