Gerüchte, Lügen, Halbwahrheiten

Gerüchte, Lügen, Halbwahrheiten

Der brasilianische Ex-Präsident Lula da Silva spricht im Zentrum Rio de Janeiros zu rund 10.000 Menschen. Sie protestieren gegen das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff. Lula greift in seiner Rede die brasilianischen Medien an, allen voran die Globo-Gruppe. Mit 122 Fernsehstationen, mehr als 80 Radiosendern, 15 Zeitschriften und vier Tageszeitungen ist Globo der größte Medienkonzern Brasiliens.

Sein Netz aus Fernsehsendern ist das zweitgrößte der Welt. Jeden Tag wird Globo TV von 91 Millionen Menschen eingeschaltet – fast die Hälfte der brasilianischen Bevölkerung. Seit ihrer Gründung 1925 wird die Globo-Gruppe von der Industriellenfamilie Marinho kontrolliert.

In seiner Rede beschuldigt Lula die Marinhos, das Impeachment gegen Präsidentin Rousseff aktiv voranzutreiben. „Globo ist jede Lüge recht“, ruft er mit heiserer Stimme, „sie stecken mit den alten Eliten unter einer Decke“. Lula erinnert daran, dass Globo den Militärputsch von 1964 befürwortete und die Diktatur 20 Jahre lang unterstützte. Die Menge skandiert „Das Volk ist nicht dumm – Globo muss fort!“ Neben der Bühne hängt ein großes Plakat: „Globo raus!“

Doch in der Berichterstattung der Globo-Medien taucht von alldem nichts auf. Die Demonstration für Rousseff wird unter ferner liefen behandelt. Ganz im Gegensatz zu den Protesten gegen sie. Diese begleitet Globo stets ausführlich und enthusiastisch.

Auch unter neutralen Beobachtern herrscht mittlerweile Konsens, dass die Massenmedien in Brasilien das Impeachment gegen Dilma Rousseff nicht nur befürworten, sondern antreiben. „Globo und andere Medien sind nicht neutral und keine bloßen Beobachter, wie sie behaupten“, schreibt der Journalist David Miranda im englischen „Guardian“. Vielmehr seien sie Akteure.

Tatsächlich haben Globo und andere Medien in den letzten Monaten alles daran gesetzt, die Präsidentin in Verbindung mit dem Korruptionsskandal rund um die Erdölgesellschaft Petrobras zu bringen. Aber Dutzende Ermittler und Journalisten haben ihr in monatelangen Recherchen kein kriminelles Verhalten nachweisen können. Rousseff mag eine miserable weil kommunikationsunfähige Präsidentin sein. Doch ein Verbrechen – Voraussetzung für die Amtsenthebung – kann man ihr nicht anlasten. So müssen nun Haushaltstricks als Begründung herhalten.

In dem Wissen, dass dies ein denkbar schwaches Motiv für einen so gravierenden Eingriff in die junge brasilianische Demokratie ist, überhäufen die Medien sie mit Gerüchten, Halbwahrheiten und Lügen. Es ist nichts Schlimmes dabei, dass die Globo-Kommentatoren ununterbrochen erklären, dass Rousseff allein verantwortlich für die aktuelle Misere Brasiliens sei. Dazu sind Meinungsbeiträge schließlich da. Erschreckend ist vielmehr die Manipulation des restlichen Programms.

Da werden in den Abendnachrichten 14 Minuten darauf verwandt, über ein abgehörtes Telefonat zwischen Rousseff und Lula da Silva zu spekulieren. Doch einer Liste des Baukonzerns Odebrecht widmet man nicht einmal zweieinhalb Minuten. Darauf stehen die Namen von 200 Politikern aller Parteien, die möglicherweise Schmiergelder erhalten haben. Dilma Rousseff ist nicht darunter. Stattdessen aber Oppositionsführer Aecio Neves.

Die Liste verschwand ebenso schnell in der medialen Versenkung wie sie aufgetaucht war. Es fällt auf, dass den vielen Korruptionsvorwürfen gegen Aecio Neves in den brasilianischen Medien nie nachgegangen wird. Jeder Verdacht gegen Rousseff und Lula wird hingegen ohne nähere Prüfung verbreitet.

Auch Vizepräsident Michel Temer wird mit Samthandschuhen angefasst. Sollte Rousseff abgesetzt werden, würde er der nächste Präsident Brasiliens. Globo berichtet bereits jetzt ausführlich über das Wirtschaftsprogramm des vermeintlichen Retters der Nation. Offenbar will man die Brasilianer an den unbeliebten Temer gewöhnen – gegen den ebenfalls Korruptionsvorwürfe existieren.

Zur Medienfront gegen Rousseff gehören auch die größte Zeitung des Landes, „Folha de S. Paulo“, sowie die größte Zeitschrift „Veja“. Insbesondere „Veja“ ist zu einer Art Kampfblatt der rechten weißen Oberschicht geworden. Woche für Woche agitiert das Blatt gegen Rousseff und Lula da Silva. Da werden die beiden auf dem Titelblatt gezeigt, dazu die Überschrift: „Sie wussten alles.“ Gemeint ist der Petrobras-Skandal. Doch einen Beweis bleibt „Veja“ schuldig.

Die parteiische Berichterstattung hat die Polarisierung der brasilianischen Gesellschaft extrem beschleunigt. Auch von links wird dabei mit unlauteren Mitteln gearbeitet, insbesondere in verschiedenen Internetportalen, die mit der Arbeiterpartei verbunden sind. Dort werden die Teilnehmerzahlen von Pro-Dilma-Demos verzehnfacht und jeder Befürworter des Impeachments als „Putschist“ diffamiert. Auch hier herrscht ein hermetischer Diskurs.

Die Polarisierung hat dazu geführt, dass viele Brasilianer stärker ausländischen Medien vertrauen, die differenzierter und ausgewogener berichten. Dazu gehört etwa die brasilianische Internetseite der spanischen Zeitung „El País“.

Wie schlecht es um die brasilianischen Medien steht, zeigt der vor wenigen Tagen erschienene Pressefreiheitsindex der Organisation Reporter ohne Grenzen. Brasilien landet auf Rang 104. Ein Grund für das schlechte Abschneiden: „Der Medienbesitz ist stark konzentriert, speziell in den Händen großer Industriellenfamilien, die oft mit der politischen Klasse verbandelt sind.“ Dilma Rousseff hat vor langer Zeit eine Reform zur Demokratisierung der brasilianischen Medienlandschaft vorgeschlagen. Globo bekämpfte sie mit aller Macht. Und mit Erfolg. Das Hauptargument des Monopolisten: Die Pressefreiheit werde bedroht.