Brasilien: Das Minenunglück von Mariana

Brasilien: Das Minenunglück von Mariana

Es ist wird bereits als größte Umweltkatastrophe in der Geschichte Brasiliens bezeichnet: der Bruch eines Staubeckens mit rund 55 Millionen Kubikmetern Schlammrückständen aus der Eisenerzmine Germano.

Foto: Rogério Alves/TV Senado

Der Unfall ereignete sich im südöstlichen Bundesstaat Minas Gerais, der, wie es der Name schon sagt, ein Zentrum des brasilianischen Bergbaus ist.

Die Schlammlawine begrub mehrere kleine Ortschaften unter sich, riss nach ersten Zählungen elf Menschen in den Tod (zwölf werden vermisst), verschmutzte Täler und Wälder und erreichte schließlich über einen kleineren Fluss den Rio Doce, einen der wichtigsten Trinkwasserlieferanten des brasilianischen Südostens. Mehr als zwei Millionen Menschen beziehen Wasser aus dem Rio Doce, der auch den Bundesstaat Espírito Santo durchfließt und nach 835 Kilometer in den Atlantik mündet. Der Rio Doce (Süßer Fluss) gilt bereits als biologisch tot, Millionen Fische sind verendet, die Lebensgrundlage Hunderter Fischer ist zerstört worden. Wegen des Verschmutzung musste ein Wasserkraftwerk abgeschaltet werden.

Nun erreicht der Rio Doce mit dem von Schwermetallen wie Eisen, Mangan, Blei und Aluminium belasteten Schlamm das Meer. Im Mündungsgebiet erwartet man verheerende Konsequenzen für Flora, Fauna und die ansässigen Gemeinden. Die ganzen Folgen sind noch gar nicht absehbar – da gelten schon zwei weitere Auffangbecken in unmittelbarer Nähe des geborstenen Reservoirs als ebenso vom Kollaps gefährdet.

Das Unternehmen, das die Mine wie die Auffangbecken betreibt, heißt Samarco. Es wurde 1977 gegründet, hat seinen Sitz in Belo Horizonte und ist ein Joint-Venture des brasilianischen Minengiganten Vale mit dem englisch-australianischen Großkonzern BHP Billington.

Samarco machte aufgrund der explodierenden Preise für Eisenerz jahrelang hohe Profite, allein zwischen 2010 und 2014 nach eigenen Angaben umgerechnet 3,2 Milliarden Euro. Doch nur ein Bruchteil wurde in Sicherheit und Umweltschutz investiert. Vom Gewinn von rund 690 Millionen Euro im Jahr 2014 gerade einmal drei Prozent. Das hat sich nun gerächt.

Weil sich die chinesische Wirtschaft abgekühlt hat, ist die weltweite Nachfrage nach Eisenerz stark eingebrochen. Samarco versuchte die Einbußen durch eine drastische Steigerung der Produktion auszugleichen. Dass man dabei auch weit mehr Abfallschlamm produzierte als für die vorhandenen Rückhaltebecken zu verkraften gewesen wäre, ignorierte man. Einen Notfallplan für einen Dammbruch entwickelte man nicht, obwohl man den kritischen Zustand des Auffangbeckens mindestens erahnte, wie Dokumente zeigen. Nicht einmal eine Alarmsirene in den gefährdeten Ortschaften gab es. Nach dem Unfall wurden Journalisten vom Ort des Geschehens ferngehalten und besonders kritische Frager von Pressekonferenzen ausgeschlossen.

Doch nicht allein die Gewinnsucht Samarcos ist für die Katastrophe verantwortlich. Staat und Politik zeigen ein kriminelles Desinteresse an einer besseren Regulierung der Minenindustrie. So stufte die zuständige Minenaufsicht das nun geborstene Auffangbecken als risikoarm ein. Dabei fand eine effektive Kontrolle der Rückhaltebecken zuletzt gar nicht mehr statt. Von den 317 Abfallreservoirs der Minenindustrie im Bundesstaat Minas Gerais sollen 95 keinerlei Kontrolle unterliegen. Dies hat auch mit der allgemeinen Schwäche des brasilianischen Staats in abgelegenen Regionen zu tun. Doch vor allem mit handfesten Interessen.

Vale, eine der beiden Mutterfirmen von Samarco, ist der drittgrößte Minenkonzern der Welt und größter Produzent von Eisenerz. Vale ist außerdem einer der wichtigsten Finanziers der brasilianischen Politik. Bei den Wahlen 2014 spendete die Firma umgerechnet 20 Millionen Euro. Unter den Empfängern: die drei aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten, 18 Gouverneure, 19 Senatoren, 261 Bundesparlamentarier, 599 Landesparlamentarier. Vale erkauft sich also Einfluss, völlig legal.

Den größten Teil des Geldes erhielten Mitglieder der Partei PMDB, die mit der Arbeiterpartei PT die Regierung stellt. Wie zufällig kontrolliert die PMDB das Minen- und Energieministerium und besetzt die meisten Plätze in der Aufsichtsbehörde über die Minenindustrie. Insgesamt zählen rund 200 Abgeordnete in Brasilia zum sogenannten Minenflügel, der die Interessen dieser Industrie vertritt. Sie versuchen derzeit ein Gesetzesvorhaben durchzubringen, das die vereinfachte Öffnung von Indianerreservaten vorsieht, wenn dies „im nationalen Interesse“ liegen sollte. Zu diesem zählt auch der Bergbau.

Die maximale Strafe für Umweltverbrechen beträgt in Brasilien umgerechnet zwölf Millionen Euro. Die Umweltbehörde Ibama hat Samarco im Zusammenhang mit dem Dammbruch bisher fünf solcher Strafzahlungen angehängt und die Verhängung weiterer Strafen angekündigt. Vielleicht auch weil man die Lächerlichkeit des Betrags selbst erkannte, versprach Samarco dem Bundesstaat Minas Gerais die Zahlung von umgerechnet 248 Millionen Euro für Sofortmaßnahmen.

Allerdings bleibt auch dieser Betrag weit hinter internationalen Standards zurück. Für die Ölpest, die 2010 von der Ölplattform Deep Water Horizon im Golf von Mexiko ausgelöst wurde, musste BP insgesamt 26 Milliarden Dollar zahlen.

Ob Samarco seine Strafe jemals überweisen wird, kann zudem bezweifelt werden. So hat der Bundesstaat Minas Gerais Strafzahlungen von Minenfirmen in den letzten Jahren immer wieder neu verhandelt sobald der öffentliche Aufschrei verklungen war; sie wurden um bis zu 80 Prozent reduziert. Auf Bundesebene ist es noch schlimmer. Rund 97 Prozent der von der Umweltbehörde Ibama verhängten Strafzahlungen gehen nie ein. Die Kosten tragen die brasilianische Bevölkerung und die Umwelt.