Brasilien: Ein Fluss stirbt

Brasilien: Ein Fluss stirbt

In Parnamirim fehlt das Wasser. Seit fünf Jahren leidet die Kleinstadt im Hinterland des brasilianischen Bundesstaats Pernambuco unter anhaltender, fast schon biblischer Dürre.

Foto: Ricardo Stuckert/PR

Die beiden Stauseen, aus denen rund 25000 Menschen mit Wasser versorgt werden, sind auf weniger als zehn Prozent ihrer ursprünglichen Größe geschrumpft, auf Satellitenbildern ist zu erkennen, wie sie versanden. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft der Gegend wirft immer weniger ab, die Menschen ziehen notgedrungen weg. Der Ort droht zu sterben.

Allerdings ist die Wasserknappheit in Parnamirim nicht wirklich erstaunlich. Der Ort liegt im Sertão, eine mehrere Bundesstaaten umfassende Subregion im Nordosten Brasiliens, die zwar keine Wüste ist, aber dennoch in großen Teilen extrem trocken. Die Wasserknappheit ist einer der Gründe für die Armut im Sertão und für zahlreichen Konflikte – die, dies nur nebenbei, ein häufiges Motiv in Brasiliens Literatur und Musik sind.

Es schien also eine gute Idee zu sein, als Präsident Lula da Silva 2006 ein gigantisches Bewässerungsprojekt ankündigte, mit dem Wasser auch nach Parnamirim gebracht werden sollte. Man würde, so die Regierung, das Wasser aus dem Rio São Francisco entnehmen und über zwei Hauptkanäle sowie kleinere Zubringerkanäle über Hunderte von Kilometer in die Gemeinden des trockenen Nordostens leiten. Zwölf Millionen Menschen würden profitieren.

Doch bis heute ist kein Tropfen Wasser aus dem Rio São Francisco in Parnamirim angelangt. Die Arbeiten an den Kanälen, die 2007 begonnen wurden und 2010 beendet sein sollten, stocken vielerorts oder liegen brach. An manchen Stellen ist der Beton der künstlichen Flussbetten aufgeplatzt. Die Kosten des Projekts, die man einst auf umgerechnet 1,3 Milliarden Euros kalkuliert hatte, haben sich verdoppelt.

Die Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff hat nun als neuen Fertigstellungstermin das Jahr 2017 ausgegeben, 70 Prozent der Arbeiten seien bereits abgeschlossen, heißt es aus Brasília. Ob die Felder in Parnamirim jedoch eines Tages mit Wasser aus dem Rio São Francisco zum grünen gebracht werden, ist fraglich.

Denn der Rio São Francisco stirbt. Auch am Ursprungsort des Flusses, im Südosten Brasiliens, wird das Wasser immer knapper, weil Quellen und Zuflüsse versiegen. Das Kanalprojekt würde ihm wohl endgültig den Garaus machen, seine Fischbestände sowie die Vogel- und Pflanzenwelt irreparabel schädigen. Es wäre eine Katastrophe für ganz Brasilien.

Der Rio São Francisco ist mit fast 3000 Kilometern Länge einer der wichtigsten Ströme des Landes, man schätzt, dass 40 Millionen Menschen direkt oder indirekt von ihm abhängen, in Liedern und Gedichten wird er besungen. Nun ist er auf weiten Strecken nur noch ein Rinnsal und das pharaonische Kanalprojekt, von dem Brasiliens Regierungen schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts träumen, könnte sich als Milliardengrab erweisen.

Dabei ist die Wasserknappheit am Quellort des Rio São Francisco menschengemacht. Sie hat offenbar mit der Abholzung des Amazonaswaldes zu tun. In einer aktuellen Studie schlussfolgert das brasilianische Raumforschungsinstitut Inpe, dass über weiten Flächen der Amazonasregionen keine feuchten Luftmassen mehr entstehen. Dort, einst riesige Wälder standen, aus denen große Mengen Wasser verdunsteten und in mächtigen Wolkenformationen gen Süden zogen, wo sie abregneten, wächst heute Exportsoja oder grasen Rinder. Statt die Abholzung einzudämmen, hat sich die Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff zur größten Verbündeten der Agrarindustrie gemacht.

Die Folge sind die schlimmsten Wassernotstände seit über 100 Jahren in Brasiliens bevölkerungsreichsten und industrialisiertesten Bundesstaaten São Paulo, Rio de Janeiro und Minas Gerais. In letzterem entspringt der Rio São Francisco.

Die Umleitung des Flusses war von Beginn an umstritten. Umweltschützer warnten vor den katastrophalen Folgen und wiesen auf das Paradox hin: Um den Menschen in einer der ärmsten Regionen Brasiliens zu helfen, gefährdet man die Lebensgrundlage anderer.

Aber die seit 2002 regierende Arbeiterpartei hatte nie ein offenes Ohr für die Bedenken von Umweltschützern oder Wissenschaftlern. Sie verfolgte von Anfang an ein antiquiertes, fast schon sowjetisches Entwicklungsmodell, das auf zentrale Megaprojekte setzt, anstatt lokale Lösungen zu suchen. Insbesondere Präsidentin Dilma Rousseff scheint Umweltschutz und Wachstum immer noch als Gegensätze zu betrachten. Sie will klotzen nicht kleckern.

Weitere Beispiele für dieses megalomanische Denken sind der umstrittene Bau des Staudamms Belo Monte im Amazonaszufluss Rio Xingu sowie die Errichtung des Atomkraftwerks Angra II am Atlantik südlich von Rio de Janeiro. Es sind Prestigeprojekte, welche die großen technischen Kapazitäten Brasiliens beweisen sollen – in Wirklichkeit aber nur die Rückständigkeit seiner politischen Eliten offenbaren.

In Parnamirim wird man wohl auch deswegen weiter darauf warten müssen, dass sich der Traum vom Wasser erfüllt.