Brasilien: Der Kampf ums Wasser

Brasilien: Der Kampf ums Wasser

Auf Bambusleitern steigen die Menschen vorsichtig hinab. Sie haben Plastikeimer dabei. Versuchen etwas Wasser zu schöpfen und klettern dann so schnell wie möglich wieder hinauf.

Die Krokodile im Tümpel könnten aufmerksam werden. „Es ist ja das einzige Wasser, das wir noch haben“, erklärt eine Frau den Wagemut. Die Szene stammt nicht aus einem Zukunftsroman über eine Welt ohne Wasser, sondern aus Recreio, einem Viertel im Westen Rio de Janeiros. Dessen Bewohner konkurrieren mit Krokodilen um einen Wassertümpel, weil die übliche Wasserversorgung zusammengebrochen ist.

Die absurd anmutende Kampf ist eine Episode aus einem Land im Ausnahmezustand. Im Südosten Brasiliens herrscht seit Monaten Wasserknappheit. Die Reservoirs hunderter Städte in der dicht bevölkerten und wirtschaftlich wichtigen Region sind so gut wie leer. Darunter auch die der beiden Millionenmetropolen Sao Paulo und Rio de Janeiro.

Während es in Sao Paulo schon seit Monaten nicht mehr ausreichend geregnet hat, leidet Rio de Janeiro seit Dezember unter extremer Hitze. Fast täglich erreichen die Temperaturen neue Rekorde – welche allesamt aus den Vorjahren stammen. Vieles spricht dafür, dass sich der Klimawandel bemerkbar macht. Die Temperaturen steigen in Rio diesen Sommer regelmäßig auf 40 Grad Celsius, die gefühlte Temperatur liegt bei 50 Grad.

Die gutsituierte Bevölkerung im Süden Rios sucht nun nachts die Stadtstrände zur Abkühlung auf, aber die Ärmeren in den riesigen Vorstädten scheint man vergessen zu haben. Hier fehlt teilweise seit Jahresbeginn das Wasser. Die Bewohner werden nun im besten Fall von Tankwagen versorgt oder müssen sich Trinkwasser zu überteuerten Preisen kaufen.

Die Wasserversorgungsgesellschaft Cedae macht für die Ausfälle starken Verbrauch und Druckabfall in ihren Rohren verantwortlich. Tatsächlich aber hat sie seit Jahren nicht in ihr erschreckend marodes Leitungssystem investiert, in dem viel Wasser verloren geht. Der Regen kam ja doch immer irgendwann. Nun bleibt er aus. Zuletzt wurde wurde das für Rio wichtige Reservoir Paraibuna für technisch leer erklärt, zum ersten Mal seit seinem Bau 1978.

Obwohl Wissenschaftler bereits von der Notwendigkeit zur Rationierung sprechen, nimmt kein Verantwortlicher das Wort in den Mund. Die Brasilianer haben sich daran gewöhnt, ihre natürlichen Ressourcen verschwenderisch zu gebrauchen. Umweltbewusstsein herrscht allenfalls bei einer aufgeklärten Minderheit. Rios Elite aber tut so, als stünde ihr mehr Wasser zu als den anderen. Der Golfplatz, der für die olympischen Spiele angelegt wurde – übrigens im gleichen Viertel wie der Krokodiltümpel – ,wird jeden Tag mit drei Millionen Liter besprengt.

In Sao Paulo ist der Wassermangel noch dramatischer als in Rio. Nicht nur die Großstadt ist betroffen, sondern auch der gleichnamige Bundesstaat, das industrielle Zugpferd Brasiliens. Von dessen 45 Millionen Einwohnern haben 15 Millionen bereits kein fließendes Wasser mehr. Die Situation gilt als die schlimmste Umweltkrise der letzten 100 Jahren, und in manchen Gemeinden kam es bereits zu Tumulten.

Wer die Wasserreservoirs Sao Paulos besucht, große Seen im Hinterland, wird häufig nur noch aufgerissene Lehmschollen finden. Aus anderen fließt das noch vorhandene Wasser nicht mehr ab, sondern wird herausgepumpt. Auf unter sechs Prozent schätzt die Wassergesellschaft Sabesp die noch vorhandene Wassermenge zur Versorgung der zwölf Millionen Einwohner Sao Paulos. Ab fünf Prozent wird rationiert.

Von dem Wassermangel sind auch Wirtschaftszweige wie die Papierindustrie betroffen sowie die Wasserkraftwerke der Region. Deren Stauseen sind so leer sind wie seit 20 Jahren nicht. Dazu muss man wissen, dass Brasilien seinen Strom zu mehr als drei Vierteln aus Wasserkraft erzeugt. Bereits jetzt sind Blackouts vorausgesagt, sollte es nicht bald stark regnen.

Wie in Rio gelten auch in Sao Paulo fehlendes Sparbewusstsein sowie ausbleibende Investitionen in neue Reservoirs als unmittelbare Gründe für die Krise. Darüber hinaus machen Wissenschaftler die Abholzung des Amazonaswaldes für die Dürre verantwortlich. In einer Studie schlussfolgert das brasilianische Raumforschungsinstitut Inpe, dass die Zufuhr feuchter Luftmassen aus der Amazonasregion in den Südosten Brasiliens unterbrochen worden ist. Dort, wo einst riesige Waldflächen standen, aus denen große Mengen Wasser verdunsteten und in mächtigen Wolkenformationen 3000 Kilometer nach Süden wanderten, wächst heute Exportsoja oder grasen Rinder.

Statt die Abholzung jedoch einzudämmen, hat sich die Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff zur großen Verbündete der Agrarindustrie gemacht. Zu viele brasilianische Wirtschaftsführer und Politiker sind noch einem Paradigma verhaftet, das Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung als Gegensätze, ja als feindlich, begreift. Vielleicht muss Sao Paulo erst wasserlos veröden, wie es einige Forscher langfristig vorhersehen, bis sich an dieser antiquierten und gefährlichen Sicht etwas ändert.