Bei den Mennoniten in Paraguay

Bei den Mennoniten in Paraguay

Auf dem Weg ins Paradies fällt die Klimaanlage aus. Heiße Luft platzt in den Bus. Die hitzegewohnten Paraguayer stöhnen und fächern hektisch mit Händen und Hüten. „Que calor!“

Das Thermometer zeigt über 40 Grad. Vor den staubverschmierten Fenstern entfaltet sich die flimmernde Ebene des paraguayischen Chaco. Nicht grundlos nennen die Paraguayer den westlichen Teil ihres Landes „Grüne Hölle“. Wie es sich für ein anständiges Inferno gehört wimmelt es von Schlangen, gibt es kaum Wasser, dafür jede Menge Dornen und eine Sonne, die unerbittlich hinabsticht.

Kein Wunder also, dass da draußen kein Mensch zu sehen ist. Der Chaco ist etwa so groß wie die alte Bundesrepublik, aber nur 125.000 Menschen leben hier, zwei Prozent der Bevölkerung Paraguays. Die einzige asphaltierte Straße – wir fahren gerade drauf – führt Richtung Bolivien. Auf halbem Weg wird sie zur Piste und bei starkem Regen unpassierbar. Dann tauchen die ersten Ortschilder auf, die nicht recht zur gelbtrockenen Landschaft passen wollen: Waldrode, Friedensfeld, Neuwiese. Nach sechs Stunden Fahrt aus Asunción sind wir im Musterländle Südamerikas gelandet, dem Reich der Mennoniten

Eine Staubwolke weht über den Busparkplatz von Filadelfia. Der 7.000 Einwohner-Ort bildet das Zentrum der Mennoniten-Kolonie Fernheim. Die Szenerie erinnert an einen der Dollar-Western von Sergio Leone. Clint Eastwood könnte hier im Sand stehen und einen Zigarillo zerbeißen. Wenn da nicht dieses Straßenschild wäre: „Avenida Hindenburg“. Tatsächlich, das steht Hindenburg! Der Name des Reichspräsidenten ruft die wohlgehegten Vorurteile in Erinnerung. Die Mennoniten: strenge, plattdeutsch sprechende Protestanten mit leichter inzuchtbedingter Debilität, Wertevorstellungen aus dem 19. Jahrhundert und einer technischen Ausstattung, die man aus dem Heimatmuseen kennt.

Und dann macht Hans Fast noch vor dem ersten Handschlag einen Vorschlag: „Die Klischees, die Sie mitgebracht haben, versenken sie jetzt im Pool. Es ist alles ganz anders.“ Der 50-Jährige lässt sich in einen der Plastikstühle fallen, die rund um den Swimmingpool des Hotels Florida stehen. In seinem runden Gesicht blinzeln zwei listige kleine Augen über einem buschigen Schnauzer. Er schlägt die Gabel in ein Stück Rinderlende. Dann knallt er eine Schachtel Zigaretten auf den Tisch und ordert ein Bier. Hans Fast ist Landwirt, Fremdenführer und Mennonit. Und er weiß, welche Vorstellung man von den Mennoniten in Deutschland hat. „Aber sie werden hier niemanden in Latzhosen und mit Strohhut finden“, stellt er klar. Er selbst trägt Jeans und ausgelatschte Turnschuhe. „Wir sind keine religiöse Sekte ohne Television und Autos.“ Hans Fast redet ein astreines Hochdeutsch, in das sich manchmal spanische Begriffe einschleichen. Außerdem spricht er Plattdeutsch, Spanisch und ein paar Brocken der Indianersprache Guaraní.

Was ist passiert im Chaco? Jahrzehntelang galten die Mennoniten als weltabgewandte Sekte, resistent gegen alle Verlockungen der Moderne. Noch vor wenigen Jahren bezeichnete eine süddeutsche Zeitung Filadelfia als „Gottes Stadt im Urwald“. Womit das Blatt jedoch nicht nur der karstigen Vegetation großes Unrecht tat. Denn die 16.000 Chaco-Mennoniten haben sich der Welt geöffnet. Sie erleben einen wirtschaftlichen Aufschwung, der nicht nur den Aufbau einer bescheidenen touristischen Infrastruktur ermöglicht, sondern auch das soziale Gefüge der mennonitischen Gemeinschaft verändert hat. Aus asketischen Selbstversorgern sind in weniger als einem Jahrhundert die reichsten Bauern Paraguays geworden. Sie haben ihre Nische im globalen Markt gefunden.

Beim Gang zur Apotheke, um Sonnencreme Faktor 35 zu kaufen, fallen die Parabolantennen in den Vorgärten auf. Jeeps stehen in den Hauseinfahrten. Die Apothekerinnen fotografieren sich mit ihren Handys. „Wir produzieren zwei Drittel der paraguayischen Milch und 15 Prozent der Steaks“, sagt Hans Fast. „Wir exportieren Baumwolle nach Mexiko, Hirse nach Japan und koscher geschlachtetes Fleisch nach Israel.“ In den kühlen Hallen der Erdnussfabrik von Filadelfia trocknen zehn Meter hohe Erdnussberge. Vollgeladene Laster warten auf Abfertigung, die Peanuts regnen von der Ladefläche. „Unsere Erdnüsse sind beste Qualität“, ist sich die Männerrunde im klimatisierten Büro einig. „Wenn es bloß mal ein bisschen mehr regnen würde.“

Der Rest Paraguays blickt neidisch und ängstlich auf die wirtschaftlich erfolgreichen Mennoniten. Dabei täte dem Land eine Brise des mennonitischen Arbeitsethos’ ganz gut. Paraguay gehört laut Transparency International zu den korruptesten Staaten der Welt. Die sich schamlos bereichernde Elite ist ins Entführungsgeschäft, in Schmuggel und den Marihuanahandel verstrickt. Paraguay ist der größte Produzent der Droge auf dem Kontinent.

Während also anderswo die Haschfelder wachsen, wachsen bei den Mennoniten die Rinderherden. Obwohl jeder Mennonit auch nach persönlichem Reichtum streben soll, produzieren und vermarkten sie ihre Produkte seit jeher genossenschaftlich. An ihre Kooperativen zahlen die Mennoniten hohe Steuern, mit dem ein beispielhaftes Sozialwesen unterhalten wird. Beim Gang durch Filadelfia und seine quirlige Nachbargemeinde Loma Plata fallen einem die herausgeputzten Kindergärten, Gymnasien, Altersheime und Krankenhäuser auf. „Und wir haben die beste Psychiatrie in ganz Paraguay“, sagt Hans Fast. Wegen der inzestuös kleinen Gemeinschaften gibt es verhältnismäßig viele Geisteskranke unter den Mennoniten. Doch Fast gewinnt auch dem etwas positives ab: „Wir kümmern uns um die Irren und schauen den Kooperativen-Vorstehern auf die Finger“, sagt er. Im Supermarkt des „Chortitzer Komitees“, wo auf jedem Brot der Namen des Bäckers vermerkt ist, liegt der frisch gedruckte Rechenschaftsbericht an der Kasse aus.

Die Tür des Heimatmuseums von Loma Plata steht offen. Es riecht nach Holz und Staub. Anhand von Fotos wird die Geschichte der mennonitischen Besiedlung im Chaco erzählt. Es ist eine Geschichte der Entsagung, harter Arbeit und unerschütterlichen Glaubens. Auf den Schwarzweiß-Bildern sind Männer mit Bärten, weißen Hemden und dunklen Hüten abgebildet. Die Frauen tragen zugeknöpfte Kleider und Hauben. Sie stehen mit Äxten und Hacken im Busch, sehen zuversichtlich aus und manchmal auch ängstlich.

Auf einem Schaubild ist die beschwerliche Wanderung der Mennoniten rund um die Welt nachvollzogen. Ursprünglich stammen sie aus der Schweiz und Holland. Doch weil sie die Kindstaufe ebenso wie das Tragen von Waffen ablehnen, waren sie immer wieder unerwünscht. Sie zogen ins Russland Katharinas der Großen, wo sie nach der Revolution 1917 verfolgt wurden, flüchteten nach Deutschland und weiter nach Kanada oder die USA.

Als die paraguayische Regierung den Mennoniten dann Ende der 1920er Jahre Land anbot und versprach, sie sonst in Ruhe zu lassen, zogen sie gen Chaco. Nur um nach wochenlangen Reisen fest zustellen, dass das Land nicht viel hergab. Viele wanderten weiter, andere starben. „Nur der Glaube hat uns damals am Leben erhalten“, sagen die Alten. „Wir lebten von der Bibel in den Mund.“ Besonders gerne hören die Mennoniten es, wenn man sagt, dass sie die Wüste in ein Paradies verwandelt hätten. Tatsächlich liegen Welten zwischen den vergilbten Fotos im Museum und der Gegenwart mit ihren Traktoren und Kühllastwagen. Vor dem Bau der Trans Chaco-Route Ende der siebziger Jahre brauchte man mehrere Wochen mit dem Ochsenkarren nach Asunción.

Eine Tour durch den Chaco rund um die Mennonitensiedlungen ist eine Reise voller Widersprüche. Eine Staubwolke hinter sich her wirbelnd, dringt man in eine vor Hitze vibrierende Landschaft ein. Rund um Filadelfia stehen die Rinderherden auf tadellos umzäunten Weiden, braune Baumwollfelder breiten sich aus. Ab und zu ragen aus der Landschaft kleine Vulkane auf. Es sind aus Erde errichtete Wasserspeicher. Die Technik haben die Mennoniten sich bei australischen Bauern abgeschaut. Die Bäume und Sträucher, die sich im Chaco behaupten, winden sich knochig und stolz der unerbittlichen Sonne entgegen. Durch das Unterholz wandern giftige Schlangen. Werde man gebissen, schärfen die Mennoniten einem ein, hat man eine halbe Stunde, um das Gegenserum einzunehmen. Es sei in jeder Siedlung deponiert. Nach einer halben Stunde Fahrt ein Wasserloch. Hier explodiert die Vegetation, Blüten leuchten in gelb, rot und violett. Kaimane liegen am Ufer und dösen. Man könne hier schon baden, erzählen die Mennoniten, die Tiere seien eher schreckhaft.

Am hölzernen Schwingtor lehnt Adolf Dörksen mit einem breiten Lächeln und einer Zigarette im Mund. Mit seinem Strohhut, dem lila T-Shirt und den Badeschlappen wirkt er eher wie ein Hippie denn wie ein Bauer. Der 27-Jährige hat eine Frau, zwei Kinder und mit 90 Hektar Land und 30 Kühen einen vergleichsweise kleinen Hof. Die Farm liegt 50 Kilometer von Filadelfia entfernt, in der kleinen Gemeinde Silberfeld.

Ein Auto hat Dörksen nicht, ebenso wenig ein Telefon. „Das kommt noch“, ist er zuversichtlich, „ich komme aus einer armen Familie. Man muss sich alles erarbeiten.“ Der Hof ist gesäumt von Blumen, Gemüsebeeten und lila blühenden Sträuchern, dahinter recken sich Palisanderbäume in den knallblauen Himmel. Bis auf Hahnenschrei und Hundegebell ist nur das Rauschen des warmen Windes in den Blättern zu hören.

Dörksens Frau Sandra bringt ein ausgehöhltes Kuhhorn auf die Veranda. Darin befinden sich zerstoßene Kräuter und Gräser. Das Gemisch nennt sich Tereré. Es wird mit kaltem Wasser übergossen und per Strohhalm getrunken. Das Horn macht die Runde. Die Mennoniten haben den Brauch von den Paraguayern übernommen, die haben ihn von den Indianern.

Einen Fernseher hat die Familie nicht, auch keinen Computer. Aber das Radio läuft. Die Dörksens hören den mennonitische Erbauungssender „ZP30 – Die Stimme des Chaco“. Gerade singt ein Indianerchor, es folgen die „Kastelruther Spatzen“. Duerksen wirkt müde. Um 4 Uhr 30 ist er aufgestanden, hat anderthalb Stunden Kühe gemolken. „Wir Mennoniten arbeiten bis wir sterben. Oder wir sterben beim arbeiten“, sagt er. Er muss los, den Zaun einer Weide reparieren. „Besucht doch mal unsere braunen Brüder.“

Die Siedlung Yalve Sanga liegt wie ein Dutzend andere Indianersiedlungen auf dem Gebiet der Mennoniten. Ihr Namen bedeute Lagune der Gürteltiere. Aus Holz zusammengezimmerte Hütten mit spitzgiebeligen Schindeldächern behaupten sich gegen Wind und Staub. Einige der Grundstücke sind von ausgeleiertem Stacheldraht umgeben, darauf trocknet Wäsche. Unter einem großen Quebracho-Baum sitzen ein Dutzend Frauen des Nivaclé-Stammes in bunten Röcken beisammen. Ihre meterlangen pechschwarzen Haare tragen sie offen oder zu Zöpfen geflochten. Ihre Haut leuchtet rötlich braun, die Gesichter der Älteren sind faltig wie gepflügte Felder.

Einigen der Frauen fehlen die Zähne, andere haben gelbe Augen. Eine Gruppe von Mädchen kommt in die Siedlung gelaufen, sie bringen frisch gesammeltes Brennholz. Sie wenden sich ab, als sie die Kamera sehen. Aber sie sprechen Plattdeutsch. Es ist zur Verkehrssprache unter den verschiedenen Chacho-Stämmen der Nivaclé, Enlhet und Sanapanà geworden. Die Frauen sagen, dass die Männer in Loma Plata arbeiten, andere seien Honig sammeln oder Fußball spielen gegangen. Sie bieten uns Bier an und erzählen uns, dass manches Indianermädchen gerne einen Mennoniten zum Mann nähme. Doch die Mennoniten seien sehr verschlossen. Die Frauen lachen hell.

Rund 24.0000 Indianer leben in den mennonitischen Kolonien. Sie arbeiten auf den Feldern und in den Fabriken der Mennoniten. Die Mennoniten haben nie versucht, die Ureinwohner zu vertreiben. Ihr Interesse galt vor allem der Missionierung. Daher ist die Beziehung von Paternalismus geprägt. In Yalve Sanga haben die Mennoniten den Indianern eine backsteinerne Schule hingestellt und beraten sie in Fragen der Landwirtschaft und Hygiene. Sie kümmern sich um Gesundheit und Erziehung der Indianer. Und sie geben ihnen Land und stellen ihnen Häuser hin. „Aber das Wesen des Indianers kann man nicht ändern“, sagen viele Mennoniten. „Er arbeitet drei Tage, dann faulenzt er drei Tage. Und er muss immerzu alles teilen. Er ist noch sozialistischer als der Mennonit.“

Im letzten Abendlicht kommen wir an einem rotleuchtenden Salzsee vorbei. Darin stehen weiße Flamingos. Ihr Gefieder glänzt, sie wirken wie Wesen von einem anderen Stern inmitten der erdfarbenen Landschaft. Die Flamingos recken neugierig die Köpfe, als wir uns vor einer Vogelspinne erschrecken, die ins Gebüsch schnellt. Auf dem Rückweg überfahren wir beinahe ein Gürteltier, das über die Straße trottet.

Bei Einbruch der Dunkelheit düsen die Jugendlichen in aufgepeppten Autos durch Filadelfia und Loma Plata. Der 21jährige Rower Ginter und sein Kumpel Wesly Funk sitzen auf ihren Motorrädern. Sie essen Eis und hören Technomusik, die aus dem Auto eines Freundes wummert. Rower hat eine Glatze. Es wirkt herausfordernd, hier, wo alle brave Topfschnitte haben. „Ich wollte mal was Außergewöhnliches machen“, sagt er.

Ob den Jungs nicht langweilig sei, so ohne Kino und Disko? „Nee“, sagt Wesly. „Wir machen Ballspiele, gehen in den Bibelkreis.“ Um zehn müssen Rowen und Wesly nach Hause. Am Schwarzblauen Himmel hängt der Mond wie ein Porzellanteller über Loma Plata. Ein Wasserlaster sprenkelt die staubige Hauptstraße. Hunderte Zikaden knattern, was das Zeug hält. Sie werden von einem hellen Scheppern übertönt. Es kommt aus der Milchabfüllanlage. Auch als die Zikaden mitten in der Nacht verstummen, wird dort noch gearbeitet.