Seinen absoluten Tiefpunkt erreichte das schlechteste Festival Berlins vor drei Jahren. Nur ungern erinnert sich Olaf Saeger an die Zeit. „Wir konnten das üble künstlerische Niveau nicht mehr halten“, sagt der Impresario. Das Publikum rebellierte gegen den Qualitätsanstieg, es kam zu unschönen Szenen.
Ein Demonstrant eroberte sogar für mehrere Stunden die Bühne. Er reckte ein Plakat in die Höhe: „Schlechtival zu gut!“ Ja, das sei wahr, gibt Saeger heute zu: „Die Darbietungen waren nicht übel. Es gab kaum Buhrufe, und Bierdosen flogen auch keine.“
Da musste etwas passieren. So hat der 45- Jährige das Schlechtival wieder auf Kurs gebracht, es knüpft nun an seine ersten, richtig miesen Anfangsjahre an.
Und für diesen Sonnabend sind wieder alle Nieten, Flaschen, Versager und Arschkrampen der Stadt, alle Groß- und Kleinkünstler, Musiker und Schauspieler aufgerufen, ihre kaputtesten Ideen in der Moabiter Kulturfabrik zu präsentieren und das Schlechteste zu geben. So wie einst die Oral Beatles, die Songs von Lennon und McCartney auf elektrischen Zahnbürsten nachspielten. Oder die Twintowers, die 2001 „Flugzeuge im Bauch“ intonierten. Oder die fünf Irren, die beim Schlechtival zum Thema Männer die Lurche baumeln ließen.
Das Schlechtival ist nicht nur irgendeine Kleinkunstparade. Nichts dürfe „Sinn, Zweck noch Anspruch“ haben, sagt Saeger. Und dass man so viel Zeit auf der Bühne habe, wie man wolle. Allerdings nur so lange, wie das Publikum den Spaß mitmache. Manche Künstler werden gleich niedergebrüllt, andere von der Bühne getragen. Wozu es bei Gruppen und besonders renitenten Artisten vereinte Kräfte braucht. Im vergangenen Jahr etwa wehrten sich drei Elektropunkerinnen aus Italien mit Haarspray gegen den Abtransport. Und auch der Herr, der ununterbrochen krakelte „Ich bin die Ledersau“, war sehr renitent.
Das Schlechtival gehört zu den ältesten Festivals der Stadt. Das wahrhaftigste ist es allemal. Hier zeigt sich die dunkle Seite der viel beschworenen Hauptstadtkultur, der internationalen Kreativenszene, der Subventions- und Stipendiatenkunst. Hier hat das spontane Berlin der neunziger Jahre überlebt, von dessen Mythos die Stadt bis heute zehrt. Wenn die Marke Berlin („Be Berlin“) und das Produkt noch irgendwo zusammenpassen, dann in dem ranzigen Moabiter Backsteinbau, hinter dem die ICEs in Richtung Hamburg auslaufen.
Im ersten Stock der Kulturfabrik, die aussieht wie ein westdeutsches Kleinstadtjugendzentrum, ist der Filmrauschpalast untergebracht: ein kleines, kaltes Kino mit Plüschsesseln. Seit 17 Jahren verwandelt es sich im November oder Dezember („da ist das Wetter so schlecht“) in den Schauplatz eines dionysischen Sichgehenlassens. Es geht ein bisschen zu wie im Vaudeville des 19. Jahrhunderts, wo temporeich die Nummern und Genres abwechselten. Oder wie im Theater zu Zeiten Shakespeares, als das Publikum das Bühnengeschehen lautstark kommentierte.
Gegründet wurde das Schlechtival kurz nach der Einheit, Helmut Kohl war Kanzler und Deutschland Fußballweltmeister. Damals beschlossen Saeger und eine Gruppe Freunde, dass es so nicht weitergehen könne. Man zeigte anspruchsvolle Filme, veranstaltete Diskussionen und Theaterabende. Doch niemand kam in die Kulturfabrik. „Also warfen wir den Anspruch über Bord“, sagt Saeger, der mit seinen langen Haaren eher an einen Bombenleger als an einen Festivalleiter erinnert. 1992 lief das erste Schlechtival, ein Forum für Menschen mit abseitigen Talenten. Der Saal war voll. „Also wiederholten wir die Sache im nächsten Jahr, und das Kino platzte aus allen Nähten. So ging es weiter.“ Heute reist ein Fan sogar aus Luzern an. „So was Hirnrissiges gibt’s nur in Berlin“, sagt der Schweizer. Freunde will er dieses Jahr mitbringen, die ihn wegen seiner Erlebnisberichte für einen Angeber halten.
Olaf Saeger, der vor 25 Jahren von Wuppertal nach Berlin zog und hier ein Unternehmen für Filmkunsttechnik führt, widmet dem Schlechtival mehrere Wochen Vorbereitungszeit. Er verdient ebenso wenig daran wie die Künstler. Und er wehrt sich gegen die von verschiedenen Seiten vorgeschlagene Professionalisierung: „Wir brauchen einen Ort, wo Eier fliegen können und der Eintritt nur fünf Euro kostet.“ Alles andere hieße, den Geist des Schlechtivals zu verraten.
Das Motto in diesem Jahr lautet „Benimm Dich!“. Saeger wird zur Begrüßung einen bestürzend langweiligen Vortrag halten, es wird einen irrelevanten „Einschlechterungstest“ geben, und am Ende werden die „Scheiß-Preise“ der Tombola verlost, darunter die vom Kanzleramt publizierte Broschüre: „Wie werde ich Bundeskanzlerin?“. Saeger beschreibt das Schlechtival gerne als Ventil, wo man Druck ablassen könne. Der Flötist Tilmann Dehnhard, der letztes Jahr auf seinem „Espresso-Dosophonium“ Richard Clayderman coverte, stimmt zu: „Ich erlebe viel Mist in der klassischen Musikszene. Ich musste mal die Sau rauslassen.“ Dehnhard bedauert jedoch, dass er nicht von der Bühne geschafft wurde. „Vielleicht hätte ich länger spielen sollen.“ Jörg Kaier, der als Rock ’n’ Roll-Diktator durch die Stadt tingelt, wiederum meint eher unsentimental: „Das ist eine Veranstaltung, wo man völlig bekifft singen und Gitarre spielen kann, und das Publikum jubelt.“
Doch bei aller Offenheit der Bühne – einmal wurde es sogar Olaf Saeger mulmig. Der berüchtigte Performancekünstler Jacques Pipette hielt dem Publikum einen Bunsenbrenner und eine Barbiepuppe entgegen und brüllte: „Wollt ihr die Hexe brennen sehen?“ Die Menge schrie: „Jaaa!“ Und Pipette brüllte wieder, mit sich überschlagender Stimme: „Wollt ihr die Hexe brennen sehen?“ Und das Publikum, nun völlig entfesselt, kreischte im Chor: „Die Hexe muss brennen!“ Dann fackelte Pipette die Barbie ab. „Das war schon eine ziemlich kranke Nummer“, meint Saeger.
Dann möchte er noch mit einigen Benimmregeln des Schlechtivals vertraut machen. Etwa, dass ausdrücklich um schlechte Garderobe gebeten wird. Dass während der Show saufen und qualmen erwünscht ist. Und dass Rassisten und Sexisten, die meinen, die Bühne missbrauchen zu können, es gerne probieren dürfen. Sie kriegen dann gleich aufs Maul.