Im Interview vor etwas mehr als einem Jahr gab sich Lydia Cacho kämpferisch. „Nur weil ich meinen Job gut mache, soll ich aus meinem Heimatland fliehen?“ Nein, das wollte ihr wirklich nicht in den Kopf.
(Foto: Mari Resendiz)
Damals hatten die USA und Spanien der mexikanischen Journalistin Asyl angeboten, weil sie Morddrohungen erhalten hatte. Aber Cacho fand, dass es feige wäre, das Angebot anzunehmen. Sie hatte gerade das Sachbuch „Sklaverei“ über den globalen Frauen- und Kinderhandel veröffentlicht. Insbesondere ihre Schilderungen aus dem Innern der Zwangsprostitution dürften ihr damals viele Feinde beschert haben.
Nun ist Lydia Cacho überstürzt aus ihrer Heimatstadt Cancún geflüchtet und hält sich an einem unbekannten Ort auf, vermutlich in Spanien. Zwar hatte sie sich an die Mordankündigungen gewöhnt, wie sie sagte, aber die letzte Drohung erreichte eine neue Qualität. Offenbar ist es der Mafia gelungen, Cachos Sicherheitsnetzwerk zu infiltrieren. Die Umstände ihrer Flucht waren dementsprechend dramatisch. Cacho hat eine satellitengestützte Kommunikationsanlage in ihrem Haus. Diese ist nur mit Insiderwissen und einer aufwendigen technischen Ausrüstung anzuzapfen. Aber über genau diese Anlage erreichte Cacho ein Anruf. Ein Mann habe gesagt: „Wir haben dich gewarnt, Scheißnutte, leg dich nicht mit uns an. Wir machen Stücke aus dir.“ Nur zwei Quellen kamen laut Cacho infrage: die mexikanische Marine oder ein Drogenkartell.
Cacho informierte sofort ihren Anwalt und einige Berater. Diese wiesen sie an, ihren Pass zu schnappen und zu verschwinden. Die Drohung könne nicht von irgendjemandem kommen und dieser jemand müsse sich im Umkreis von fünf Kilometern befinden. Da sie keine Probleme mit der Marine habe, vermutet Cacho in der spanischen Zeitung „El País“, müsse eins der Drogenkartelle hinter dem Anruf stecken.
Zu deren Nebengeschäften gehört auch der Menschenhandel. Cacho betreibt in Cancún eine Einrichtung für Kinder und Frauen, die der Prostitution entflohen sind, das Centro Integral de Atención a las Mujeres. Es ist eine ständige Provokation für die Mafia, die ohnehin noch eine offene Rechnung mit Cacho hat. In ihrem Buch „Demonios del Edén“ deckte die Reporterin 2005 einen Kinderpornoring in Cancún auf, dem Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik angehörten. Der Textilunternehmer Kamel Nacif und der Gouverneur von Puebla, Mario Marín, beschlossen daraufhin, Cacho verschwinden zu lassen. Die Journalistin wurde von Polizisten verschleppt und gefoltert. Nur dank des schnellen Handelns von Kollegen, Freunden und Menschenrechtsorganisationen überlebte sie.
Cachos jetzige Flucht unterstreicht erneut die Wehrlosigkeit von Berichterstattern in Mexiko. Der Staat ist weder in der Lage noch willens, selbst prominente Journalisten wie Cacho zu schützen. Die Justizministerin habe ihr geraten, mal für einige Monate zu verschwinden, erzählt Cacho. Sie ist sich aber auch bewusst, dass ihre Prominenz und zahlreiche internationale Auszeichnungen ihr eine gewisse Sicherheit geben, ebenso wie ihre Angewohnheiten, jede Drohung sofort öffentlich zu machen und Namen zu nennen.
Weniger bekannten Journalisten ergeht es erheblich schlechter. Mehr als 80 wurden in den vergangenen zehn Jahren, teils äußerst sadistisch, ermordet, mehr als ein Dutzend gelten als vermisst. Die alte Weisheit, dass Hunde die bellen, nicht beißen, gilt nicht mehr. Es gehört zu den neuen Mordritualen der Mächtigen, den Opfern ihren Tod anzukündigen.
Mexiko steht auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 149 und damit gleichauf mit Afghanistan. Es ist die Konsequenz aus dem entfesselten Drogenkrieg der konservativen Regierung, dem seit 2006 laut offiziellen Angaben rund 50 000 Menschen zum Opfer gefallen sind.
Über Mexiko hinaus aber gehört Cacho zu einer Reihe von investigativen Journalisten, die über die neue, globalisierte Mafia schreiben und ständig auf der Flucht sind. Zu ihnen zählt auch der Italiener Roberto Saviano, der in dem Buch „Gomorrha“ die internationale Wirtschaftskriminalität anschaulich macht. Über Cacho sagt Saviano, dass ihre Hartnäckigkeit ein Ansporn für jeden Journalisten sein müsse. Und Günter Wallraff nennt sie die mutigste Frau, die er kenne.
Im vorerst letzten Eintrag auf ihrer Internetseite schreibt Cacho unter der Überschrift „Anleitung zur Rettung Mexikos“: „Es gibt sie noch, diejenigen, die trotz ihrer Angst nicht zynisch werden, die sich nicht dem Terror der Unmöglichkeit ergeben, die wissen, dass die Hoffnung nicht bloß eine Frucht der Fantasie ist.“