Im südwestlichsten Zipfel der USA befindet sich ein Park. Der Border Field State Park liegt etwas oberhalb des Pazifiks und ist von San Diego in einer halben Stunde zu erreichen.
Er kontrastiert mit der wüstenartigen Landschaft durch grüne Rasenflächen und symmetrisch aufgestellte Picknicktische. Bis auf einen Beamten des US-Grenzschutzes ist die Anlage verwaist und menschenleer. Bis vor wenigen Jahren kamen noch viele im südlichen Kalifornien beheimatete Mexikaner hierher, um Angehörige aus ihrer alten Heimat zu treffen. Dazu brauchten sie etwas Geschick. Mexiko liegt hinter einem drei Meter hohen Stahlzaun. Also drückten sie sich gegen die engen Maschen, steckten Geldscheine hindurch und tauschten unbeholfene Küsse aus.
Der Zaun durch den Park war 1993 errichtet worden. Er war Teil der massiven Aufrüstung der US-mexikanischen Grenze durch die USA. Und er war der erste Mauerbau nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Im Sektor San Diego/Tijuana stellte die US-Armee damals 180.000 Metallplatten auf, die Grenzpolizei wurde personell aufgestockt und mit neuester Überwachungstechnologie ausgestattet. Ähnliches geschah in allen Ballungszentren entlang der 3200 Kilometer langen US-mexikanischen Grenze. Eine Region, die wirtschaftlich, kulturell und familiär eng verzahnt war, wurde auseinandergerissen. Das offizielle Ziel der operations lautete: Die Grenze unter Kontrolle bringen. „Illegale“ Einwanderer, die von Politik und Medien als Bedrohung der nationalen Sicherheit porträtiert wurden, sollten abgeschreckt oder in die Wüsten abgedrängt werden. Dort wären sie leichter aufzugreifen, so das Kalkül. Außerdem ließe sich der Drogenhandel effektiver bekämpfen.
Nur vier Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer enttäuschte die Aufrüstung damals diejenigen, die ein neues Zeitalter, eins ohne Mauern, vorhergesagt hatten. Zwar wurden im Zuge der Globalisierung die Grenzen für Wirtschaft und Kapital aufgehoben. Gleichzeitig aber gewannen die physischen Grenzen als identitätsstiftende Einheiten an Bedeutung. Der „illegale Einwanderer“, der sie verletzte, wurde in Europa und den USA zum Kampfbegriff. Manager und Touristen aus dem Norden sollten sich frei bewegen können, Wanderarbeiter und Asylsuchende aus dem Süden nicht.
Dass die teuersten Anlagen in dieser Hinsicht allerdings wirkungslos sind, ist kein Geheimnis. 2007 stellte der US-Kongress fest, dass die Grenzbefestigung keinen Einfluss auf die Zahl der undokumentierten Übertritte habe. Darüber hinaus wirkte die polizeistaatliche Reaktion auf wirtschaftliche und soziale Probleme kontraproduktiv: So haben sich die mexikanischen Drogenhändlerbanden unter dem staatlichen Druck zu international agierenden Kartellen entwickelt, die den Behörden immer einen Schritt voraus sind. Eine andere Folge des Mauerbaus ist der Tod von jährlich rund 500 Wanderarbeitern, die bei dem Versuch ums Leben kommen, durch unwirtliche Regionen in die USA zu gelangen.
Nichtsdestotrotz beschloss die Regierung von US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die weitere Aufrüstung der Grenze. Auf 1100 Kilometern wurde damit begonnen, neue Hightech-Zäune zu errichten, 3,6 Milliarden Dollar wurden bereitgestellt. Die Folgen dieses zweiten Mauerbaus sind heute im Border Field State Park zu besichtigen. Die oben beschriebenen Familientreffen sind unmöglich geworden. Stattdessen wachen heute Grenzer über Möwenkolonien.
Die europäischen Pendants zur US-mexikanischen Grenze befinden sich in Ceuta und Melilla. Die spanischen Exklaven in Marokko sind von ausgeklügelten dreifachen Zaunsystemen umgeben. Allein in Melilla (13 Quadratkilometer, 70.000 Einwohner) hat die spanische Regierung fast 35 Millionen Euro für 11 Kilometer Zaun ausgeben. Er ist sechs Meter hoch und gekrönt von messerscharfem Nato-Draht. Zwischen den ersten Zäunen ist ein undurchdringliches Gewirr aus Stolperdrähten angebracht, dahinter verlaufen Straßen für Grenzpatrouillen, die Kameras, Flutlichter und Wärmesensoren einsetzen. Es ist das Erste, was viele Afrikaner von Europa sehen.
Am 11. September 1990 hatte US-Präsident George Bush sr. die „New World Order“ verkündet und beschrieb sie als „Ära, in der alle Nationen blühen und miteinander harmonisieren werden“. Aber stattdessen brach die Ära des Mauerbaus an, der New World Borders. War die Berliner Mauer noch das Symbol des Ost-West-Konflikts, symbolisieren die neuen Mauern den Nord-Süd-Konflikt. Den Bewohnern der Industrieländer vermitteln sie das Gefühl, vor den Armen sicher zu sein. Die Arbeitsimmigranten aus dem Süden aber werden durch sie erst zu „Illegalen“, die keine Chance mehr haben, Ansprüche auf die Einhaltung von Arbeitsrechten durchzusetzen. Grenzpolitik wird so zu Lohnpolitik. Es gehört zur Dialektik der Globalisierung, dass die Finanzwelt heute entgrenzt agiert und Verwerfungen von ungeahnten Ausmaßen provozieren kann, während Arbeiter auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen behindert werden. Der Widerspruch löst sich auf, weil die neuen Grenzen eine entscheidende Aufgabe erfüllen: Sie versöhnen die Ideologie und die Ökonomie der Einwanderung miteinander. Erstere lehnt Immigranten ab, Letztere würde ohne sie nicht funktionieren. Die Zäune und Mauern gaukeln den Ideologen Kontrolle vor, die Ökonomie aber versorgen sie mit entrechteten Arbeitskräften. Der sieben Meter tiefe Graben, dessen Bau die griechische Regierung an der Grenze zur Türkei angekündigt hat, ist nur ein weiterer Mosaikstein in diesem Muster.
Auch die Mauer, die Israel von der West-Bank trennt ist eine Grenze dieses neuen, radikalen Typs: eine einseitig errichtete Befestigung, die nicht nur zwei Völker trennt, sondern auch den Reichen die Armen vom Hals hält. Die Barriere, die in Israel „Sicherheitszaun“ heißt, soll insgesamt 760 Kilometer lang werden. Ihr Bau wurde 2000 während der zweiten Intifada begonnen, sie ist von Sicherheitszonen umgeben, mit Checkpoints und vielfältigen Überwachungsapparaten ausgestattet. Insbesondere in Städten wie Jerusalem und Bethlehem weckt die Mauer Erinnerungen an Berlin. Das liegt an ihrer Beschaffenheit aus einzelnen Betonelementen und der Willkür, mit der diese aufgestellt wurden: ohne Rücksicht auf Eigentum, wirtschaftliche und familiäre Verbindungen. Dabei wirkte die Berliner Mauer mit ihren 3,60 Metern Höhe eher putzig gegen die acht Meter in Jerusalem. In Israel rechtfertigt man die Mauer mit den zurückgegangenen Terroranschlägen. Von den Palästinensern wird sie „Apartheidswall“ genannt.
Die undurchlässigste Grenze der Welt stammt hingegen aus einer vergangenen Epoche. Sie schaut denn auch recht idyllisch aus. Beim Durchfahren der Pufferzone zwischen Süd- und Nordkorea sieht man ein Naturparadies mit seltenen Vögeln und Pflanzen. Was man nicht sieht, ist die komplette Verminung des vier Kilometer breiten Streifens. Nord- und Südkorea befinden sich seit 1953 im Kriegszustand, rechts und links der Verbindungsstraße zwischen beiden Ländern flimmern Maschinengewehrnester der südkoreanischen Armee bedrohlich in der Sonne. Ab und an durchschneiden Zäune die Landschaft. Davor stehen baumlange südkoreanische Kerls mit Sonnenbrillen und starren nach Norden. Auf halber Strecke durch die „Demilitarisierte Zone“ liegt der 38. Breitengrad, die Waffenstillstandslinie. Dort übernehmen die Nordkoreaner: lütte Figuren in Uniformen aus grobem Stoff mit tellergroßen Hüten und Knobelbechern an den Füßen, Schnitt und Farbe stammen von der Roten Armee. In der Ferne ragt einer der höchsten Flaggenmasten der Welt in den Himmel: In 160 Metern Höhe flattert die nordkoreanische Fahne.
Bill Clinton hat diese Gegend einmal als den „gruseligsten Ort der Welt“ bezeichnet. Derselbe Bill Clinton beschloss 1993 die Aufrüstung der US-mexikanischen Grenze.