Pelé: Der Heile-Weltstar

Pelé: Der Heile-Weltstar

Auf seinem Planeten gibt es keine Kriege, nur Dribblings und Flanken: Zum 70. von Pelé.

Marcello Casal Jr./ABr, CC BY 3.0 br, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10603639

“Mal ehrlich Leute, der Pelé gehört doch ins Museum!“ Diego Maradona war richtig sauer, als er hörte, dass der Brasilianer Pelé ihm, dem argentinischen Nationaltrainer, die Eignung für den Job abgesprochen hatte.

Und so zog Maradona auf einer Pressekonferenz während der Fußball-WM in Südafrika vom Leder – und die Auseinandersetzung zwischen „König“ Pelé und der „Hand Gottes“, wer denn nun der beste Fußballer des 20. Jahrhunderts gewesen sei, war um eine Episode reicher.

Dabei hatte Maradona ja einen schmerzhaften Punkt angesprochen. Edson Arantes do Nascimento verwaltet und vermarktet seit 35 Jahren den Mythos Pelé. Ein Ex-Fußballer ist zu seiner eigenen Marke geworden.

Pelé hat schon für den Weltfrieden, die brasilianische Börse und Viagra geworben („Ich brauche es nicht, aber ich würde es nehmen, wenn ich’s brauchte“). Er verdient heute mit Werbung mehr als beispielsweise Lionel Messi mit Fußball. Er ist die Apotheose des globalen Sportstars. Nach seinem letzten Abschiedsspiel brachte Pelé 1977 in New York 75 000 Menschen dazu „Love! Love! Love!“ zu rufen. Muhammad Ali sagte damals: „Jetzt gibt es zwei Größte.“ Doch während Ali immer auch für seinen Eigensinn verehrt oder angefeindet wurde, war Pelé irgendwie immer schon Konsens. So wurde der „Athlet des Jahrhunderts“ zum idealen Repräsentanten der heilen Welt, als die der Fußballweltverband Fifa seinen Sport so gerne präsentiert. Er steht für das ewige Versprechen vom Planeten, der keine Kriege, Klassen oder Rassen mehr kennt, sondern nur noch dribbelt, flankt und köpft. Damit ist Pelé einen glücklicheren und ganz anderen Weg gegangen als die meisten brasilianischen Stars, die aus der Armut kamen, nach ihrer Karriere nichts mehr mit sich und ihrem Geld anzufangen wussten und abstürzten. Pelé hingegen wurde von Ronald Reagan empfangen: „Ich weiß, wer Sie sind. Ich bin übrigens der Präsident der USA.“

Pelés Leben ließe sich problemlos entlang solcher Episoden, Rekorde und Superlative erzählen. Kurz vor der letzten WM präsentierte er auf einem Bolzplatz in Johannesburg die Marke „Pelé Sports“. Deren erste Kollektion besteht aus den Fußballschuhen „1958“, „1962“ und „1970“. Das sind die Jahre, in denen Pelé Weltmeister wurde – als einzigem Spieler gelang ihm das drei Mal. Als Brasilien 1958 in Schweden erstmals siegte, war er gerade mal 17 Jahre alt und er ist bis heute der jüngste Weltmeister geblieben.

Pelé schoss damals insgesamt sechs Tore, zwei davon beim 5:2-Finalsieg gegen Schweden. Der Treffer zum 3:1, bei dem Pelé den Ball über seinen Gegenspieler lupfte und dann volley ins Eck drosch, ist der Prototyp des brasilianischen Tors: Der Gegner wird vernascht. Und bis heute rechnen Beobachter die ersten drei Minuten des Vorrundenspiels gegen die Sowjetunion zu den besten drei Minuten der brasilianischen Fußballgeschichte.

Damals revolutionierten Pelé und sein kongenialer Partner Garrincha das Fußballspiel – und Brasilien wurde zur Fußballnation. Denn zum ersten Mal hatten die Brasilianer einen Grund, stolz auf ihr Land zu sein. In der Seleção, wo Schwarze und Weiße zusammenwirkten, zeigte sich, was das Land sein könnte, wenn man nur der unbändigen Freude und Kreativität freien Lauf ließe. Die Mannschaft, die dann 1970 unter Pelés Führung in Mexiko Weltmeister wurde, gilt bis heute als das unwiderstehlichste Team aller Zeiten.

Pelé hat in 1375 Spielen 1281 Tore geschossen (die meisten für seinen Verein FC Santos). Als er 1969 zum 1000. Mal traf, läuteten in Brasilien die Kirchenglocken und der Präsident rief einen Feiertag aus. Im selben Jahr wurde der Bürgerkrieg im Kongo angehalten, damit Pelé mit Santos von Kinshasa nach Brazzaville gelangen konnte. Zwischen 1995 und 1998 war Pelé der erste schwarze Sportminister Brasiliens. Er hat sieben Kinder von vier verschiedenen Frauen.

Das Erstaunlichste aber ist: Wenn man in Brasilien fragt, wer der größte Spieler aller Zeiten ist, dann lautet die Antwort: Garrincha! Auf Pelé können sich alle einigen, aber sein launischer Teamkollege mit den krummen Beinen wird von den Brasilianern bis heute geliebt. Wenn die beiden zusammenspielten, verlor Brasilien kein Spiel. Garrincha soff sich mit 49 Jahren tot, Pelé wird heute 70 Jahre alt.